Vor acht Jahren wurde die Bewährungshilfe im Land privatisiert. Grün-Rot will diese Reform zurücknehmen. Es gibt aber ein Problem: Die Betreuung der Straffällingen durch einen freien Träger war ziemlich erfolgreich.

Stuttgart - Offiziell gibt Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) dem Kabinett an diesem Dienstag nur einen Bericht zur Zukunft der Bewährungshilfe in Baden-Württemberg. Doch zumindest die SPD-Fraktion im Landtag hat sich bereits festgelegt. Die Bewährungshilfe soll wieder zurück unter das staatliche Dach. Damit läuft das im Jahr 2007 unter der Ägide des FDP-Justizministers Ulrich Goll gestartete Projekt einer Bewährungshilfe unter freier Trägerschaft Ende 2016 aus. Dann endet der Vertrag mit „Neustart“, einer gemeinnützigen GmbH, trotz der allseits anerkannten Erfolge bei Betreuung und Resozialisierung verurteilter Straftäter.

 

Keine Weisung von Privaten

Den Anlass für die Rolle rückwärts schuf das Bundesverwaltungsgericht (BVG) mit einer Entscheidung vom vergangenen Herbst, welcher die Klage eines beamteten Bewährungshelfers vorausgegangen war. Der in Reutlingen beschäftigte Sozialamtmann verwahrte sich dagegen, seine Arbeit nach den Vorgaben und Weisungen von „Neustart“, also eines privaten Trägers, zu verrichten. In den Vorinstanzen abgewiesen, hatte er schließlich vor dem BVG Erfolg. Die obersten Verwaltungsrichter befanden, dass beamtete Bewährungs- und Gerichtshelfer nicht den Weisungen privater Träger unterliegen dürften. Derzeit arbeiten nach Angaben von „Neustart“ 186 Beamte, 33 Angestellte des Landes sowie 254 „Neustart“-Angestellte in der Bewährungs- und Gerichtshilfe sowie für den Täter-Opfer-Ausgleich. Der SPD-Abgeordnete Sascha Binder schlussfolgerte nach dem Gerichtsentscheid: „Es ist Zeit, rasch eine rechtssichere und mitarbeiterfreundliche Lösung in staatlicher Verantwortung in die Wege zu leiten.“ In welcher Form dies geschehen soll, ist noch offen. Denkbar sind ein Landesbetrieb, eine landeseigene GmbH oder zum Beispiel auch eine Stiftung.

Vor allem den Sozialdemokraten kam das Leipziger Urteil insofern gelegen, als sie die Privatisierungspolitik des früheren Justizministers Goll stets abgelehnt hatten. Der FDP-Politiker verfolgte die Linie, abseits des Kernbereichs der Justiz Dienstleistungen zu privatisieren. Neben der Bewährungshilfe war die – von Golls Nachfolger Stickelberger inzwischen zurückgenommene – Teilprivatisierung der Justizvollzugsanstalt Offenburg eines dieser Projekte. Wobei „Neustart“ darauf hinweist, als gemeinnützige GmbH verfolge man keine privaten Profitinteressen. Doch innerhalb der SPD werden spätestens seit der Finanzkrise die Privatisierungen nicht mehr goutiert.

Positive Bilanz

Dabei fiel eine Evaluierung der „Neustart“-Arbeit durchaus positiv aus. Auch Justizminister Stickelberger konstatierte: „Die Einführung einer zentralen Struktur bei der Bewährungs- und Gerichtshilfe führte zu qualitativen Verbesserungen.“ Zusätzlich zu den hauptamtlichen Mitarbeitern baute „Neustart“ ein Netzwerk von inzwischen 660 ehrenamtlichen Mitarbeitern für die Betreuung von fast 20 000 Klienten auf. Der Betreuungsschlüssel von durchschnittlich 95 betreuten Personen pro Sozialarbeiter in der Bewährungshilfe sank auf 70. Nirgends in der Republik wird die Bewährung so selten widerrufen wie in Baden-Württemberg. Die Quote liegt derzeit bei gut 18 Prozent.

Die Koalitionsfraktionen versichern, solche Erfolge auch künftig gewährleisten zu wollen. „Für uns sind gute und sichere Arbeitsbedingungen und die Einbindung von Ehrenamtlichen zentrale Punkte“, sagt der Grünen-Rechtsexperte Jürgen Filius. Der Abgeordnete hatte zuletzt eine Konstruktion ins Gespräch gebracht, die einen privaten Mitbetreiber zuließe, womit eine vollständige Rückverstaatlichung vermieden würde. Diese Idee findet aber im Justizressort keine Freunde. „Wir machen keine halben Sachen“, heißt es im Ministerium. Eine Doppelstruktur bringe mehr rechtliche und organisatorische Probleme mit sich, als sie nutze. Der Verband Bewährungs- und Straffälligenhilfe Württemberg appellierte am Montag an die Landesregierung, zügig über die Zukunft der Bewährungs- und Gerichtshilfe zu entscheiden. Dessen Vorsitzender, der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen, warnte davor, den Aufwand für eine Umstrukturierung zu unterschätzen.