Die Regeln für Arbeitsmigranten sind schon jetzt sehr liberal. Trotzdem streitet die Koalition über den Reformbedarf. Als Vorbild dient dabei das kanadische Punktesystem.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Inzwischen ist selbst bei den C-Parteien unstrittig, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Bedarf es deshalb auch eines Einwanderungsgesetzes? Da herrscht in der großen Koalition kein Konsens. Die SPD sagt: Ja. Sie will sich Kanada zum Vorbild nehmen. Die CSU und CDU-Konservative wie Fraktionschef Volker Kauder wollen eine Debatte unterbinden. Die Kanzlerin ist unschlüssig. Ihr Generalsekretär Peter Tauber unternimmt hingegen immer neue Anläufe, um sich für ein Einwanderungsgesetz starkzumachen. Wir bieten hier einen Überblick, was damit geregelt werden könnte und welche Ideen es dafür gibt.

 

Wie viele Einwanderer gibt es? Im Verlauf des Jahres 2013 sind mehr als 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland gezogen. Die meisten von ihnen haben sich aber nicht dauerhaft hier angesiedelt. Viele bleiben nur kurzfristig. Zudem sind im gleichen Zeitraum fast 800 000 Menschen weggezogen. Der Begriff „Einwanderung“ meint nur diejenigen, die sich für längere Zeit niederlassen. Der Zuzug lässt sich in drei Gruppen gliedern: Flüchtlinge, EU-Bürger und Menschen aus anderen Ländern, sogenannten Drittstaaten. 2013 hatten 127 000 Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt. Von den 1,2 Millionen, die zugezogen sind, kamen 707 000 aus der Europäischen Union. Sie genießen Freizügigkeit. 363 000 Menschen sind aus Ländern außerhalb der EU zugezogen. Nur diese Gruppe wäre das Zielpublikum eines Einwanderungsgesetzes. Denn die Zahl der Flüchtlinge lässt sich nicht steuern. Sie ist von Krisen, Kriegen und Konflikten abhängig. Die Freizügigkeit ist EU-Recht.

Die Hürden für Hochqualifizierte sind gesenkt worden

Wie ist die aktuelle Rechtslage? Viele Wege führen nach Deutschland. Das gilt auch für die schwer überschaubare Zahl an rechtlichen Titeln, die einen Aufenthalt gestatten. Die Paragrafen, die das regeln, sind weit gestreut: im Asylrecht, im Aufenthaltsgesetz und in der Beschäftigungsverordnung. Die Verfechter eines Einwanderungsgesetzes haben vor allem Arbeitskräfte, Forscher und wissenschaftlichen Nachwuchs aus dem Ausland im Blick. Die sogenannte Arbeitsmigration hat bisher aber nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Weniger als die Hälfte der EU-Zuzügler kommen nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Bei den Menschen, die aus Drittstaaten einreisen, sind es etwa zehn Prozent: 33 600 im Jahre 2013.

Deutschland hat die rechtlichen Möglichkeiten für Ausländer, die hier arbeiten wollen, Schritt für Schritt verbessert. Inzwischen gilt das Zuwanderungsrecht für Leute, die in Deutschland eine Stelle suchen, als eines der liberalsten weltweit. Zu diesem Urteil kommt der Sachverständigenrat führender deutscher Stiftungen in seinem Jahresgutachten 2014. Seit August 2012 gibt es die Bluecard. Damit wurden die Hürden für eine Einwanderung hochqualifizierter Fachkräfte weiter gesenkt. Sie dürfen nun einreisen, wenn sie einen Arbeitsvertrag haben, der ihnen mindestens 46 400 Euro Jahresgehalt garantiert. In Berufen mit Fachkräftemangel liegt die Mindestgrenze noch erheblich tiefer, nämlich bei 36 200 Euro. Auch Angehörige von Bluecard-Besitzern haben ungehindert Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Zudem wurden Auflagen für Unternehmer, die in Deutschland eine Firma gründen wollen, minimiert. Akademiker, die nach dem Studienabschluss hier einen Job suchen wollen, haben jetzt 18 statt wie bisher 12 Monate Zeit dafür. Die 2013 reformierte Beschäftigungsverordnung erleichtert auch Fachkräften ohne Examen den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

SPD will eine Migrationspolitik aus einem Guß

Was ließe sich verbessern? Die SPD will sich das kanadische Einwanderungsrecht zum Vorbild nehmen. Interessenten erhalten dort Punkte für spezielle Qualifikationen. Doch die Kanadier haben mit ihrem System nicht die besten Erfahrungen gemacht. Sie blicken interessiert nach Deutschland, wo vor allem gilt: wer einen Arbeitsplatz findet, darf in der Regel auch einreisen. Daran wollen die Modernisierer in der CDU festhalten. Sie sagen zudem: „Wir brauchen Staatsbürger, nicht nur Arbeitskräfte.“

Die Stiftungen befürworten eine „Migrationspolitik aus einem Guss“. Berufliche Qualifikationen, die im Ausland erworben wurden, sollten leichter und schneller anerkannt werden. Im Zweifel müsse es die Möglichkeit geben, sich in Teilbereichen nachzuqualifizieren. Im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe müsse Deutschland berufsorientierte Deutschkurse und gezielte Beratungen für akademischen Nachwuchs anbieten. Die Stiftungen stehen eher auf Seiten der CDU: „Arbeitsvertrag und Berufsqualifikation sollten weiterhin die zentrale Voraussetzung für eine Zuwanderung bleiben.“