Die Schwaben Markus Kirwald und Gregor Hübner haben in New York Karriere gemacht. Sie lieben ihre neue Heimat, auch wenn in der alten Heimat manches besser läuft.

New York - Markus Kirwald, 49, sieht aus, wie Männer heutzutage aussehen, wenn sie es in Manhattan zu etwas gebracht haben: Ein grau melierter Vollbart umrahmt das markante Gesicht, die Ärmel seines Hemds trägt er lässig hochgekrempelt. In perfektem Englisch dirigiert er sein Orchester an Mitarbeitern. Dann wechselt er in seine Muttersprache. Markus Kirwald schwätzt, als hätte er die Schwäbische Alb nie verlassen – und sitzt dabei im Herzen New Yorks. Als Produktionsmanager trägt er bei der Firma Stoll große Verantwortung, Meetings mit wichtigen Designern gehören zu seinem Alltag. Das schwäbische Unternehmen ist weltweiter Marktführer in der Herstellung industrieller Strickmaschinen.

 

Kirwalds erste Karriereschritte klingen nach einem klassisch schwäbischen Werdegang: In Talheim geboren, macht er in Mössingen eine Schreinerlehre und wechselt dann die Branche. Er studiert Textilwirtschaft in Reutlingen und arbeitet als Werkstudent bei der ortsansässigen Firma Stoll. Daraus ergibt sich eine Festanstellung, die ihn nach dem Studium für dreieinhalb Jahre in die New Yorker Dependance führt. Dann kehrt er in die Reutlinger Zentrale zurück, wird aber in den folgenden 19 Jahren regelmäßig auf Geschäftsreisen ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten geschickt.

Ein Wendepunkt in seinem Privatleben – Markus Kirwald will keine Details preisgeben – macht ihn schließlich zum Fulltime-New-Yorker. „Gott hat mir eine Tür aufgemacht“, sagt er, der sich in einer Freikirche engagiert. Auf der Suche nach einer neuen Perspektive schaut er sich 2008 im Stellenportal seines Arbeitgebers um. Seinerzeit baut Stoll in New York einen neuen Standort auf, im Garment District, einem angesagten Stadtviertel mitten in Manhattan. Alle wichtigen Modemarken sitzen dort. Kirwald bewirbt sich für die Stelle des Managers. Dann geht alles ganz schnell. Schon am Tag nach der Zusage hält er sein Businessvisum in der Hand, acht Monate später die begehrte Greencard. Er ist jetzt ein New Yorker.

Ein Logenplatz in der Megacity

Viel Zeit zum Nachdenken blieb also nicht. Dass er die Entscheidung nie bereut hat, glaubt man Kirwald aufs Wort, wenn man ihn im Stoll-Werk in New York durch die Räume schwirren sieht. Mit charmanter Zurückhaltung gleicht er Termine mit Kollegen ab, bevor er sich wieder an den Schreibtisch setzt. Von Kirwalds Arbeitsplatz aus kann man die umtriebigen New Yorker beobachten. Das verglaste Atelier ist einer der Logenplätze der Megacity und eines der Privilegien, die der Manager genießt.

Als der Standort aufgebaut wurde, hatte Kirwald viel mit Handwerkern zu tun. Und erkannte schnell: mit schwäbischer Technik können die New Yorker nicht mithalten. Also legte der Chef selbst Hand an. Der gelernte Schreiner vermisst in seiner neuen Heimat Pünktlichkeit, Genauigkeit und Qualität. Der Rest der deutschen Mentalität fehlt ihm hingegen nicht. Er schätzt die amerikanische Lockerheit.

Heimat ist für Markus Kirwald nun, wenn die Bedienung im Coffeeshop schon bei der Begrüßung weiß, was er kriegt. In einer riesigen Stadt wie New York brauche man solche Anker. „Alle suchen, wissen aber nicht, was“, erzählt er. „Die Oberflächlichkeit ist brutal, macht den Alltag zwar angenehmer, aber am Ende des Tages sind viele Leute hier einfach leer.“

Die Geschichte der deutschen Auswanderer

Deutsche Auswanderer sind im Jahr 2015 nicht leicht zu finden in der Metropole am Hudson River. Das war einmal anders: Im 19. Jahrhundert lebten in Little Germany an der Lower East Side rund eine Viertelmillion Deutschstämmige, was einem Viertel der damaligen Bevölkerung New Yorks entsprach. Sie verkauften deutsches Brot, beteten in deutschen Kirchen und verbrachten ihre Freizeit in deutschen Vereinen. Little Germany war ein Viertel, in dem über Blocks hinweg kein Wort Englisch gesprochen wurde.

