Egon Günther wollte am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitarbeiten. Aber die Zensoren der DDR drangsalierten den Mann so lange, bis er 1978 in den Westen ging. Im Alter von 90 Jahren ist der viel zu wenig Erinnerte nun gestorben.

Stuttgart - Auf dem Papier war Egon Günther ein Musterkulturschaffender des Sozialismus: ein Arbeitersohn und ehemaliger Schlosserlehrling, der sich nun mit zeitgemäßen Adaptionen großer Literatur befasste und mit hoch gepriesenen Literaturverfilmungen wie „Junge Frau von 1914“ (1970) nach Arnold Zweig „Lotte in Weimar“ (1975) nach Thomas Mann und „Die Leiden des jungen Werthers“ (1976) nach Goethe und den Anspruch der DDR zu untermauern schien, die eigentliche Hüterin des deutschen Kulturerbes zu sein.

 

In Wirklichkeit waren diese Projekte bereits Ausweichbewegungen, zum Verbannungsprojekte, weil die Kulturbürokraten Günthers Bearbeitungen aktueller Stoffe fürchteten. Die Biografie des 1927 in Schneeberg im Erzgebirge Geborenen legt die ganzen Mühen und Schwierigkeiten des Filmemachens unter der Zensur offen. Günther hatte den Faschismus erlebt und den Krieg als Wehrmachtssoldat mitgemacht, für ihn waren die Phrasen vom Aufbau der besseren Gesellschaft eine ernst genommene Utopie. Er arbeitete zunächst erfolgreich als Schriftsteller und Drehbuchautor parallel, dann fast nur noch für Film, dessen Möglichkeiten und Feinheiten ihn so interessierten, dass er auch Regisseur wurde. Das Kino war für ihn ein wichtiges Instrument der Selbstüberprüfung der Gesellschaft, der Erkundung des realen Lebens. Aber „Wenn Du groß bist, lieber Adam“ von 1965, eine der besten Komödien, die je in der DDR entstanden, wurde gleich nach Fertigstellung verboten. Und das trotz heftiger Eingriffe und Veränderungen schon während der Dreharbeiten, die der Regisseur dulden musste.

Immer misstrauischer bemängelten die Parteilinienwächter das Subjektive, das Doppeldeutige, das Kritische an Günther. Vom Versteckspiel in den Stoffen der Vergangenheit hatte der Drangsalierte 1978 genug und ging in den Westen. Hier realisierte er unter anderem den TV-Dreiteiler „Heimatmuseum“ nach Siegfried Lenz, aber 1990 kehrte er prompt in den Osten Deutschlands zurück, neugierig auf Aufbau, und Änderungsmöglichkeiten. Er hat dann unter anderem in Potsdam-Babelsberg Filmstudenten unterrichtet, aber erleben müssen, dass sich jenseits der Spezialisten das vereinigte Deutschland kein bisschen für das Filmerbe der DDR, für die Utopien, Fragen und Werte der Filmkünstler interessierte. Am 31. August ist Egon Günther nun im Alter von 90 Jahren gestorben. Die Hoffnung, sein Werk werde doch noch einmal die Aufmerksamkeit finden, die es verdient, ist ein schwaches Kerzlein in windigen Zeiten.