Das waren die Zehner-Jahre Zehner-Jahre: Hipster, Influencer, Sneaker
Vom Hype ums dänische Lebensgefühl Hygge, der Wiederentdeckung von Gin bis zum Selfie-Wahnsinn – wir erinnern an Trends und Phänomene aus Gesellschaft, Mode und Essen des vergangenen Jahrzehnts.
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Mit einem Wisch zum Glück: zur Partnersuche setzten sich in den Zehnerjahren mobile Dating-Apps wie Tinder durch
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1. Der Hipster: Mit Brille, Vollbart und (Jute-)Beutel: seitdem der Hipster auf Sparkassen-Werbeplakaten und auf dem Schützenfest in Hintertupfing angekommen ist, möchte niemand mehr als solcher bezeichnet werden. Der Hipster mit Dutt oder Bart (männliche Version), geradem oder schrägem Pony (weibliche Version), Nerdbrille (unisex), weißen Sneakern und einem (selbst-)ironischen Spruch auf der Lippe stand einmal für Individualität, Avantgarde und Szene-Credibility.
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Im vergangenen Jahrzehnt ist er zu einem viel belächelten und teilweise tief verachteten Massenphänomen geworden. In Berlin, dem Hipster-Schmelztiegel schlechthin, gab es 2012 schon einmal eine Hipster-Olympiade (Foto) mit schrägen Disziplinen wie „Nerdbrillen-Weitwurf“. Im Unterschied zu Wavern, Poppern oder Emos aus den Jahrzehnten zuvor, die zwar innerhalb ihrer Neigungsgruppe ebenso wenig individuell waren, grenzt sich das Hipster-Phänomen nicht einmal mehr als eigene Jugendkultur ab. Es ist zur urbanen Maskerade der Ü-40-Söhne und -Töchter des bürgerlichen Milieus geworden.
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Mit den Hipstern ist es wie mit den Helikoptereltern: jeder kennt einen und jeder geht in die Cafés, wo man sie antrifft. Aber ich!? Ein Hipster?! In tausend kalten Winter nicht!
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2. Der Hygge-Hype: Nachhaltigkeit, Achtsamkeit, Entschleunigung – so heißen die die Trendthemen einer gestressten Gesellschaft. Vor ein paar Jahren hat sich ein weiteres Lebensgefühl aus dem hohen Norden dazu gesellt: Hygge. Die Glücksformel aus dem offiziell glücklichsten Land (drei Mal landete Dänemark auf Platz 1 des Weltglücksreport der Vereinten Nationen) ist schwer zu fassen und nicht einfach mit Gemütlichkeit zu übersetzen. Für die Dänen ist Hygge das Wichtigste: im Job, in der Familie, im Sport, überall.
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Sich Zeit für das Wesentliche zu nehmen und weniger nach Karriere und Prestige zu schauen – schon immer ein Merkmal des skandinavischen Wohlfahrtsstaats und der Kern des Hygge-Begriffs. Die Deutschen haben diese kulturelle Eigenheit kommerzialisiert. Kaufhäuser und Internet waren plötzlich voll mit Hygge-Ratgebern, Kerzen, Kissen, Wolldecken, Einrichtungstipps zum hyggeligen Wohnen. Aber Hygge, weiß der Däne, kann man nicht kaufen.
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3. Der Lifestyle-Feminismus: Not my president!“, riefen Tausende von Menschen unter rosa Strickmützen, den Pussy Hats, in Washington D.C., einen Tag nach der Amtseinführung des US-Präsidenten Donald Trump im Januar 2017.
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Ein paar Wochen zuvor war ein Video aufgetaucht, in dem er davon faselte, was man als reicher Mann mit Frauen so alles machen könne – Schlüsselsatz: „Grab them by the pussy“.
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Der Women’s March als Protest gegen einen sexistischen, frauenfeindlichen Präsidenten war neben der #MeToo-Debatte, der öffentliche Aufschrei vieler Frauen gegen sexuelle Übergriffe, das feministische Schlüsselereignis der Zehnerjahre. Ob rosafarbene Strickmützen oder T-Shirts mit feministischen Botschaften wie das Dior-Shirt mit der Aufschrift „We should all be feminists“ – im Jahrzehnt der Auflehnung gegen alte weiße Männer verschmolz der ideologische Protest mit Symbolen und modischen Statements. Für die einen der Ausverkauf des Feminismus, für die anderen seine endgültige Verankerung in allen Gesellschaftsschichten.
