Mit dem Vietnam-Film „The Deer Hunter“ wurde Michael Cimino 1978 zu einem der meistgelobten Männer Hollywoods. Bald danach galt der nun im Alter von 77 Jahren Gestorbene als Verrückter, als unheilbar losgelöst von allen Realitäten. Aber eigentlich bräuchten wir ihn noch. Ein Nachruf.

Stuttgart - Dass es in einer Hollywood-Karriere steile Aufs und Abs geben kann, gehört zur Faszination dieses Ortes. Schwierige Phasen und scheiternde Projekte dienen ja auch als Beleg dafür, dass einer wirklich etwas wagt. Dass er seinen Visionen folgt und nicht bloß brav abliefert, was die Filmindustrie für erprobt profitabel hält. Keiner aber war so kurz hintereinander so weit oben und so weit unten wie der Regisseur und Drehbuchautor Michael Cimino, der am Samstag im Alter von 77 Jahren gestorben ist.

 

Ende der Siebziger wurde Michael Cimino als eines der größten Genies gefeiert, die das Kino je hervorgebracht hat, als aufwühlender Erzähler, der Hollywood in eine neue Ära führen würde. Anfang der Achtziger galt er dann als kranker Egomane, dessen selbstverliebte Leinwandmalereien mit Erzählen nichts zu tun hätten. Dank undisziplinierter Geldvernichtung hatte er in den Augen seiner Kollegen nicht nur das Studio United Artists, sondern gleich das ganze Konzept des Autorenfilms in den USA auf dem Kerbholz.

Erfolg schafft Freiheit

Ciminos Höhepunkt war der Vietnamfilm „The Deer Hunter – Die durch die Hölle gehen“ (1978) mit Robert De Niro und Christopher Walken, der in eine kollektive Wunde fasste. Ein Teil des Films erzählte vom Leben amerikanischer Stahlarbeiter, von Proletariern, deren amerikanischer Traum keine goldenen Gewinnkarten enthielt und die jetzt in einen fernen, unverständlichen Krieg zogen. Der andere Teil des Films schilderte Dschungelkrieg und Kriegsgefangenschaft als kreischendes Martyrium. Die Studiochefs hatten in der Endphase der Produktion schon eine Totalpleite befürchtet, aber „The Deer Hunter“ begeisterte Publikum und Kritik und räumte fünf Oscars ab.

Erfolg schafft Freiheiten. Gewinnerwartung lockert alle Regeln. Nach dem Überraschungshit „The Deer Hunter“ bekam der am 3. Februar 1939 in New York geborene Cimino freie Hand für sein nächstes Projekt. Mit unerschütterlichem Selbstvertrauen wählte er ein Genre, das damals bereits als Kassengift galt, den Western. Und er versteifte sich darauf, den längsten, ungewöhnlichsten, poetischsten, traurigsten und politischsten Western aller Zeiten zu drehen, „Heaven’s Gate“ (1980) mit Kris Kristofferson und Jeff Bridges.

Gesprengte Drehpläne

Beim Studio United Artists wollte man anfangs verdrängen, welchen Ärger es schon am Set von „The Deer Hunter“ gegeben hatte. Cimino kam nämlich vom Werbefilm, von dem er nicht nur augenbetörende, zugespitzte Bilder mitgebracht hatte, sondern auch eine Was-kostet-die Welt-Attitüde, die man sich bei Dreißigsekündern für hochpotente Auftraggeber wohl auch leisten konnte.

Hochfahrend resistent gegen alle Einwände, Mahnungen und Anweisungen, sprengte Cimino nun alle Drehpläne und jeden Kostenrahmen. Bald hatte er „Heaven’s Gate“ am magischen Too-big-to-fail-Punkt, den wir heute von Zockerbankern kennen. Die Ausgaben waren bereits zu hoch, als dass United Artist sie als Verlust hätte abschreiben können – es musste weiterfinanziert werden.

Von allen gehasst

11,6 Millionen Dollar hätte der Film ursprünglich kosten sollen, aber als Cimino endlich mit einer 3 Stunden-40-Minuten-Variante aus dem Schneideraum kam, hatte er über 40 Millionen Dollar verbraucht. Das Einspielergebnis degradierte noch die schlimmsten Befürchtungen zu Zweckoptimismus: 1,3 Millionen Dollar. Und auch die meisten Kritiker hassten diesen Film – auch wenn einige ihr Urteil viel später klugerweise revidierten.

Autorenfilm im Sumpf

United Artists war zwar haarscharf am offenen Konkurs vorbeigeschrammt. Aber der Mutterkonzern Transamerica Corporation, entsetzt über die Verluste, verkaufte das Studio an einen Investor, der an den TV-Auswertungsrechten der Filmbibliothek interessiert war. Das einst von Charlie Chaplin und anderen Hollywood-Größen gegründete Studio, das den Kreativen mehr Freiraum schaffen sollte, war als Produzent neuer Stoffe und Filme erledigt.

Michael Cimino war nun der meistgeschmähte Mann in Hollywood. Die Kommerzfraktion hasste ihn, weil er den Wert des Dollars und die Weisungsbefugnis der Geldgeber nicht respektierte. Die Filmkunstfraktion hasste ihn, weil er die ganze Bewegung des New Hollywood, den Kampf um mehr Unabhängigkeit von Filmemachern von Studioanweisungen und Genremustern, in den Sumpf geführt hatte.

Ins eigene Messer

Umso erstaunlicher ist es, dass Michael Cimino danach überhaupt noch die Chance bekam, Filme zu machen. Aber die wenigen Projekte, die tatsächlich auf eine Leinwand kamen, schienen ja auch nicht von der Hoffnung ihrer Produzenten geprägt, ein Publikum zu erreichen. Sie schienen eher der Ausfluss des Grimms aller Cimino-Verächter, die dem Manne Gelegenheit geben wollten, ins eigene Messer zu laufen und die bösesten Vorwürfe gegen sich zu bestätigen.

Der Chinatown-Thriller „Im Jahr des Drachen“ (1985) etwa trägt tatsächlich rassistische Züge. Der Mafiafilm „Der Sizilianer“ (1987) lässt die Kamera ein unangenehmes Übermenschenporträt malen, das Bild eines großen Mannes, für den die Regeln der kleinen Welt nicht gelten.

Spannende Projekte

Aber auch wenn der Name Michael Cimino in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten vor allem ein Insiderwitz der filmhistorisch Beschlagenen war, der Inbegriff des bodenhaftungslosen Visionshysterikers: im Zeitalter endloser Superheldenverfilmungen und feiger Sequel-des-Sequels-Planerei denkt man manchmal wehmütig an ihn zurück. Er war lange noch mit Projekten beschäftigt, die nie bis zum Drehstart reiften. Und jedes dieser Vorhaben – eine „Porgy & Bess“-Adaption etwa oder ein Film über die Frühphase der chinesischen Revolution – hätte mit ein paar zügelnden Produzenten an Ciminos Seite wohl mehr Spannung ins US-Kino gebracht als die nächste „Star Trek“-, „Star Wars“- oder „Avengers“-Folge.