Design: 200 Jahre Kaffeehaus-Stuhl Und welcher Stuhltyp sind Sie?
Ikea hat zusammensetzbare Möbel erfunden? Von wegen. Schon vor 200 Jahren verschickte Michael Thonet Stühle in Einzelteilen in die Welt. Was hat sich seither getan, wer mag welche Stühle? Eine Typologie.
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Foto E15
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Hat das Zeug zu einem Klassiker: „Houdini“ von Stefan Diez für E15. Kaum ein Designer, der nicht einen Stuhl entwirft. Die Auswahl ist also enorm. Doch wer sitzt wo – eine Stuhl-Typologie verrät es: Sag mir, wie Du sitzt, und ich sag Dir, wer Du bist.
Foto Vitra/Hersteller
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Für Neo-Konservative: Wer die gute Form liebt und sichergehen will, dass das jeder Gast erkennt, wählt den Stuhl von Ray und Charles Eames. Der Eames Fiberglass Side Chair von 1950 ist einer der bekanntesten Designerstühle. Die Stühle mit den körpergerecht geformten Sitzschalen gibt’s in vielen Farben, mit Metall- oder Holzfüßen. Sie sehen auf Instagram gut aus und sind wirklich bequem.
Foto Fritz Hansen/Hersteller
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Für Pragmatiker: Gern genommen, wenn es praktisch und irgendwie natürlich zugehen soll. Arne Jacobsens Holzstühle wie das Modell „Serie 7“ sieht man in evangelischen Gemeindehäusern. Und im Zuhause von Menschen, die es schnörkellos, klassisch schick mögen, denen aber die Bauhaus-Ästhetik mit ihrer Vorliebe für klare Linien, Leder und Stahlrohr „zu kalt und kantig“ erscheint.
Foto Hersteller
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Für Formalisten: Glänzendes Chrom, schwarzes Leder, gebogenes Gestell – ein Bauhaus-Stuhl so zeitlos wie ein Porsche 911. Der schlanke Thonet („S 533 L“) von Ludwig Mies van der Rohe ist längst eine Stuhldesign-Ikone. Wer sich für ihn entscheidet, liebt die Strenge, die perfekte Form – und arbeitet auch zu Hause gern und viel.
Foto Ikea/Hersteller
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Für Sparsame: Wer eine kleine Wohnung und wenig Geld, aber doch Sinn für Schönes hat, wird bei der schwedischen Möbelfirma glücklich. „Gunde“ (5,99 Euro) ist klappbar und in seiner reduzierten Form eine vorläufig akzeptable Sitzmöglichkeit für Fans der Bauhaus-Schule, die auf einen Stuhl von Marcel Breuer oder Le Corbusier sparen.
Foto Magis/Hersteller
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Für Mutige: „Chair One“ heißt der vielfach ausgezeichnete Stuhl, mit dem der Münchener Industriedesigner Konstantin Grcic 2004 bekannt wurde. Wobei ein kantiges Aluminiumgestell auf einem Betonsockel schon mehr als ein Stuhl ist. Ein Denkmal? Eine Skulptur? Jedenfalls ein Statement. Kein Möbel für Schüchterne und altersschwache Fußböden. Wer ihn kauft, will thronen und angenehm auffallen.
Foto nito – stock.adobe.com
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Für Traditionalisten: Einrichtungsexperten raten zur beherzten Mixtur, zeitgenössisches Design mit Vintage und Geerbtem zu kombinieren. Wer keine Vorfahren aus ostpreußischen Landgütern oder Schlössern vorweisen kann, mit deren Hinterlassenschaften er seine piekfeine Abstammung dokumentiert, behilft sich mit einem Gang in den nächsten Antiquitätenladen.
Foto ski -stock.adobe.com
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Für Individualisten: Ein Klassiker ohne Namen ist der handgefertigte Korbsessel aus Rattan. Unverwüstbar steht er in kruschteligen Wohnzimmern und in verwunschenen Gärten von technikfeindlichen Zeitgenossen, die beim Rooibostee ihre nächste Studienreise nach Laos planen.
Foto Hersteller
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Für Spaßvögel: Skandinavisches Design, aber witzig. Der Däne Verner Panton erfand 1960 den ersten aus einem Stück gemachten Vollkunststoff-Stuhl, gemeinsam mit Vitra ging der kurvige Freischwinger in Knallfarben 1967 in Produktion. Der „Panton-Chair“ hat etwas von einer Skulptur. Er gefällt Leuten, die auch die Kunst von Jeff Koons mögen.