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4. Influencer: Früher „Multiplikatoren“ genannt, sind Influencer der digitale Fortsatz – und: Sie beeinflussen. Manche durch Expertise, manche durch ihr Aussehen und andere, weil sie einfach da sind. Was alle gemein haben: Reichweite im Internet. Sei’s auf Instagram, bei Youtube, Twitter, Tiktok oder Facebook. Das Prinzip: Sie werben für Produkte, mal subtil, mal ohne Umschweife, selten kostenlos, und ihre Follower kaufen das dann – Waren und Lebensgefühl.
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Schlaue Influencer werben gleich für ihre eigenen Produkte. Kylie Jenner (153 Millionen Follower), Teil des Kardashian-Klans (Foto) aus den USA, vermeldet im März 2019 ihre erste Milliarde auf dem Konto. Es ist ein wohliger Nebeneffekt dieser Influencerei.
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Deutsche Top-Influencer sind die Stuttgarter Zwillinge Lisa und Lena (ungefähr 15 Millionen Follower auf Instagram).
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5. Selfies: Früher drückte man jemandem, der vertrauenswürdig erschien, die Kamera in die Hand und bat freundlich darum, vor einer Sehenswürdigkeit oder Ähnlichem fotografiert zu werden. Smartphones sind aber sehr teuer, die gibt man nicht leichtfertig aus der Hand – man fotografiert sich lieber selbst.
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Manche Selfies enden tragisch. Wer nur sich selbst im Fokus hat, übersieht mitunter das große Ganze. Dann fällt man irgendwo hinunter oder wird vom Zug überfahren.
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6. Shitstorms: Es ist die überkochende Volksseele – mal wegen Befindlichkeiten oder Petitessen, mal liegt der digital geäußerten Empörung auch ein Missverständnis zugrunde, mal ist es Dummheit oder Geschmacklosigkeit und oft auch Provokation und bloßes Kalkül, die genau darauf abzielen: Aufmerksamkeit auf allen Kanälen. Man echauffiert sich (grob) zwei Tage lang, dann wird die nächste Sau digital durchs Dorf gejagt. Mitmachen darf jeder, notfalls empört man sich eben über die Empörten.
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Man erinnert sich an die H&M-Kampagne mit dem dunkelhäutigen Jungen und der Aufschrift auf seinem Sweatshirt: „Coolest Monkey In The Jungle“. Teil eins des Shitstorms: Dunkelhäutige, die es satthaben, „Affe“ genannt und im Dschungel verortet zu werden. Teil zwei: Hellhäutige, die ins Internet brüllen: „Die sollen sich ja wohl bitte nicht so anstellen!!!“ Noch kein Shitstorm hat eines der „debattierten“ Probleme wirklich gelöst. Hier zum Beispiel: wo denn Rassismus anfängt und wer entscheidet, was rassistisch ist.
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7. Smart Living: Google als ausgelagertes Fach- und Sachwissen, Alexa und Siri als smarte Assistenten, ein Kühlschrank, der Milch bestellt, wenn keine mehr da ist, und aus der Ecke grüßt der Saug-Roboter. Smart Living entbindet die Nutzer von alltäglichen Pflichten und lästigen Zeitfressern. Wie lange es wohl dauert, bis das Haus seine Bewohner zur Seite nimmt und sagt: „Irgendjemand in diesem Haushalt muss schließlich smart sein“? Sogar das Auto macht bereits Anstalten, demnächst ganz alleine zu fahren.
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8. Burger-Trend: Was war das für eine Burger-Bewegung im vergangenen Jahrzehnt – und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Da eröffnet schon wieder ein Burger-Bräter an der Ecke, und man fragt sich, wie es weiter geht mit dem Aufstieg der Burger. Sie sind im Establishment angekommen, kein Junkfood mehr, dass es nur bei den zwei bekannten Fast-Food-Ketten gibt. Burger-Läden brummen, die Gäste wählen zwischen Buns (Brötchen), bekommen regionale Zutaten versprochen und dazu Pommes aus Süßkartoffeln.
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Und natürlich gibt es Burger als vegetarische und sogar vegane Variante. Da geht es dann nicht mehr nur um Gemüsebratlinge, die zwischen Brötchenhälften geklatscht werden, sondern um Ersatzprodukte wie etwa Beyond Meat, die wie Fleisch aussehen und schmecken sollen, aber eigentlich aus Erbsen sind.
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Der mediale Hype um Veganismus war und ist immer noch groß. Doch die Ernährung ohne tierische Produkte ist mehr als nur ein Trend, es ist eine Lebenseinstellung.
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9. Superfood: Es war das Jahrzehnt des Aufstiegs der Avocado. Ob Brot mit pochierten Eiern, Salate oder Bowls – es gab kaum ein Trendgericht, bei dem die Avocado fehlen durfte. In zehn Jahren hat sich der Avocado-Import nach Deutschland verfünffacht. Dass der Boom nicht nur Umsatz, sondern viele Umweltprobleme mit sich bringt, daran denken viele Konsumenten nicht.
