Ein Stuttgarter Architektenbüro präsentiert fantasievolle City-Visionen. Die venezianische Variante von Stuttgart 21.

Stuttgart - Wem Stuttgart heute noch nicht mediterran genug ist, der könnte vielleicht am Folgenden Gefallen finden: unterhalb der Betonmauern der Heilbronner Straße sind Sonnenschirme aufgespannt, direkt an der Uferpromenade eines Sees. Ein Gondoliere hilft einem Liebespärchen ins Boot - und in einiger Entfernung tuckert ein Vaporetto der Bibliothek 21 entgegen. Die hat sich - im Vergleich zum von vielen gescholtenen realen Ist-Zustand - spektakulär verwandelt: Auf ihrem Flachdach thronen Türmchen und eine gewaltige Kuppel, die dem Betrachter sehr vertraut vorkommt. Genau wie jene geschwungene Brücke, die die Bibliothek mit dem Festland verbindet.

 

Fertig ist: Stuttgart 21 - die venezianische Variante. Diese Zukunftsvision hat das Architekturbüro Search aus dem Heusteigviertel im besten Sinne ersponnen. "Stuttgart 21 ist so ein bierernstes Thema...", sagt der Architekt Stefan Eberding, "...da haben wir uns an eine Persiflage gewagt", ergänzt seine Frau Stephanie, die gemeinsam mit ihm das Architekturbüro führt. Im Alltag entwirft das Team von acht Architekten Schulen, Kindergärten oder Pflegeheime. Die Architekten arbeiten in einem Loft, in dem früher die Hofdruckerei residierte.

Stuttgart als Seenlandschaft

Doch für jene Fläche, auf der unweit des Bahnhofs einmal ein neues Innenstadtviertel entstehen soll, gönnen sie sich regelmäßig einen Ausflug in die Welt der Fantasie. Diese kennt keine Preise, keine Bauherren oder politischen Zwänge. Einmal verwandelten sie das Gelände in eine Winterlandschaft mit Almhüttendorf, durch die Snowboarder schanzten. Dann tüftelten sie am Projekt "Baggersee 21" - bei dieser Visualisierung entstanden der Yachthafen Botnang und ein schwäbisches Atoll.

Der Baggersee 21 stieg zu einer regelrechten Internetberühmtheit auf - die Animation wurde unzählige Male weitergeschickt und Tausende Male angeklickt. Im Heusteigviertel meldete sich das Fernsehen an, und am Telefon mussten die Eberdings plötzlich Farbe bekennen: "Wann wird der Strand eigentlich eröffnet?" Oder: "Unfassbar, dass Stuttgart so etwas plant!" Die Architekten schmunzeln. Stuttgart 21, das haben sie bei ihren Gedankenspielen oft erfahren müssen, liegt in einer humorfreien Zone. Zumindest einen Funken Ernsthaftigkeit nehmen die beiden für ihr Klein-Venedig jedoch in Anspruch: "Dass Stuttgart am Neckar liegt, wird überhaupt nicht zelebriert", klagt Stefan Eberding. Die Stadt sei durch Beton und Asphalt vom Wasser abgeschnitten.

Eine Antwort auf die Pläne der Bibliothek

Dass die neue Bibliothek aus technischen und finanziellen Gründen entgegen der ursprünglichen Pläne des koreanischen Architekten Eun Young Yi nicht von einem Wasserbecken umhüllt wird, bedauert Stephanie Eberding: "Der Architekt bekommt jetzt in der Öffentlichkeit Prügel, die er nicht verdient hat." Mit ihren am Computer entstandenen Visualisierungen wollen die Architekten das Thema "Wasser in Stuttgart" auf augenzwinkernde Weise wieder ins Spiel bringen.

Hübsch ist die Vorstellung doch: An einem heißen Sommertag im Jahr 2020 beginnt die Mittagspause für die Angestellten der Landesbank. Die Banker überqueren mit einer Latte macchiato in der Hand die nachgebaute Rialto-Brücke und streben den Treppen der Bibliothek 21 entgegen. Und dann: schnell die Schuhe ausziehen und die Füße im Lago Stoccarda kühlen.