Anders als beispielsweise die italienische Minderheit, die nach wie vor in Little Italy anzutreffen ist, haben sich die Deutschen längst untergemischt, den Melting Pot, wie die Amerikaner ihren Schmelztiegel verschiedener Kulturen nennen, bereichert und sind Amerikaner geworden. Viele Deutsche gaben dafür sogar ihren Namen her – oder verpassten ihm einen englischen Anstrich. Herr Müller wurde Mr. Miller, Frau Schmidt nannte sich Mrs. Smith. Das Einwanderungsmuseum auf Ellis Island zeichnet die Geschichte der Deutschen New Yorks eindrücklich nach.

Nun erlebt das Deutsche in Manhattan eine kleine Renaissance. Bei „Landbrot“ kann man morgens Pumpernickel und abends Maultaschen genießen, sich in Yorkville im „Heidelberg“ in zünftiger Oktoberfest-Atmosphäre Sauerbraten und Dinkelacker-Bier einverleiben oder bei einer Motto-Stadtführung die Spuren der Deutschen New Yorks entdecken.

Die Anziehungskraft des Big Apple

Gregor Hübner Foto: Ana-Marija Bilandzija

Gregor Hübner, 48, hat einen romantischen Blick auf seine neue Heimat. Er lebt in Harlem, einem Viertel Manhattans, das ursprünglicher, bunter, aber auch ärmer ist als der schicke Süden der Insel. Als Jazzmusiker und Violinist kann er sich keinen besseren Wohnort vorstellen: Die Gegend inspiriert ihn.

Anders als Markus Kirwald spürt Gregor Hübner schon früh die Anziehungskraft des Big Apple. Mit 17 macht er in New York einen Sprachkurs, kommt bei einer Gastfamilie unter. Nach einem Monat geht ihm das Geld aus, er lernt die bittersüße Seite seiner späteren Heimat kennen und erspielt sich sein Taschengeld als Straßenmusiker. Der Anfang seiner Karriere.

Aufgewachsen in Ravensburg, Musikstudium in Stuttgart und Wien, Master in den Fächern Jazz/Performance und Komposition an der Manhattan School of Music. Seit seinem Abschluss tourt Hübner von Harlem aus durch die Welt. „Das Auswandern hat mir einen Karriereschub verpasst.“ Wie schwer es ist, als Musiker in Deutschland Fuß zu fassen, erlebt er, wenn er in seiner alten Heimat arbeitet. Eine Professur einzurichten sei in Deutschland beispielsweise „ein Riesenaufwand, die Bürokratie bremst die Kreativität“.

Die Schattenseiten von New York

Stolz erzählt Hübner, dass sein Sohn Ysai in seine Fußstapfen treten will. Auch er will Musiker werden, singt bereits im Chor der renommierten Metropolitan Opera und hofft auf ein Studium in Yale. Ohne Stipendium dürfte das schwierig werden: „Das Bildungssystem gibt einem allerhand Gründe, nach Deutschland zurückzugehen. Meine Frau hat bis vor Kurzem die Kredite für ihr Studium abbezahlt.“ Mit Laajuana und den beiden Kindern Ysai und Naima lebt der Jazzmusiker in einer Ecke Harlems, in der die Nachbarn den Nachmittag auf der Treppe vor dem Haus verbringen und wo Musik in allen Farben aus den Fenstern tönt.

Die Leute grüßen Gregor Hübner auf der Straße, man kennt den braun gebrannten Musiker mit dem dezent deutschen Akzent. Diese Offenheit fehle den Deutschen einfach, sagt er. „Kunst darf in Deutschland keine Grenzen sprengen, nicht unberechenbar sein.“ Dabei sei gerade das spontane Spiel das Schönste an seinem Beruf: „Hier gibt es Clubs, in denen jeden Abend andere Musik läuft. Wenn ein Song den Leuten gefällt, ist er gut.“

Die Schattenseiten dieser amerikanischen Großstadtlässigkeit kennt der 48-Jährige genauso gut. Jetzt, da seine Kinder Teenager sind, bereiten ihm die strukturellen Probleme in New York zunehmend Sorgen: Was Sicherheit oder Bildung angeht, lägen Stuttgart oder Ravensburg weit vor New York, gibt er zu. „Wir haben mit dem Gedanken gespielt, wegen der Kinder zurückzugehen“, sagt er. „Aber alle Zelte in New York abbrechen? Niemals.“