Der Oberbürgermeister spricht zwar öffentlich von Wohnungsnot, trotzdem wird der Wohnungsmangel in der Stadt nicht offiziell gemacht. Ein Gesetz gegen grundlosen Leerstand kann daher nicht angewandt werden.

Stuttgart - In Stuttgart herrscht Wohnungsnot respektive Wohnungsmangel – das haben OB Fritz Kuhn (Grüne) und der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU) mehrfach öffentlich festgestellt. Trotzdem münden ihre Aussagen nicht in politisches Handeln, sagen ihre Kritiker. Die SPD und die Fraktion SÖS-Linke-Plus werfen den Bürgermeistern Untätigkeit vor.

 

Das aktuelle Streitthema trägt den Namen „Zweckentfremdungsverbot“. Dieses Gesetz wurde vom Landtag im Dezember 2013 verabschiedet. Abgesehen davon, dass es die Umwandlung von Wohnungen in Büros verhindern soll, richtet sich das Gesetz auch gegen Leerstand. Eigentümer, die eine freie Wohnung mehr als sechs Monate ohne guten Grund nicht vermieten, müssen mit Geldbußen von bis zu 50 000 Euro rechnen. Doch bevor dieses Gesetz in Stuttgart greift, muss ihm die Verwaltung zur Geltung verhelfen. Dafür ist eine kommunale Satzung vonnöten. Kuhn muss also den Wohnungsmangel offiziell machen.

Ein Zweckentfremdungsverbot gegen den Leerstand

Die Verwaltung habe bisher trotz der dringlichen Situation keinen Satzungsentwurf für ein Zweckentfremdungsverbot vorgelegt, heißt es in einem Antrag von SPD und SÖS-Linke-Plus. Dies sei von Kuhn und Föll damit begründet worden, „dass die Landesverwaltung zunächst exakt regeln müsse, wann und wie für eine Stadt Wohnraummangel festzustellen sei“, heißt es im Antrag vom 6. Oktober. In einem aktuellen Antrag von SÖS-Linke-Plus wird die Verwaltung aufgefordert, umgehend einen Satzungsentwurf für ein Zweckentfremdungsverbot vorzulegen und den Antrag auf der nächsten Sitzung des Ausschuss für Wirtschaft und Wohnen am 5. Dezember auf die Tagesordnung zu setzen.

Aus Sicht der beiden Fraktionschefs stellt die Verwaltung eine Verbindung zwischen Kommune und Land her, die so nicht existiert. „Das ist eine pure Nebelkerze“, kritisiert Tom Adler, der Fraktionschef von SÖS-Linke-Plus, „mit dieser Halbinformation werden die anderen Stadträte eingeseift.“ Auch der SPD-Fraktionschef Martin Körner ärgert sich: „Diese Verquickung von Stadt und Land ist nachhaltig falsch.“ Beide glauben, dass sich mit dem Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart bis zu 5000 leer stehende Wohnungen gewinnen lassen. Von rund 300 000 Wohnungen sollen 11 400 in der Stadt leer stehen. Eine Quote von rund drei Prozent gilt unter Immobilienexperten durchaus als normal.

Das Land erarbeitet eine „Gebietskulisse“

Derzeit arbeitet auch das Land an einer Verordnung zum Wohnungsmangel. Doch: „Zwischen den beiden Papieren besteht, abgesehen von der thematischen Nähe, keine Verbindung“, erklärt Frank Kupferschmidt, Pressesprecher des Wirtschaftsministeriums. Die sogenannte Gebietskulisse des Landes soll im Frühjahr 2015 vorgestellt werden. Damit will die Landesregierung die Gegenden definieren, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen sehr gefährdet ist. Mit dieser Landesverordnung soll den Bundesgesetzen, der Kappungsgrenze und der Mietpreisbremse, in festgelegten Städten zur Geltung verholfen werden. Die Kappungsgrenze beschränkt die Höhe der Preissprünge bei bestehenden Verträgen von 20 Prozent in drei Jahren auf 15 Prozent im selben Zeitraum. Die Mietpreisbremse begrenzt die Verteuerung derselben Wohnung nach einem Mieterwechsel auf maximal zehn Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete – in Stuttgart gilt als Vergleich der Mietspiegel.

Stein des Anstoßes für das erneute Engagement in Sachen Wohnungsnot: Freiburg hat eine entsprechende Satzung erlassen – ohne auf das Land zu warten. Der Erlass ist dort im Februar in Kraft getreten. Die Freiburger Verwaltung begründet ihren Schritt vor allem mit der häufigen Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen. Das Thema Leerstand habe bei den Überlegungen nicht im Vordergrund gestanden, heißt es aus Freiburg weiter.

Die Stadt lässt dem Land den Vortritt

Auf Anfrage der StZ erklärt der Pressesprecher der Stadt Stuttgart, Andreas Scharf: „Wir wollen die Verordnung des Landes abwarten, auch wenn lediglich ein thematischer Zusammenhang besteht.“ Zudem sei es nicht einfach, ausreichend Fakten zu sammeln, um Wohnungsmangel statistisch sauber zu belegen, so Scharf. „Da das Land diese Daten derzeit ohnehin erhebt, wollen wir uns das ansehen und entsprechend reagieren.“

Im Gegensatz zu Körner und Adler glaubt der Geschäftsführer des Stuttgarter Haus- und Grundbesitzervereins, Ulrich Wecker, nicht, dass bis zu 5000 Wohnungen für den Mietmarkt gewonnen werden können. „Vielleicht könnten zwei oder drei Wohnungen eingeklagt werden. Doch für diesen Ertrag lässt sich ein derart scharfes Schwert wie das Zweckentfremdungsverbot nicht rechtfertigen.“ Die Vermieter würden ohnehin mit zusätzlicher Bürokratie überschüttet.