In der Stiftskirche ist der schweren Luftangriffe auf Stuttgart vor siebzig Jahren gedacht worden. Der Stadtdekan Hermes spannte den Bogen zu aktuellen Kriegen und Konflikten.

Stuttgart - Wie jedes Jahr am 13. September ist um elf Uhr die alte Torglocke der Stiftskirche zur Erinnerung an die Luftangriffe auf Stuttgart vor 70 Jahren von Hand geläutet worden. Damals waren weite Teile der Innenstadt zerstört worden. Den ökumenischen Gottesdienst am Samstag leiteten der evangelische Stadtdekan Søren Schwesig und der katholische Stadtdekan Christian Hermes. Der gut besuchte Gottesdienst begann mit einer Lesung, in der die Ereignisse der Nacht vom 12. auf den 13. September 1944 geschildert wurden. 957 Menschen kamen bei dem Angriff britischer Bomber ums Leben. Durch den Massenabwurf von Brandbomben wurde ein Feuersturm ausgelöst, der eine Fläche von vier Quadratkilometern des Stadtgebiets zerstörte.

 

Während des Gottesdienstes schilderte der Stuttgarter Heinz Rittberger, der die Angriffe als kleiner Junge in der Rosenstraße im Bohnenviertel erlebt hatte, seine Erinnerungen. Die Geschehnisse dieser Nacht hätten ihn noch lange verfolgt: „Ich litt unter einem immer wiederkehrenden Traum, in dem unser Haus während des Bombenangriffs über mir zusammenstürzt“, erzählte Rittberger.

Der katholische Stadtdekan Christian Hermes warnte in seiner Predigt davor, die Ereignisse dieser Nacht zu vergessen: „Eine der größten Schwachstellen unserer Gesellschaft zeigt sich, wenn wir den Frieden und die Stabilität für selbstverständlich oder gar naturgegeben hinnehmen“, sagte Hermes. Dass dieser Frieden etwas Besonderes sei, zeige ein Blick in die Krisenregionen weltweit.

Hermes schließt militärische Gewalt nicht aus

Hermes wies vor allem auf die Verfolgung von Christen in Syrien und dem Irak hin: „Das passiert jetzt, heute, in dieser Stunde. Das ist eine Not, die zum Himmel schreit und die uns nicht gleichgültig sein darf.“ Wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft seien, müsse den Verfolgten notfalls mit militärischer Gewalt geholfen werden. „Wer eingreift, übernimmt Verantwortung und macht sich schuldig. Wer aber nicht eingreift, übernimmt ebenfalls Verantwortung und macht sich vielleicht noch mehr schuldig“, erklärte Hermes.

Zu Wort kam auch Raid Gharib, der Diözesanratsvorsitzender der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland, der ebenfalls an das Leid der Menschen in Syrien und im Irak erinnerte: „Die Ereignisse vor 70 Jahren erscheinen uns weit weg. Vielleicht so weit weg wie die Konflikte im Nahen Osten aufgrund ihrer geografischen Entfernung. In den Augen der Flüchtlinge, die hier ankommen, können wir die Schrecken dieses Kriegs aber sehen.“

An die Luftangriffe erinnert auch eine Ausstellung in der Stiftskirche: Sie zeigt Stuttgarter Kirchen vor und nach der Zerstörung und ist noch diese Woche zu sehen.