Das Land ist verärgert über Hans-Peter Villis. Der EnBW-Chef habe keinen eindeutigen Plan, was die Zukunft des Energiekonzerns angeht.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Vier Jahre ist Hans-Peter Villis nun schon Chef der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), aber noch immer trifft er auf Leute, die ihn nicht kennen. "Ach, Sie sind der Nachfolger von Utz Claassen", bekommt er nach dem Vorstellen öfter zu hören. Die erstaunte Reaktion zeigt, dass der 53-Jährige zumindest eine Erwartung der Großaktionäre rundum erfüllt hat: sich als Person nicht so sehr in den Vordergrund zu spielen wie sein schillernder Vorgänger. Wie gut er das Unternehmen ansonsten geführt hat, darüber gehen die Ansichten auseinander. Als großer Stratege gilt Villis, nach manchen Fehlschlägen, jedenfalls nicht.

 

Nun aber steht er doch im Rampenlicht von Politik und Öffentlichkeit, gerade wegen seiner Qualitäten als Topmanager. Seine persönliche Zukunft ist eng verbunden mit der Frage, was nach der Energiewende aus dem einstigen Atomkonzern EnBW werden soll - einer der größten Herausforderungen für die grün-rote Landesregierung. Die Zukunft des Unternehmens und seiner 20.000 Mitarbeiter bereite ihm auf lange Sicht mehr Sorgen als Stuttgart 21, klagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann in kleinen Runden; er schlafe deswegen sogar schlecht. Eingebrockt hat ihm das sein CDU-Vorgänger Stefan Mappus, der per Geheimaktion für fast fünf Milliarden Euro 45 Prozent der Aktien vom französischen Staatsriesen EdF kaufte; demnächst hat der Alleingang ein Nachspiel vor dem Staatsgerichtshof. Doch für Wohl und Wehe der EnBW, weiß Kretschmann, wird über kurz oder lang die neue Regierung verantwortlich gemacht.

Den Umbau zutrauen

Noch wirken die Koalitionäre unentschieden, ob sie Villis den Umbau des Unternehmens zutrauen; die Zweifel werden derzeit eher größer. Villis dagegen scheint entschlossen, um die jetzt anstehende Verlängerung seines 2012 auslaufenden Vertrages zu kämpfen - und notfalls auch zu pokern. In den nächsten Monaten muss die Personalie entschieden sein, so oder so. Auch die tief verunsicherte Belegschaft will endlich wissen, wie und mit wem es weitergeht. "Desaströs" sei die Stimmung in Karlsruhe und an den anderen Standorten, sagen Insider.

Es war ein verrücktes Jahr für den bescheiden und bodenständig auftretenden Bergmannssohn aus dem Ruhrgebiet. Erst lief es gut für ihn: die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke schien die wichtigste Geldquelle der EnBW weiter sprudeln zu lassen. Der Einstieg des Landes, von dem Villis erst äußerst kurzfristig erfahren haben soll, kam ihm ebenfalls zupass. Bei den Franzosen hätte er, wie man hört, vermutlich keine Zukunft mehr gehabt; Mappus dagegen gab ihm erst einmal eine Jobgarantie. Doch dann lief es richtig schlecht: Mit der Katastrophe von Fukushima kam der Atomausstieg, womit der Kernkraftfan Villis in internen Gesprächen bis Donnerstag hadert. Sein Traum sei, hatte er einst kundgetan, einmal ein Atomkraftwerk zu bauen. Wenig später wurde sein Schutzpatron Mappus, auch wegen Fukushima, von den Wählern aus dem Amt gefegt. Seitdem hat es Hans-Peter Villis mit einem grünen Ministerpräsidenten zu tun, der ihm in mehrerlei Hinsicht fremd ist - und der selber noch dabei ist, seine Rolle als Miteigentümer eines Stromkonzerns zu finden.

400 Millionen Euro von Großaktionären

Nach außen hat sich Villis auf die neuen Zeiten rasch eingestellt. Die EnBW, die gerade noch wie keines der Konkurrenzunternehmen vom Atomstrom abhängig ist, präsentiert er flugs als grünen Konzern. Bei der Hauptversammlung des Unternehmens prangte riesig ein Meereswindrad an der Stirnseite des Saales; regelmäßig verweist der Vorstandschef auf die Investitionen in erneuerbare Energien. Wie zum Beweis eröffnete er kürzlich zusammen mit Kretschmann das hochmoderne Laufwasserkraftwerk in Rheinfelden, das freilich schon vor seiner Zeit geplant wurde. Wasserkraft, Windkraft, Fotovoltaik und Bioenergie - so soll es weitergehen. Mit acht Milliarden Euro soll das Unternehmen in den nächsten zehn Jahren die Energiewende schaffen. "Wir wissen, was wir wollen, aber wir sind finanziell gehemmt" - diese Botschaft sandte Villis dieser Tage über die Medien an die Politik. Jeweils 400 Millionen Euro brauche die EnBW fürs Erste von den beiden Großaktionären, dem Land und den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW). Zugleich werde man kräftig sparen und Beteiligungen verkaufen.

