Berufswechsel Die Umsteiger
Raus aus dem alten Job, rein in ein neues Arbeitsleben – wer diesen Schritt geht, hofft auf mehr Freude und weniger Frust. Drei, die ihn gewagt haben, berichten.
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Foto Achim Zweygarth
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Wir stellen drei berufliche Umsteiger vor. Klicken Sie sich durch unsere Bilderstrecke!
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Kornelia Wüst hat in der Kinderbetreuung ihren Traumjob gefunden: "Für mich war schon immer klar, dass ich mal viele Kinder haben werde. Leider hat es mit eigenen nicht geklappt. Aber als ich vor neun Jahren im Amtsblatt eine Annonce des Vereins Fildertagesmütter in Leinfelden entdeckte, hat sich mein Wunsch indirekt doch erfüllt: Ich ließ mich zur Tagesmutter qualifizieren. Da war ich 33. Früher habe ich bei einem Pharmakonzern als Fremdsprachensekretärin gearbeitet. Die Arbeit war interessant, anspruchsvoll und hat mir viel Spaß gemacht. Aber heute kann ich sagen: Meine Berufung sind die Kinder. Ich bereue keinen Tag, dass ich meinen früheren Job aufgegeben habe.Bis jetzt habe ich in unserem Haus 33 kleine Forscher und Entdecker betreut und in ihrer Entwicklung begleitet. Das ist für mich eine unglaubliche Bereicherung. Als ich noch im Büro gearbeitet habe, hatte ich zwar Einblick in viele Projekte, doch die Ergebnisse habe ich nicht gesehen. Heute hingegen erlebe ich hautnah mit, wie meine Tageskinder lernen, wie sie reifer werden und selbstbewusster. Und das Schönste dabei ist, dass ich selbst dazu beitragen kann, ihre Wurzeln ein bisschen stabiler zu machen.Die Rahmenbedingungen für Tagesmütter sind in den letzten Jahren viel besser geworden, der Kreis Esslingen und die Stadt Leinfelden-Echterdingen übernehmen sogar die Kosten für die Sozialabgaben. Ich verdiene zwar trotzdem noch immer weniger als in meinem alten Job, doch dafür hat sich meine Lebensqualität deutlich gesteigert. Ich habe keinen Stress mehr auf dem Weg ins Büro und bin mein eigener Herr.Zurzeit betreue ich drei Kinder unter drei Jahren und eine Dreijährige, die bald in den Kindergarten wechselt. Regulär sind sie montags bis donnerstags bei mir. Aber wenn ihre Eltern arbeiten müssen, dürfen sie auch am Wochenende kommen oder übernachten. Dann hat auch mein Mann mehr von ihnen. Die Kinder sind für mich ein Anti-Aging-Programm. Meine Nachbarn fragen oft, ob ich im Urlaub war, weil ich so erholt aussehe. Dabei bin ich nur viel an der frischen Luft. Ich kaufe mit den Kindern beim Bauer ein, wir spielen viel im Garten, manchmal gehen wir in die Wilhelma. Den ganzen Tag im Büro zu sitzen, kann ich mir nicht mehr vorstellen. Ich denke, es war meine Vorsehung, für viele Kinder da zu sein, nicht nur für zwei oder drei."
