Ein Arbeitsvertrag und ein Sprachkurs machen noch keine Integration, sagt Gari Pavkovic, bei der Stadt Stuttgart zuständig für die Integration. Auch heute noch sei der Umgang mit Neubürgern aus dem Ausland oftmals von kurzfristigem Denken geprägt.

Lokales: Mathias Bury (ury)
Stuttgart – - Lange Jahre ist Zuwanderung kein bedeutendes Thema gewesen. Der Fachkräftemangel und die zunehmende Zahl von Flüchtlingen haben das verändert. Haben die Politik und die Gesellschaft etwas gelernt aus den Fehlern, die bei früheren Einwanderungswellen gemacht worden sind? Ja, sagt Gari Pavkovic, der Leiter der Abteilung Integration bei der Landeshauptstadt, aber nur bedingt.
Nach der großen Einwanderungswelle in den 60er Jahren von damals „Gastarbeiter“ genannten Arbeitsmigranten werden nun wieder Arbeitskräfte im Ausland angeworben. Sind die Entwicklungen vergleichbar?
Vergleichbar ist, dass wir auch heute in vielen Branchen einen Mangel an Arbeitskräften haben, den wir nicht mit eigenem Nachwuchs decken können. Deutlich anders ist heute aber, dass wir jetzt qualifizierte Kräfte suchen, nicht nur aus akademischen Berufen wie Ingenieure oder Informatiker, sondern auch Pflegekräfte, Erzieherinnen, Handwerker.
Rein zahlenmäßig hatte der Zuzug von Arbeitskräften in den 60er Jahren aber doch eine ganz andere Dimension?
Es gibt Zahlen für Stuttgart, wie viele Fachkräfte wir in den nächsten Jahren benötigen werden. Bis 2030 fehlen in der Stadt und in der Region etwa 65 000 Arbeitskräfte. Das ist eine sehr hohe Zahl, die an die Zuwanderung der 60er herankäme.
Und diese Menschen sollen auch bleiben.
Bei der Zuwanderung der sogenannten Gastarbeiter bestand auf beiden Seiten lange die Illusion, es handle sich um ein zeitlich begrenztes Modell. Heute kommen zu einem großen Teil Menschen aus den Mitgliedstaaten der EU zu uns, im Zuge der Freizügigkeit, es ist also von Anfang an klar, dass sie hierbleiben können.
Das ist eine wesentliche Verbesserung.
Man muss leider sagen, dass man auch jetzt noch nicht wirklich die langfristigen Folgen der Anwerbung berücksichtigt. Im Fokus steht der momentane Bedarf: wir brauchen Erzieherinnen, Pflegekräfte, Ingenieure. Aber auch jetzt kommen Menschen mit allen ihren Bedürfnissen zu uns, sie bringen Familien mit Kindern mit, es entsteht ein entsprechender Eingliederungsbedarf. Es ist jedenfalls nicht alleine damit getan, dass sie einen Arbeitsvertrag haben und einen Deutschkurs besuchen.
Aber es gibt heute doch sogar verpflichtende Integrationskurse und anderes mehr?
Sicher: früher hatte man gar keine staatliche gesteuerte Integrationspolitik. Von den „Gastarbeitern“ wurde gar nicht gefordert, dass sie gute Deutschkenntnisse erwerben. Heute ist klar: eine hohe Qualifikation ist notwendig für eine erfolgreiche berufliche Integration. Man ist auch sensibler dafür, dass, wenn Familien mit Kindern kommen, die Integration auch von der gelingenden Bildung der Kinder abhängt. Wir haben die Themen eher auf dem Schirm.
Was fehlt noch?
Um Fachkräfte zu halten, bedarf es bezahlbarer Wohnungen und einer gelebten Willkommenskultur im Alltag.
Derzeit gibt es zwei parallele Entwicklungen: die Zuwanderung von Fachkräften und die Zunahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten. Man hat manchmal den Eindruck: die eine ist gut, die andere schlecht. Aber kann man beides voneinander trennen?
