Corona: Literatur geht online Die besten Lesungen im Netz
Literaturhäuser zu, Messen abgesagt, Buchhandlungen geschlossen: wer sich in diesen Tagen über das einsame Lesen hinaus literarisch vergesellschaften will, ist auf das Internet angewiesen. Ein virtueller Spaziergang durch die Literaturlandschaft in Corona-Zeiten.
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Foto Twitter, Facebook, Instagram, Diogenes, Twitch
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„Kann man mich sehen?“ Literarische Lebenszeichen aus dem Wohnzimmer von Peter Stamm, Birgit Birnbacher, dem „Star Trek“-Admiral Patrick Stewart, Dorothée Elmiger, Sasa Stanisic und Doris Dörie (von links im Uhrzeigersinn).
Foto Instagram
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Einfach drauflosschreiben Das wichtigste ist erst einmal, den Kopf klar zu bekommen. Am besten einfach mal drauf losschreiben. Damit hält sich die Autorin Doris Dörrie am Leben. Auf der Website des Diogenes Verlags lädt sie mit ihren „Morning Pages“ zum gemeinsamen Schreiben ein: zehn Minuten, ohne nachzudenken, ohne zu korrigieren, ohne aufzuhören. Wenn sich die Schleusen des Unbewussten öffnen, kann dies spannender sein als vieles von dem, das uns gerade verwehrt bleibt. Wer aber sicherheitshalber um das, was sich andere abgerungen haben, lieber einen Online-Lesekreis bilden möchte, findet dazu Material auf der Website des Hanser-Verlages. Für Jugendliche kommt wohl eher ein Besuch in der Virtuellen Schreibwerkstatt von Olga Grjasnowa, Ayham Majid Agha, Juri Sternburg und Anna Langhoff infrage. Gemeinsam mit dem Autorenteam können sie hier Geschichten erarbeiten und im Blog der „Corona-Chroniken“ veröffentlichen.
Foto lcb, Berlin
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Frisch aus dem Archiv Natürlich ist das Internet zunächst einmal ein gewaltiges Archiv, in dem man alles nachholen kann, was man bisher versäumt hat. Viele Literaturhäuser bieten auf ihren Seiten alles zum Nachhören an, was bis zum großen Lockdown geschah. Sozusagen Frisch aus dem Archiv: Wulf Kirsten liest Naturgedichte, umspült vom leisen Raschen im notorischen Lesungswasserglas.
Foto literaturcafe
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Vorlesemaschine Ein Schritt beziehungsweise Click weiter wird aus dem Speicher eine unerschöpfliche Vorlesemaschine. Zukunft und Vergangenheit finden zwanglos zusammen, wenn der britische Schauspieler Patrick Stewart, besser bekannt als „Star-Trek“-Admiral Picard, sein tägliches Shakespeare-Sonett rezitiert, mit schönen rollenden Rs. Als Gefährte in sozialer Isolation bietet sich „Robinson Crusoe“ an. Und wer versäumt hat, nach Thea Dorns Empfehlung im „Literarischen Quartett“ Albert Camus „Pest“ zu hamstern, kann noch bis zum 10. April, vormittags von 10 bis 11 Uhr im „Literaturcafé“ des Bloggers Wolfgang Tischer der Live-Lesung aus dem mittlerweile vergriffenen Seuchen-Klassiker zuhören.
Foto Twitch
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Alles live „Kann man mich Sehen? Ja, man kann mich sehen.“ Live-Lesung ist natürlich das Stichwort. Der Autor Sasa Stanisis war vergangene Woche auf Twitch zu erleben. Angeblich untenrum in Trainingshose, obenrum im Hemd. Bestens gelaunt zu einer Flasche Coronator-Bier las er sein Lieblingsende von vielen möglichen aus dem Buch „Herkunft“, für das er im letzten Jahr den Deutschen Buchpreis erhalten hat. Und weil Corona nicht alle anderen Konflikte überdecken soll, machte er daraus eine Benefizveranstaltung zugunsten der Organisationen Seebrücke und Medico International. 17000 Euro an Spenden kamen dabei zusammen. Täglich um 20 Uhr sendet das Literaturhaus Salzburg um 20 Uhr über seine Facebook-Seite extra Lesungen von österreichischen Autorinnen und Autoren live – bis zum Ende der Krise. Das schöne ist ja, dass im Netz keine Grenzen existieren, alle Literaturhäuser sind gleich nah. Zu täglichen Live-Lesungen lädt auch „Viral – das Online-Literaturfestival in Zeiten der Quarantäne“. Das Programm wird auf Facebook täglich aktualisiert. Überhaupt haben die sozialen Netzwerke die Pressearbeit übernommen. Wer wann wo liest erfährt man am zuverlässigsten auf dem Instagram-, Facebook- oder Twitter-Kanal des jeweiligen Autors. Ein Fülle von Angeboten für den Leseabend der Wahl erhält, wer bei Twitter nach #onlinelesung oder #literaturstream sucht.
Foto Literaturhaus Graz
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Neue Gattung Gerade entsteht ein eigenes Genre: Das Corona-Tagebuch. Eine ganze Reihe von Autoren sind damit befasst. Corona-Tagebücher finden sich jeden Freitag neu auf der Website des Grazer Literaturhauses. Thomas Stangl benennt in seinem Beitrag die Crux dabei: „Das angemessene Ende eines Tagebuchs – vor allem eines Krankheitstagebuchs – ist im Übrigen das Ableben des Autors, das sollte man bedenken, bevor man ein Tagebuch beginnt.“ Auf der Seite des Aargauer Literaturhauses gibt Peter Stamm praktische Überlebenshinweise: „Meine Taktik, mich zu konzentrieren, ist, mich zu langweilen.“ Das ist die schöpferische Alternative zu Doris Dörries Morning Pages, siehe oben.
Foto Literaturhaus Stuttgart
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Produktivität der Krise Die in diesem Jahr mit dem Preis der Literaturhäuser ausgezeichnete österreichische Autorin Marlene Streeruwitz hat ihre Lesereise nach innen verlegt. Ein fingiertes Tagebuch baut sie zu einem Covid-19-Roman aus. Auf der Homepage des Stuttgarter Literaturhauses kann man mitlesen. Zu den aus der Krise geborenen Formen gehören zweifellos auch die dort jeden zweiten Tag erscheinenden „Minutennovellen“. Kleine Miniaturen aus dem vom Virus beschädigten Leben, zu denen das stolze Programm zusammengeschrumpft ist. Die Zeichnerin Julia Bernhardt malt darin beispielsweise aus, warum wir gerade alle leben wie freiberufliche Illustratorinnen.