Gar sieben Vizepräsidenten hat die neue EU-Kommission, die jetzt etwa ein halbes Jahr im Amt ist. Doch ihre Leistung ist bisher gemischt. Es gibt einige Reibungsverluste.

Brüssel - Spaniens König hat vor Kurzem Brüssel einen Besuch abgestattet. Auf dem Programm stand ein Besuch der EU-Kommission, wo Felipe VI. an einer Sitzung teilnahm und die Prioritäten der Behörde auseinandergesetzt bekam – unter anderem die Energieunion. Zuständiger Vizepräsident dafür ist der Slowake Maros Sefcovic. Als für Energiefragen verantwortlicher Fachkommissar wiederum firmiert Miguel Arias Canete, ein Spanier, der vor seinem Staatsoberhaupt ebenfalls ausführlich sprechen wollte. Der Knatsch über die Rednerliste eskalierte derart, dass – so berichtet eine Kommissionsbeamtin – Jean-Claude Juncker am vorangegangenen Wochenende zwischen den Streithähnen vermitteln und als Kommissionschef ein Machtwort sprechen musste. Die Anekdote sagt ein bisschen etwas aus über die neue Struktur und Arbeitsweise der Juncker-Kommission, die am 1. November 2014 ihr Amt angetreten hat.

 

Der Luxemburger Expremier hat sieben Stellvertreter ernannt, die die Arbeit der jeweiligen Fachkommissare in bestimmten Politikbereichen koordinieren. Das heißt aber auch, dass sich Zuständigkeiten überlappen oder gar doppeln und großer Abstimmungsbedarf herrscht. Kommissare treten seither häufig im Doppelpack auf. So wird es auch Anfang Mai sein, wenn der für den digitalen Binnenmarkt zuständige Vize Andrus Ansip aus Estland seine Pläne vorstellt – zusammen mit dem Deutschen Günther Oettinger, der als Kommissar für die „digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ an einem Großteil der notwendigen Gesetzentwürfe basteln soll. Mehrere Ziele werden mit der neuen Struktur verfolgt.

Nicht für jeden Kommissar ein eigener Politikbereich

Da ist zum einen der simple Fakt, dass es in der größer gewordenen Gemeinschaft nicht mehr für jeden der 28 Kommissare einen eigenen Politikbereich gibt. Das führte schon in der Vergangenheit dazu, dass es viele konstruierte Zuständigkeiten gab für Mehrsprachigkeit oder Sport und Kultur, wo die EU-Verträge Brüssel gar keine Kompetenzen zuschreiben. Die im Lissabonner Vertrag vorgesehene Verkleinerung der Kommission musste ad acta gelegt werden, um die um ihren Einfluss bangenden Iren nach deren Nein in einem ersten Referendum im zweiten Anlauf zu einem Ja zu bewegen. Jede Reform musste also mit der bestehenden Zahl von Kommissaren – einem aus jedem der 28 Staaten – auskommen. Die Koordinationsrolle der sieben Vizepräsidenten soll mehr Effizienz erzeugen und verhindern, dass jeder Kommissar einen gesetzgeberischen Leistungsnachweis erbringen will. Statt einer Flut von Gesetzen konzentriert man sich in Brüssel nun auf die Umsetzung des bewusst knapp gehaltenen Arbeitsprogramms.

Vize Frans Timmermans aus den Niederlanden wurde für „bessere Gesetzgebung“ zuständig und mit einem Vetorecht gegenüber neuen Vorlagen ausgestattet. Für viele EU-Beamte, die gewohnt waren, dass ihre Arbeit irgendwann mehr oder weniger zwangsläufig im Gesetzesblatt landet, ist es nicht weniger als ein Kulturschock gewesen, dass nun die politische Führung stärker denn je vorgeben will, was gemacht wird und was nicht. Aber funktioniert diese in der Theorie einleuchtende Idee? Oder sind die Reibungsverluste zu groß? Darüber gehen die Meinungen auseinander, weshalb die erste Zwischenbilanz durchwachsen ausfällt. Zum Beispiel die der beiden „Geldkommissare“ Valdis Dombrovskis und Pierre Moscovici. Ein Regierungsvertreter Belgiens berichtet, er habe anfangs nie gewusst, an wen er sich eigentlich bei Fragen zum Defizitverfahren seines Landes wenden müsse – an den eher neoliberalen Vizepräsidenten aus Lettland, der „Euro und den sozialen Dialog“ zusammenführen soll, oder doch an den französischen Sozialisten, der den traditionellen Posten des Währungskommissars bekleidet? „Aber es ist inzwischen ein wenig besser geworden“, meint der Diplomat.