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10: Craft Beer: Der Begriff bedeutet übersetzt so viel wie handwerklich hergestelltes Bier und ist seit Mitte der zehner Jahre – hier darf das Wortspiel sein – in aller Munde. Die Biere können nach Grapefruit duften, nach Litschi schmecken. Und sie werden dennoch nach dem deutschen Reinheitsgebot hergestellt, also mit nur vier Zutaten: Wasser, Hopfen, Malz und Hefe.
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Sie sind das Gegengewicht zu den klassischen, etwas langweilig schmeckenden Fernsehbieren. Der Craft-Beer-Trend kommt aus Amerika. Es war in den siebziger Jahren, als ein paar Verrückte, frustriert vom langweiligen amerikanischen Biermarkt in Garagen und Kellern experimentierten und dabei Bierstile wie Pale Ale oder Stout entdeckten.
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11. Gin Tonic: Queen Mum wusste schon immer, was gut ist: mit Gin Tonic alt werden. In den zehner Jahren wurde das Getränk von den Hipstern wiederentdeckt. Nach Zeiten, in denen man Mojito, Wodka Lemon oder Caipirinha trank, hört man nun immer öfter an der Bar: „Einen Gin Tonic bitte.“ Das zu bestellen ist gar nicht mehr so einfach. Die Auswahl ist riesig, Preis- und Qualitätsunterschiede sind enorm.
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Gin ist wieder salonfähig. Wer vom Fach ist, kennt natürlich einen ganz exquisiten Wacholderschnaps, dessen Kräuter auf den Faröer gepflückt wurden.
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12. Leo-Print: Was man zunächst für eine sehr schlechte Laune der Designer hielt, ist seit Jahren nicht tot zu kriegen: das Raub- und Wildtiermuster. Leopard, Zebra, Schlange oder Tiger – irgendeinem Viech begegnet man immer. Herdenanführer: der Leopard.
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Schrieb man das Muster einst eher der Spezies der stark geschminkten, mit Klunkern behangenen, meist schon etwas ältlichen Damen zu, trägt es heute die hippe Werberin ebenso freimütig wie die Versicherungsangestellte. Ein weiteres Indiz für den Zeitgeist, in dem als geschmacklos oder gar ordinär Verrufenes durch ironische Überspitzung plötzlich hip wird.
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13. Athleisuretrend. Outdoormode und Funktionskleidung boomt. Ebenso der Athleisuretrend, das alltagstaugliche modische Dreigestirn aus Jogginghose, Hoodie und Sneakern. Dazu passt das Phänomen, dass seit einigen Jahren viele Menschen mit kleinen bis mittelgroßen bunten Rucksäcken herumlaufen. So lange wie das Modell Kånken der Marke Fjällräven haben sich weder Jute- noch Turnbeutel im Trendbewusstsein gehalten. Kommt aus Schweden, und alles von dort finden die Deutschen cool.
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14. Die Daunenjacke: Die japanische Modekette Uniqlo brachte 2009 eine unauffällige Uniform für die Massen auf den Markt: das „Ultra Light Down Jacket“. Eine figurbetonte, ultradünne und zusammenknautschbare Daunenjacke, die trotzdem warm hält. Auch viele andere Marken haben die „ULDs“ im Sortiment, und auf den Straßen bietet sich seit Jahren ein ziemlich durchgesteppter Anblick. Hier auf dem Foto sieht man eine etwas abgewandelte Form.
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Neben den „ULDs“ halten sich die Michelinmännchen-Jacken: je dicker, desto besser, inzwischen auch gerne im Oversize-Look. Hip ist, wer aussieht wie eine unförmige Daunentonne. Wie der Trend mit der Klimaerwärmung zusammenpasst, bleibt rätselhaft. Vermutlich steckt dahinter eine subtile Sehnsucht nach früheren Zeiten als die Pole noch nicht am Schmelzen waren und es noch echte Winter gab. Auch die ehemalige britische Premierministerin Theresa May geht gerne im Michelinmännchen-Look.
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15. Sneakers: Eine Spielart des Sneakertrends hat in den vergangenen Jahren alles überblendet: die Farbe Weiß. Egal ob Reebok, Vans, New Balance, Converse oder Vejas und egal ob an den Füßen von Büromenschen, Studenten oder Spielplatzmamas – Weiß war das neue Schwarz. Auch der Einstieg des US-Hip-Hop-Moguls Kanye West ins Sneakergeschäft vor rund zehn Jahren bescherte dem Markt einen Hype, erst bei Nike, dann bei Adidas mit der Yeezy-Linie. Aktuelle Version: der Socken-Sneaker Yeezy Boost 360.