Dietz Werner Steck war nicht nur Felix Hubys Kommissar Ernst Bienzle. Aber der war er besonders gut. Zum Tod des schwäbischen Schauspielers, der Bienzle verkörperte, als sei er ein Stück von ihm.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Krimis im öffentlich-rechtlichen Fernsehen am Sonntagabend sind - nicht zu reden von den routiniert unter der Woche gezeigten – inflationär geworden, was zwangsläufig zu einer gewissen Stoffknappheit auf dem Markt geführt hat: Ein Mann, eine Frau - ein Mord ist halt strukturell eine monothematische Angelegenheit. Neuere Genrebeiträge – der Münsteraner „Tatort“ hat damit angefangen, gehen daher gerne auf eine Art von Metaebene, wo die klassische Frage nach dem „Wer war’s (wann, wo, wie und warum?)“ immer regelmäßiger in den Hintergrund treten, während im Zentrum die Befindlichkeiten respektive Neurosen der Kriminalkommissare gespiegelt werden. Das kann ziemlich weit gehen. Der letzte „Tatort“ aus Frankfurt ließ anfangs den neuen Amtsleiter mit Ernst-Jandl-Gedichten debütieren („Lechts und rinks kann man nicht velwechsern? Werch ein Illtum“), kultivierte die Macke als Marke und musste zwangsläufig in Absurdistan enden, wo eh die meisten TV-Krimis siedeln. Das war mal anders, und es hatte wohl damit zu tun, dass Macher und Beteiligte noch danach suchten, so etwas wie gesellschaftliche Verbindlichkeit herzustellen, auch und gerade mit einem Kunstprodukt.

 

Als Sohn schwäbischer Eltern in Berlin aufgewachsen

Bis der Waiblinger Dietz Werner Steck – von 1992 an zunächst für den SDR, dann für den SWR - den vom Schriftsteller Felix Huby ursprünglich für Romane erfundenen Kommissar Ernst Bienzle verkörperte (Name nach der bekannt guten Vaihinger Metzgerei), war man hierzulande nicht gerade verwöhnt gewesen mit „seinem“ Fernsehkommissar. In Stuttgart ermittelte, einmal im Jahr, von 1971 an Hauptkommissar Eugen Lutz (gespielt von Werner Schumacher): sein Rollenprofil hatte festgelegt, dass er als Sohn schwäbischer Eltern in Berlin aufgewachsen war. Davon blieb mentalitätsmäßig eine gewisse Grundgrantigkeit bis hin zum Pampigen haften. Kurzum: schlecht gelaunt und absolut humorlos tat der Immigrant Lutz seine Arbeit, und selbst wenn er privat Dixieland hörte und hübsch die Pfeife glimmte, verzog er keinen Mundwinkel. Für seinen Nachfolger war man also allein deswegen schon dankbar, weil es endlich einen gab. Und dann kam, wie gesagt, Dietz Werner Steck, den die Stuttgarter vom Staatsschauspiel her kannten, wo er seit den sechziger Jahren vorwiegend die kleinen und mittleren Rollen spielte: grundsolide, verlässlich. Steck hatte ein schwäbisches Fundament. Und Format.