Angeblich ist die Kollegialität gewachsen

Der SPD-Europaabgeordnete Peter Simon dagegen ist ganz angetan: „Ihr Zusammenspiel funktioniert trotz unterschiedlicher Herkunft und politischer Einstellung wirklich gut“, meint Simon. Ihre Entscheidung zum französischen Defizitverfahren etwa sieht der Badener als guten Kompromiss zwischen „nordischer“ Strenge und „südlichem“ Laisser-faire: „Wenn sich die Kommission von einem Club freischaffender Künstler zu einer stringent politisch handelnden Institution wandelt, kann man das nur begrüßen.“ Das Gremium trete nun „stärker als Team auf“, sagt ein EU-Diplomat, es gehe „kollegialer“ zu als früher. Lobende Worte gibt es allenthalben auch über Vizepräsidentin Federica Mogherini zu hören, die sich im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin im Amt der EU-Außenbeauftragten überhaupt um die kommissionsinterne Abstimmung außenpolitischer Belange kümmert – allen voran mit dem für die Nachbarländer zuständigen Österreicher Johannes Hahn.

Und auch aus Oettingers Umfeld ist über die Zusammenarbeit mit dem Kollegen Ansip nichts Negatives zu vernehmen, die Abstimmung sei eng, in die Tagesroutine der Arbeitsebene eingebettet. An den wöchentlichen Sitzungen von Oettingers Team nimmt einer von Ansips Leuten teil und umgekehrt. Sie sind als Zeichen des guten Willens auch in der Generaldirektion vertreten, was nicht sein müsste, weil auf die Beamten Oettinger den direkten Zugriff hat. Bei den Streithähnen Sefkovic und Canete, die dem Vernehmen nach gar nicht mehr miteinander reden, gibt es derlei freiwillige Abstimmung allerdings nicht. Eingeräumt wird freilich, dass das Duo Ansip-Oettinger noch gar keine harten Entscheidungen zu treffen oder durchaus vorhandene Meinungsverschiedenheiten etwa beim Thema Geoblocking, der Unzugänglichkeit von Netzdiensten im EU-Ausland, aufzulösen hatten. „Erst da“, sagt jemand aus Oettingers Mannschaft, „kommt es wirklich zum Schwur.“

Es ist viel von der Zukunft die Rede

Überhaupt ist noch viel von der Zukunft die Rede, wenn es um Gesetzesvorhaben dieser Kommission geht. Das liegt natürlich auch daran, dass sie erst ein knappes halbes Jahr im Amt ist und sich selbst beschränken will. Dass bisher mit dem Investitionspaket nur ein einziger Gesetzesvorschlag von Regierungen und Europaparlament verhandelt werden kann, liegt für den CSU-Abgeordneten Markus Ferber aber auch an der neuen Struktur, in der für ihn „das Duo Sefcovic-Canete das Negativbeispiel ist“. „Die komplizierten Abstimmungsprozeduren und das Kompetenzgerangel führen dazu, dass viele Initiativen liegen bleiben und aus der Kommission fast nichts mehr herauskommt“, meint der Bayer: „Im Parlament reden wir nur noch über die Lage der Welt, beraten aber derzeit kaum noch Gesetze.“ Ein ganz anderes Problem mit dem neuen Konstrukt hat sein FDP-Kollege Michael Theurer: „Der große Krach ist ausgeblieben. Allerdings gibt es Signale, dass sich die Vizepräsidenten schwer tun, weil sie keinen direkten Zugriff auf die Verwaltung haben.“

Bis auf die für den EU-Haushalt zuständige Bulgarin Kristalina Georgieva können sich alle anderen Stellvertreter Junckers nur auf ihre vergleichsweise kleine Kabinettsmannschaft stützen. Der für „Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit“ verantwortliche Vize Jyrki Katainen etwa muss sich aber mit fast allen anderen Fachkommissaren absprechen, was viel Arbeit ist. „Wenn deshalb jetzt das Generalsekretariat personell aufgestockt werden muss“, sagt der Liberale, „sehe ich das kritisch.“ Die deutsche Vertretung in Brüssel sieht die Entwicklung noch ziemlich gelassen. „Man sollte der Sache eine Chance geben“, sagt ein EU-Diplomat –gerade im Hinblick darauf, dass mit dem Modell davor auch niemand zufrieden war.

Will der Kommissionspräsident Arbeit abwälzen?

In der belgischen Hauptstadt existieren neben der offiziellen Begründung zwei Sichtweisen dazu, warum Juncker die Kommission so gebaut hat. Die erste Lesart geht davon aus, dass der gelegentlich genervt und lustlos wirkende 60-Jährige möglichst viel Arbeit wegdelegieren wollte – und dafür mächtige Vize brauchte. Die anderen sehen in der Struktur ein knallhartes Machtinstrument nach dem Motto „Wenn zwei sich strukturbedingt dauernd streiten müssen, entscheidet der dritte.“ Und das ist – wenn Juncker gerade nicht da ist – häufig sein deutscher Kabinettschef Martin Selmayr.

„Es gibt schon ein gewisses Grummeln darüber, was der alles an sich zieht“, sagt der belgische Regierungsvertreter. In Junckers Umfeld gibt man sich über die zwei sich eigentlich ausschließenden Interpretationen eher amüsiert: „Dann muss die Wahrheit ja irgendwo dazwischenliegen: Juncker delegiert viel, das stimmt, aber er kann auch sehr präsidial und bestimmt auftreten.“ Zum Beispiel, wenn alle mit dem König reden wollen.