In Lars Beckers Film „Zum Sterben zu früh“ verstrickt sich ein Drogenfahnder in die Illegalität. Das spannende Polizisten-Drama bringt ein Wiedersehen mit den Anti-Helden Kessel und Diller, gespielt von Fritz Karl und Nicholas Ofczarek.

Stuttgart - Erich Kessel (Fritz Karl) überlegt nicht lange. Da ist die Tasche, voll gestopft mit Kokain – eine großartige Gelegenheit, um seine finanziellen Probleme zu lösen und seine an Epilepsie erkrankte Tochter zu retten, der nur ein teures Hirnimplantat helfen kann. Vielleicht kann er sogar seine Ehe wieder in Ordnung bringen. Mit Claire (Jessica Schwarz) gerät er in jedem Gespräch aneinander, sie scheint ihm gar nicht mehr zuzuhören, gar nicht mehr wahrzunehmen, welchem harten, gefährlichen Job er da draußen ausgesetzt ist. Denn Erich Kessel ist Drogenfahnder, ein „Hardcore-Bulle“ mit reichlich Problemen, der nun im Begriff ist, die rote Linie zu überschreiten.

 

Lars Beckers Fernsehfilm „Zum Sterben zu früh“ ist sowohl Thriller als auch Drama, eine manchmal irrwitzige Jagd und ein spannender Film über den einen falschen Schritt, der scheinbar unausweichlich immer weitere Fehltritte nach sich zieht. Mit seinem Kollegen und Freund Mario Diller (großartig: Nicholas Ofczarek) hat Kessel im Auto zwei Drogenkuriere verfolgt. Einer der beiden Verbrecher hat auf sie geschossen, und irgendwann hat sich das Auto der Kuriere bei der riskanten Hatz durch die nächtlichen Straßen überschlagen. Der Beifahrer ist schwer verletzt und stirbt schließlich, den zu Fuß flüchtenden Fahrer verfolgt sein Kollege. Erich Kessel ist allein mit der Tasche, niemand sieht, wie er sie an sich nimmt.

Wo ist der Stoff geblieben?

Allerdings ergeben sich nun vielerorts einige Fragen: Der Drogenboss Novak (Jürgen Maurer) fragt sich, wo seine dreißig Kilo Koks geblieben sind. Die Polizei fragt sich, wieso die beiden Kuriere einen solchen Widerstand geleistet haben, obwohl man nur ein paar Gramm Koks im Handschuhfach gefunden hat. Und Jamel (Edin Hasanovic), der glücklich entflohene Drogenkurier, fragt sich, wie er nun wieder an die Tasche kommt. Zwei Tage Frist hat ihm Novak dafür gegeben.

Kessels Entscheidung löst eine Kette von Ereignissen aus, sie stellt seinen Freund auf die Probe und bringt seine Familie in Gefahr. Menschen werden mitgerissen in diesem Strudel, aber immer wenn der Untergang unmittelbar bevorzustehen scheint, überrascht der Autor und Regisseur Becker („Nachtschicht“) mit einer neuen, bisweilen allerdings auch arg konstruiert wirkenden Wendung. Zum Beispiel wenn der aufgebrachte Kessel seinen Sohn im Streit mit der Ehefrau mitten auf der Autobahn vergisst. Das ist auf eine eigene, besondere Art „realistisch“.

Blick in die Abgründe der Großstadt

Beckers Filme leben von der Atmosphäre der Großstadt, dem Tempo, den Abgründen und auch den aberwitzigen Situationen. Seine Figuren verhalten sich nicht immer plausibel oder gar vernünftig, wie Menschen im wahren Leben eben auch. Sie glauben an das große Glück, auch wenn ihnen längst das Wasser bis zum Hals steht, sind verzweifelt, wütend, einsam, aber niemals durch und durch böse.

Und wenn sich dann der Drogenboss und der Drogenkurier in ihrer Empörung über den Polizisten einig sind, weil der gerade seinen Jungen auf der Autobahn im Stich gelassen hat, dann ist das auf eine skurrile Weise komisch. Jamel also sammelt Kessels Sohn auf – es ist tatsächlich eine eher unfreiwillige Entführung, ebenso fürsorglich wie berechnend. Und bringt ihn zu seinem designierten Schwager, einem religiösen Mann, der sich nun den Bart abrasieren muss, weil Jamel die Hochzeit mit seiner Schwester bezahlt. Kleinkrimineller gegen Islamist, das ist eine der köstlichen Nebenstränge dieses auch in den Nebenrollen – Martin Brambach als Leiter der Drogenfahndung, Anna Loos als Dillers Ehefrau – exzellent besetzten Films.

Die beiden Anti-Helden, die Polizisten-Freunde Kessel und Diller, sind im übrigen alte Bekannte. Es sind die Figuren aus „Unter Feinden“, einem Roman von Georg M. Oswald, den Becker 2013 verfilmte, was ihm im vergangenen Jahr eine weitere Nominierung für den Grimme-Preis eingebracht hatte. Mit „Zum Sterben zu früh“ dachte sich Becker selbst nun eine Vorgeschichte aus, in der Kessel noch kein Junkie ist, aber auf dem besten Weg dorthin.

Arte, 20.15 Uhr