In Stuttgart definieren die Geisteswissenschaften ihre Rolle an technischen Universitäten neu.

Stuttgart - Wie viele Geisteswissenschaften braucht eine technische Universität? Um diese Frage wird seit Jahren gerungen - besonders heftig im vergangenen Jahr in Stuttgart, nachdem der Stuttgarter Unirektor Wolfram Ressel in seinem "Masterplan" einschneidende Kürzungen bei den Geisteswissenschaften vorgeschlagen hatte. Vor diesem Hintergrund will sich der Deutsche Philosophische Fakultätentag nun aktuell positionieren.

Dass das Gremium seine Herbsttagung und zumal sein 60-jähriges Bestehen an der Universität Stuttgart begeht, kann nach den Aussagen seines Vorsitzenden Gerhard Wolf als deutliches Signal interpretiert werden. Mit einer Resolution hatte der Fakultätentag bereits im Vorjahr auf den geplanten Rückbau der Geisteswissenschaften in Stuttgart reagiert und vor einem Kahlschlag gewarnt. Inzwischen ist in dieser Sache zumindest vordergründig wieder Ruhe eingekehrt. Ressels Plan wurde bisher nicht umgesetzt.

"Geisteswissenschaften spielen eine kleine, aber feine Rolle"


Der Rektor, der ursprünglich von seiner Rolle als Gastgeber nicht begeistert gewesen sein soll, bereitete dem Philosophischen Fakultätentag am Donnerstagabend einen freundlichen Empfang und hob auch dessen politische Bedeutung hervor. "Hier an unserer Uni spielen die Geistes- und Kulturwissenschaften eine kleine, aber sehr feine Rolle", so Ressel. Beide Fakultäten seien "wesentlich für unser Gesamtprofil". Besonders die Linguistik habe einen hervorragenden Ruf, nicht nur in Stuttgart, sondern weltweit. Im Rahmen der Exzellenzinitiative seien die Geisteswissenschaften auch mit der Informatik und dem Maschinenbau verbandelt - "wir unterstützen das vom Rektorat aus".

Die Stuttgarter Bürgermeisterin Susanne Eisenmann zeigte sich "erfreut, dass die Geisteswissenschaften in Stuttgart heute nicht mehr zur Disposition stehen". Denn gerade das Miteinander von Technik- und Geisteswissenschaften mache die Stärke einer Universität aus.

Wichtig um Wissenschaft zu kommunizieren


Diese Erkenntnis scheint sich jetzt auch beim Philosophischen Fakultätentag durchzusetzen, der bisher vor allem auf die Eigenständigkeit seiner Fächer gepocht hat. Bei einer Diskussion kam man überein, dass die Sprach-, Text- und Methodenkompetenz der Geisteswissenschaften gerade an technischen Unis gebraucht werde: um Wissenschaft zu kommunizieren - nicht nur in den Hochschulen, sondern auch in die Öffentlichkeit. Auch bei der Reflexion über die sozialen und kulturellen Folgen technischer Innovationen komme den Geisteswissenschaften - zusätzlich zur eigenen Forschung und Lehre - eine wichtige Rolle zu. Um diese besser auszufüllen, wollen sich deren Vertreter an technischen Unis stärker vernetzen.

Am Abend zuvor hatte Peter Scholz, der Dekan der Historisch-Philosophischen Fakultät in Stuttgart, angemerkt, dass in Stuttgart eine Anknüpfung an die Ingenieur- und Technikfächer bisher nahezu allein über die Abteilung Geschichte der Naturwissenschaft und Technik des Historischen Instituts stattfinde. Eine weitere wichtige Brückenfunktion komme der neuen Leibinger-Stiftungsprofessur ("Wirkungsgeschichte der Technik") zu. Diesen fachlichen Zuwachs begrüßte Scholz. Eine weitere Abgabe von Lehrstühlen, wie sie in der Vergangenheit diskutiert worden ist, würde einer Selbstmarginalisierung gleichkommen. Als reiner Dienstleister zu fungieren, wäre für Forschung und Lehre fatal, so Scholz. Er forderte, die Uni müsse ihre Geisteswissenschaften so annehmen wie Eltern ihr Kind: in all ihrer Eigenwilligkeit.

Ein Schmalspurstudium hilft niemandem


In seinem Festvortrag über die europäische Universität der Zukunft nannte der Münchner Philosoph und frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin ein weiteres Problem: Die Umstellung auf stark verschulte Bachelorstudiengänge gefährde die Fächervielfalt. Einem Philosophiestudenten bleibe trotz durchschnittlich 60 Arbeitsstunden pro Woche keine Zeit, um Bücher zu lesen, in der Bibliothek zu sitzen, Hausarbeiten zu schreiben oder gar ein Parallelfach zu belegen. Ein Schmalspurstudium helfe niemandem.

Scholz kritisierte den schlechten Betreuungsschlüssel in den geisteswissenschaftlichen Fächern. In seiner Fakultät kümmern sich 22 Professoren um 2.300 Studierende. Auch Fachkollegen anderer Universitäten betrachten mit Sorge, dass der Zuwachs an Studierenden überproportional von den ohnehin überlasteten Geisteswissenschaften geschultert werden müsse. Der Fakultätentag plant die Verabschiedung einer Resolution. Vorgesehen ist unter anderem, eine bessere Betreuungsrelation zu fordern, die das Verhältnis der konkurrierenden Wissenschaftsbereiche entspannen könnte. Dies würde es den Geistes-, Technik- und Naturwissenschaften einfacher machen, ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und stärker aufeinander zuzugehen.