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Guido Merkle war Musiker und Hotelier, jetzt ist er Banker – und weiterhin flexibel: "Meine Erwerbsbiografie ist alles andere als klassisch verlaufen, und ich habe schon manchem Personalchef erklären müssen, warum ich so oft die Branche und die Stelle gewechselt habe. Aber der Punkt ist: ich kann es erklären. Ursprünglich wollte ich Orchestermusiker werden. Ich habe an der Stuttgarter Musikhochschule Fagott studiert und währenddessen kurzzeitige Engagements gehabt. Schon damals ahnte ich, dass es schwierig wird, eine feste Stelle zu bekommen. So war es dann auch. Ein Jahr nach meinem Abschluss begann ich eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Ich dachte, das ist ein universeller Job, und der Dienstleistungsbereich passt zu mir. Das stimmte zwar, aber es ist auch ein sehr schnelllebiger und stressiger Job mit sehr ungünstigen Arbeitszeiten. Nach sechs Jahren in verschiedenen Häusern wusste ich: bis zur Rente will ich das nicht machen.Als ich vor 13 Jahren eine Anzeige der Kreissparkasse Esslingen entdeckte, schlug ich einen neuen Pfad ein. Die Bank suchte Mitarbeiter für ihren Servicebereich. Ich bewarb mich – und zwei Wochen später fing ich an. Meine Vorgesetzten haben offenbar gemerkt, dass ich über Potenzial verfüge und mich sehr gut gefördert. An der Sparkassenakademie absolvierte ich mehrere Weiterbildungen und arbeitete in verschiedenen Bereichen der Bank. Inzwischen bin ich stellvertretender Leiter einer Abwicklungsabteilung im Bereich Recht. Mein Job ist, säumige Kredite einzufordern. In 90 Prozent der Fälle gelingt mir das ohne die juristischen Werkzeuge, allein durch Verhandlung mit dem Schuldner. Mir macht diese Arbeit viel Spaß, aber wer weiß: vielleicht ergibt sich noch etwas Neues.Für manchen mag mein Lebenslauf chaotisch klingen. Aber Tatsache ist, dass ich noch kein einziges Mal auf dem Arbeitsamt war. Ich bin alleinstehend und insofern ziemlich unabhängig. Doch wenn man will, glaube ich, ist so eine Entwicklung auch mit Familie möglich. Für viele zählt ein großes Haus oder ein teures Auto. Meines Erachtens bringt der Verzicht auf solche Statussymbole allerdings eine unglaubliche Freiheit.Manchmal werde ich gefragt, ob ich nicht traurig sei, weil ich nicht Musiker geworden bin. Aber nein, antworte ich dann. Ich bin nicht traurig. Ich fände es schlimm, wenn ich es nie probiert hätte."
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Tanja Wagemann war angestellt, jetzt ist sie ihre eigene Chefin – und fühlt sich gut: "Wie ich meinen Laden bezeichnen soll, weiß ich bis heute nicht so richtig. Er ist so viel: Wir führen Wohnaccessoires, Bekleidung, Taschen, Schmuck, Möbel, Bücher, Spielsachen, wir verkaufen selbst gebackenen Kuchen und italienischen Kaffee. Hin und wieder organisieren wir auch Lesungen, Wohnzimmerkonzerte oder kleine Theaterauftritte. Was ich aber ganz sicher weiß, ist: das Zauberhaft gehört mit zu den besten Dingen, die ich jemals in meinem Leben gemacht habe. Bis ins Jahr 2007 war ich Filialleiterin in einem großen Babyfachgeschäft. Nachdem ich mein zweites Kind geboren hatte, wurde es aber immer schwieriger, Beruf und Familie gerecht zu werden. Jetzt arbeite ich ganz in der Nähe unseres Zuhauses in Stammheim – und bin mein eigener Chef.Viel zu tun habe ich zwar weiterhin, und einen gewissen Druck spüre ich nach wie vor, aber nun mache ich ihn mir selbst – das ist ein riesiger Unterschied. Wenn ich morgens in meinen Laden gehe, fühlt sich das nicht wie Arbeit an. Ich bin umgeben von netten Menschen und schöner Ware. Meine Kunden kommen oft auch nur auf einen Kaffee und ein Gespräch vorbei. Das finde ich bezeichnend: eine Atmosphäre, in der man sich wohl und wertgeschätzt fühlt, ist mir wichtig.Als ich vor vier Jahren anfing, war ich 35 und das Zauberhaft 75 Quadratmeter groß. Es gab Pulswärmer, die ich selbst gestrickt, und Kissen, die ich selbst genäht hatte, und ein bisschen Schnickschnack. Nach und nach habe ich das Sortiment erweitert, weil die Stammheimer etwa nach Geschirr, Büchern oder Taschen fragten. Einmal hat einer Kundin eine Hose, die ich trug, so gut gefallen, dass sie mich bat, ihr dieselbe zu bestellen. So kam die Bekleidung ins Zauberhaft. Inzwischen bin ich in einen Laden mit rund 300 Quadratmetern gezogen und werde durch drei tolle Mitarbeiterinnen unterstützt. Für meine Kinder, die nach der Schule hierherkommen, und die der Kunden haben wir extra ein Spielzimmer eingerichtet.Sicher, ich habe viel lernen müssen, speziell in der Buchhaltung. Und ich musste den Überblick über Hersteller und Produkte bekommen. Und das alles verbunden mit der Sorge, dass mein Sortiment nicht angenommen wird. Aber das Zauberhaft war und ist den Einsatz wert. Ich hätte das schon früher machen sollen."