Bei der grün-roten Regierung kam diese Ansage gar nicht gut an. "Das alles sind keine hilfreichen Dinge", meinte Ministerpräsident Winfried Kretschmann sichtlich verärgert. Er lasse sich ungern vorschreiben, was das Land tun müsse. Nicht zum ersten Mal fühlt er sich von Hans-Peter Villis öffentlich unter Druck gesetzt. Seit der EnBW-Chef im Sommer - angeblich unabgestimmt - nach "Kapitalmaßnahmen" rief, bekommt er von der Politik stets die gleiche, zunehmend vergrätzte Antwort: Erst solle er seine "Hausaufgaben machen" und eine schlüssige Strategie vorlegen, dann könne man über Geld reden. Bei der EnBW sei das Land schließlich schon mit fast fünf Milliarden Euro engagiert, sagt auch Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD). Da müssten weitere Finanzspritzen bestens begründet sein.

Völlig anderer Eindruck

Wenn Vorstand und Aufsichtsrat am Donnerstag zur nächsten Sitzung zusammentreffen, dürfte der Dissens deutlich wie nie angesprochen werden. Die EnBW weiß, was sie will? Da hat Kretschmann einen völlig anderen Eindruck: Die Strategiediskussion stehe "erst am Anfang". Tatsächlich gibt es ganz unterschiedliche Szenarien - nicht nur die von Villis gezeichnete Alternative, den Konzern entweder zu einem großen Stadtwerk zu schrumpfen oder weiterhin national und international agieren zu lassen. In kommunalen und Regierungskreisen wird auch eine Aufspaltung in zwei Teile erörtert: eine "alte EnBW" mit Atommeilern und Kohlekraftwerken und eine "neue EnBW" mit den zukunftsträchtigen Bereichen. Auch auf Bundesebene gibt es erste Überlegungen, die auslaufenden Kernkraftwerke in einer Art "Bad Bank" zusammenzufassen. Doch ein solches Konstrukt, ähnlich wie es einst bei der Ruhrkohle praktiziert wurde, gilt als rechtlich und finanziell hochkompliziert.

Für die Variante "großes Stadtwerk", hat Villis die Politik schon mal wissen lassen, stehe er nicht zur Verfügung. Das wurde in der Branche indes weniger als Drohung verstanden denn als vorsorgliche "Exit-Strategie": Villis bastele schon mal an einer Legende, warum er den Chefposten in Karlsruhe räumen müsse - nämlich nach aufrechtem, aber verlorenem Kampf für eine weiterhin starke EnBW. Auf Landesseite mehren sich die Anzeichen, dass man tatsächlich auf einen neuen Kopf setzt; der müsste indes erst einmal gefunden werden. Diffuser sind die Signale aus den Reihen der oberschwäbischen Landräte: Manche würden gerne an Villis festhalten, andere sehen ihn durchaus kritisch. Eine gemeinsame Linie mit dem Land wird dadurch erschwert, dass sich die schwarzen Landräte und die grün-roten Minister erst zusammenraufen müssen. "Wir sind noch in der Phase des Abtastens", gestand der OEW-Chef und Ravensburger Landrat Kurt Widmaier kürzlich.

So ganz ist Villis auch nach vier Jahren nicht im Südwesten angekommen. Er hat zwar eine Bleibe in Karlsruhe, als offiziellen Wohnsitz aber gibt er noch immer seine Geburtsstadt an: Castrop-Rauxel.

Personalie Hans-Peter Villis

Anfänge Hans-Peter Villis (Jahrgang 1958) kann auf eine fast 25-jährige Karriere in der Energiewirtschaft zurückblicken. Der Bergmannssohn begann sein Berufsleben 1987 als Kaufmännischer Leiter der Werksdirektion Kokereien, Bergbau AG Westfalen, Dortmund. Später wurde er Manager bei der Veba, erst im Ruhrgebiet und dann in Ostdeutschland.

Aufstieg 1993 wurde Villis Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg GmbH, von 2000 bis 2002 war er Vorstandsmitglied der Gelsenwasser AG. Von 2003 bis 2006 führte er Eon Westfalen, dann wurde er Finanzvorstand der Eon Nordic AB. Im September 2007 folgte er bei der EnBW auf Utz Claassen.