Erst mal sind Flüchtlinge die eher unwillkommenen Zuwanderer in Deutschland, die aufzunehmen uns humanitäre Gründe, das Asylrecht und internationale Flüchtlingskonventionen verpflichten. Flüchtlinge sind deshalb oft lange in einem Schwebezustand, bis entschieden wird, ob sie hier bleiben können oder nicht. Aber viele dieser Flüchtlinge, die aus dem Nahen Osten oder anderen Kriegsgebieten der Welt zu uns kommen, sind auch gut qualifizierte Fachkräfte. Die dürfen aber nicht arbeiten, ihre Qualifikation wird nicht gesehen.
Das Kuriose ist: mit einem Welcome Center, für das Sie derzeit ein Konzept entwickeln, will man die Integration von Zuwanderern beschleunigen, die Asylpolitik auf der anderen Seite bewirkt aber das Gegenteil.
Seitens der Bundespolitik gibt es Ängste, dass mehr Flüchtlinge nach Deutschland kämen, wenn man den eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt aufheben würde. Aus kommunaler Sicht ist es kontraproduktiv, den Menschen das Arbeiten erst mal ganz zu verwehren und dann nur eingeschränkt zuzulassen. Auch Flüchtlinge müssen integriert werden in die Stadtgesellschaft, ob sie nun auf Zeit oder auf Dauer hier leben. Oft kann man vorher gar nicht sagen, wie lange ein Asylbewerber hier sein wird. Bis zur Anerkennung und dem damit verbundenen Bleiberecht können bis zu zehn Jahre vergehen. Deshalb bieten wir auch kommunal geförderte Deutschkurse in Flüchtlingsunterkünften für Menschen an, die von den Bundesintegrationskursen ausgeschlossen sind. Auf kommunaler Ebene sind auch Flüchtlinge Neustuttgarter, die es zu integrieren gilt.
Hat die Stadt beim Thema Arbeit überhaupt irgendeine Handlungsmöglichkeit?
Oberbürgermeister Kuhn will mehr freiwillige Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge schaffen. Gemeinnützige Jobs erleichtern den späteren Einstieg in den Arbeitsmarkt. Für die berufliche Integration anderer Zuwanderergruppen haben wir Maßnahmen wie berufsbezogene Deutschkurse, Beratung bei Existenzgründungen, wir arbeiten eng mit der Arbeitsagentur und den Kammern zusammen. Nicht zuletzt ist die Stadt selbst eine wichtige Ausbilderin und Arbeitgeberin für Migranten.
Inzwischen, so scheint es, hat sich die Meinung allgemein durchgesetzt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Ist diese Einsicht schon gelebte Kultur?
Es gibt in Stuttgart einen normalen Umgang von angestammten und eingewanderten Bürgern. Damit wird de facto anerkannt, dass wir eine internationale Stadtgesellschaft sind. Was aber noch nicht gesehen wird: wir sind ein Einwanderungsland, aber auch ein Auswanderungsland. Wenn wir als Einwanderungsland nicht attraktiv sind, werden wir in Zukunft ein schrumpfendes Land werden.
Was muss sich ändern?
Die Aufteilung der Gesellschaft, die lautet: wir und die Reingeschmeckten, die nicht so richtig dazugehören – diese Tradition passt nicht mehr in das 21. Jahrhundert. Wir sind ein globales Dorf, Weiterentwicklung ist nur mit Freizügigkeit und im interkulturellen Austausch möglich. Immerhin haben wir eine tolerante Grundhaltung, vielleicht sogar ausgeprägter als in anderen europäischen Ländern, es gibt bei uns jedenfalls noch keine ausländerfeindliche Partei, die viele Stimmen bekommt. Der offene, kosmopolitische Geist, dass jeder irgendwoher kommt und gleichberechtigt zählt, dass Herkunft, Aussehen und Name keine Rolle spielen, ist aber noch nicht selbstverständlich und muss stärker werden.