Das Spiel Frankfurt gegen St. Pauli zeigt, dass der Fußball auf viel verzichten kann - vor allem auf die Ultras, aber nicht auf die Fans.

Frankfurt - Vielleicht ist Thomas Kessler einfach gegen die alten Kollegen ein bisschen zu aufgeregt gewesen, um gleich zu realisieren, was sich in seinem Rücken abgespielt hat. Oder besser: nicht abgespielt hat. Der neue Torhüter von Eintracht Frankfurt stand in der zweiten Halbzeit des Aufeinandertreffens der beiden Bundesligaabsteiger gegen seinen Ex-Verein FC St. Pauli (1:1) vor jener gewaltigen Westtribüne, auf der sich normalerweise eine der lautesten und mächtigsten Fangruppierungen im Lande positioniert. "Irgendwann ist mir aufgefallen: da steht ja gar keiner", berichtete der 25-Jährige. Sogar die blauen Sitzschalen der Frauen-Weltmeisterschaft waren noch hinter Kessler angeschraubt; schließlich war die gesamte Frankfurter Fankurve gesperrt. Das war die Folge aus den viel zu vielen Verfehlungen der Eintracht-Anhänger.

 

Der fade Montagskick vor einer erzwungenen Minuskulisse belegte einmal mehr, dass der Profifußball auf vieles an dem aufgebauschten Beiwerk in deutschen Arenen verzichten kann - aber Zuschauer bleiben ein so unverzichtbares Element wie der Spielball. "Leider musste dieses Partie vor 16.500 Besuchern stattfinden, dabei hätte es 50.000 verdient gehabt", befand der Hamburger Trainer André Schubert, der die Darbietung als Mahnmal dafür sieht, "dass sich alle Fans wirklich zusammenreißen". Sein Kollege Armin Veh, wegen der teils krottenschlechten Leistung seines Ensembles ohnehin schlecht gelaunt, stieß ins gleich Horn: "Die Geisterkulisse war sicherlich kein Heimvorteil. Der Grund, dass so ein Spiel wie gegen St. Pauli nicht vor größerer Kulisse stattfinden darf, muss beseitigt werden." Randalierer, so der Eintracht-Trainer, dürften einfach nicht mehr das Stadion betreten.

Die Ultra-Fanszene hat sich eine Machtposition erkämpft

Aber genau dies ist der auch vom DFB-Sicherheitsbeauftragten Helmut Spahn oft kritisierte Knackpunkt in Frankfurt, wo die Ultra-Fanszene sich eine Machtposition erkämpft hat, die zur Folge hat, dass Unruhestifter seit Jahren in der Masse untertauchen können. Zum Leidwesen des Frankfurter Vorstandsbosses Heribert Bruchhagen, der bestätigte, dass der Verein einen Einnahmeverlust von rund einer halben Million Euro erlitten habe - nicht eingerechnet ist dabei der Vertrauensverlust. Seine Hoffnung: "Es muss ein Verantwortungsgefühl von den 99 Prozent friedlichen Fans entstehen, die gewaltbereiten Chaoten nicht zu decken." Insofern könne die drastische Strafaktion aus der benachbarten DFB-Zentrale etwas Gutes haben, "wenn jetzt eine Selbsterkenntnis einsetzt" (Heribert Bruchhagen).

Der wertkonservative Vereinschef weiß allerdings, wie schwierig nicht nur die externe Identifizierung inklusive Verurteilung der Gewalttäter fällt ("Die Ermittlungen aus dem Köln-Spiel dauern immer noch an"), sondern auch die interne Aufarbeitung. "Es gibt keinen bei der Eintracht, der sich dieser Problematik nicht annimmt", bestätigte Bruchhagen, "alle Gremien beschäftigen sich damit intensiv." Dem Vernehmen nach gerieten indes nun bei einer Beiratssitzung der AG-Vorstand und Vertreter des Muttervereins so heftig aneinander, dass Präsident Peter Fischer am Montag noch vor Anpfiff die Arena verließ. Wie schwer die realistische Einschätzung der imageschädigenden Lage fällt, wurde an der Aussage des Vorstandsmitglieds Klaus Lötzbeier deutlich: "Ich fand die Stimmung in Ordnung. Andere Zweitligisten wären froh, wenn sie so eine Kulisse und solch eine Lautstärke im Stadion hätten."

"Trend zum Fußball ohne Zuschauer"

Der Eintracht-Vorstand hat mittlerweile eine bindende "Liste der Selbstverständlichkeiten" für seine Anhänger erlassen und will keine Form der Gewalt mehr dulden, doch schon für das DFB-Pokalspiel am Samstag beim Halleschen FC hat die mächtige Ultra-Gruppierung zu einem Auftritt aufgerufen, der nichts Gutes erahnen lässt.

Sollten sich indes Fanausschreitungen mit Frankfurter Beteiligung wiederholen, wird ein echtes Geisterspiel unausweichlich. Und dann wäre Wirklichkeit, was St. Paulis Kapitän Fabian Boll am Montag noch mit Sarkasmus kommentierte: "Ich kann das alles nicht mehr nachvollziehen, aber vielleicht geht der Trend zum Fußball ohne Zuschauer."