Steck machte sich keine Stücke untertan

Im Prinzip hatte sich der Bienzle-Erfinder Felix Huby den Kerle anders vorgestellt, nämlich größer und massiger als es der eher feingliedrige Steck war. Andererseits wusste Huby, dass Steck Bienzle sein würde, als er ihn von der Bühne herunter überzeugte: als Säule. Steck war keiner, der sich die Stücke untertan machte. Er diente vielmehr - also schmückte er sie, mit Understatement. Und fertig war der Bienzle: ein Mann im Trenchcoat und mit Hut nach Art des amerikanischen Detective Columbo (mithin für Stuttgarter Verhältnisse schon fast ein Salonlöwe), der gleichwohl nichts Mondänes an sich hatte. Ganz im Gegenteil: Bienzle war erkennbar von hier, konnte auf sein Honoratiorenschwäbisch in der Sekunde vergessen, hatte Ecken und Kanten, aber auch das Herz auf dem rechten Fleck und einen Lieblingsitaliener am Südheimer Platz. Wenn er treten musste, trat er nach oben. Buckeln lag ihm nicht, unnützes Reden ebenfalls nicht. Immer ging es ihm um die Sache, den jeweiligen Fall: „Fangen Sie doch nicht jeden Satz mit ,Ich‘ an“, raunzt er einmal eine Kollegin an, die forsch und unbekümmert nach der neuesten Kriminal-Methodenlehre auftritt und vergisst, dass man es bei der Polizei auch dann noch mit Menschen zu tun hat, wenn sie offenkundig zu Verbrechern geworden sind. Ein Sachverhalt, den Bienzle zutiefst verinnerlicht hat. Nachdenklicher ist selten ein Kommissar zu Werke gegangen – und pflegte zu sagen: „Menschen sind wie Menschen sind“, wenn er wieder in einen Abgrund geblickt hatte.

Den Kopf hingehalten

Lange bevor Authentizität im Fernsehfilmbereich eine Pflichtvokabel wurde, ward sie von Bienzle gelebt, der in seinen besten, melancholischsten Momenten, von denen es einige gab, an Züge erinnerte, die dem großen Jean Gabin (nicht nur in Maigret-Verfilmungen) eigen waren: dann hielt er den Kopf hin, auch wenn es ihn kosten konnte.

Was ihm „wie Spitzgrad“ war, wie Steck auf gut schwäbisch sagte, hatte zumeist mit (Über)-Organisation zu tun, und als überorganisiert, kein Zweifel, empfand die Figur Bienzle nun mal den ganzen Apparat um sich herum, der ihm für seinen Geschmack zu selten gestattete, eigene Weg zu gehen und erstmal zu schweigen. Was auch heißen konnte, dass er in ein Viertelesglas hinein sinnierte. Aktionismus war seine Sache nicht, und wenn geschossen wurde, war er meist nicht in der Nähe. Bienze löste seine Fälle mit dem Kopf und (mehr noch vielleicht) mit dem Gemüt - so richtig Zutritt zu diesem seelischen Gebiet aber verschaffte er keinem: sowohl zum Assistenten Gächter (Rüdiger Wandel) wie zur Dauerfreundin Hannelore Schmiedinger (Rita Russek) blieb eine gewisse Distanz bestehen. Als Bienzle, wie Hannelore ihn rief („Du, Bienzle“) nach 15 Jahren „wilder“ Ehe gewissermaßen doch noch spießig werden wollte, nämlich heiraten, hörte er prompt ein „Nein“. Nachdem Steck 2007 den Bienzle dran gegeben hatte („Bienzles schwerster Fall“), ging er folgerichtig am penetranten Vermieter Rominger (Walter Schultheiß) vorbei und weg von Frau und warmer Suppe in der Wohnung in die Stuttgarter Nacht. Ein Mann, der partienweise im Dunkeln blieb. Bleiben wollte.

Zu diesem Zeitpunkt waren der Schauspieler Steck und die Rolle Bienzle öffentlich fast zu Synonymen geworden - eine Festlegung, der Steck immer mal wieder entgegengewirkt hatte, wenn er auf dem Boulevard zum Ausgleich in Thaddäus Trolls Stück „D’r Entaklemmer“ oder in „Grüßgott, Herr Minischter“ mitspielte. Immer feinsinnig, nie laut. Die letzen Jahre verbrachte der seit 1971 mit seiner Frau Hanna verheiratete Steck in einem Pflegeheim in Stuttgart-Birkach. Dort ist Dietz Werner Steck, wie erst jetzt bekannt wurde, bereits an Silvester gestorben. Er wurde 80 Jahre alt.