Foto taitai6769 – stock.adobe.com
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Für Ökos: Auch Konsumverweigerer müssen sich mal hinsetzen. Sie decken sich mit Zeug vom Sperrmüll oder vom Flohmarkt ein. Und weil sie sich gern volkstümlich geben, greifen sie besonders freudig zu, wenn sie eine schäbig-schicke, verschrappte Wirtshaus- oder Biergartengarnitur aus wiederverwertbarem Holzsitz und Metallfüßen entdecken.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Für Kaffeehausfans: Der Thonet-Stuhl mit der Modellbezeichnung „Nr. 1“ wurde 1849 für das Palais Schwarzenberg in Wien entworfen. Er gilt als der typische Thonet-Stuhl fürs Kaffeehaus mit Kuchentheke, Billardtisch und Zeitungshalter. Von diesem „Nr. 1“ wurden später die unzähligen Modelle bis hin zum Stuhl „Nr. 14“ mit gebogenem Massivholz abgeleitet, der bis heute als das gelungenste Industrieprodukt überhaupt gilt. Auf Thonet-Stühlen wurde ein ganzes Kaffee-Meer weggeschlürft, Geschichte geschrieben und Weltliteratur gedichtet.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Dies ist der Stuhl „Nr. 13“ aus dem Jahr 1860 von Thonet. Zu sehen auch aktuell in der Ausstellung „Thonet und Design“ in Die Neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne in München. Die Ausstellung findet statt anlässlich der Thonet-Firmengründung vor 200 Jahren und ist noch bis 2. Februar 2020 zu sehen.
Foto Hersteller
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Sieht ein bisschen aus wie eine Mischung aus diversen Thonet-Stuhlmodellen, ist aber ein Stuhl namens „Bjuran“ von Ikea. Wie die schwedische Möbelfirma heute hat bereits Thonet im 19. Jahrhundert Möbel in Einzelteile verpackt und an die Kunden verschickt.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Während andere Schreiner noch im 19. Jahrhundert verschnörkelte Stühle drechselten, setzte Thonet bereits auf eine schlichte, erstaunlich moderne Formensprache: Das Erfolgsmodell von Thonet aus dem Jahr 1856, der Stuhl „Nr. 14“.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Praktisch: Thonet-Klappsessel „Nr. 6310“ aus dem Jahr 1879 von Thonet.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Thonet Stuhl „404“, im Jahr 2007 entworfen von dem Münchner Designer Stefan Diez. Diez hat ein Holzstuhl-Programm entworfen, das sich auf das Bugholz-Erbe der Firma bezieht. Michael Thonet hatte ein Verfahren erfunden wie man Buchenholzstäbe unter Dampf und Druck in geschwungene Formen biegt. Gebogene Stuhlbeine und Armlehnen laufen bei diesem Modell in einem „Knoten“ zusammen und sind von unten in die körpergerecht geformte Sitzfläche eingelassen.
Foto Thonet
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Jüngstes Mitglied der Thonet-Familie: Der Stuhl „118“ von dem in Offenbach lebenden Designer Sebastian Herkner, aus dem Jahr 2018. Auf den Urtyp eines Thonet-Stuhls, den 214, beziehen sich der aus einem Stück gebogene Sitzrahmen sowie die mit Wiener Geflecht (Rohrgeflecht) bespannte, in Handarbeit verarbeitete Sitzfläche.
Foto Thonet/Constantin Meyer
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Der Stuhl „Nr 14“ wurde immer wieder verändert. Nicht in der Ausstellung zu sehen, die jüngste Variation dieses Stuhls, eine „Special Edition 214“ in vier neuen Farben, gestaltet 2019 anlässlich des Thonet-Firmenjubiläums von dem Designerduo Marcel Besau und Eva Marguerre.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Als es möglich wurde, nicht nur Holz, sondern auch Stahlrohr zu biegen, produzierte Thonet solche Stühle und Sessel seit den 1920er Jahren auch von Bauhaus-Designern wie Marcel Breuer: Freischwinger Armlehnsessel B 35 von 1928/1929.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Reduziert, praktisch: Ikone des modernen Möbeldesigns: Freischwinger von Marcel Breuer und Mart Stam B33, produziert von Thonet.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Blick ins Museum: In der Pinakothek der Moderne in München wird in der Ausstellung „Thonet und Design“ auch die Entwicklung der Stahlrohrstühle und -Sessel dokumentiert.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Die Ausstellung „Thonet und Design“ in München zeigt auch Modelle, die nach 1945 entstanden sind: Eddie (Edelhard) Harlis, Stuhl „ST 1854“.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Entstanden im Rems-Murr-Kreis und erinnert an den Panton Chair des dänischen Designers Verner Panton. Dieses Modell stammt auch von ihm, der Freischwinger Nr 275 aus dem Jahr 1956 wurde produziert von der Firma August Sommer, Plüderhausen, für die Gebrüder Thonet AG.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Eine moderne Variante der Thonet-Freischwinger entwarf Designer Konstantin Grcic im Jahr 2008.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Blick ins Museum der Pinakothek der Moderne: Die Neue Sammlung besitzt mit rund 400 Objekten eine der weltweit größten Sammlungen von Thonet-Möbeln und anderen Stühlen. Die Ausstellung findet statt anlässlich der Thonet-Firmengründung vor 200 Jahren und ist noch bis 2. Februar 2020 zu sehen.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Warum sitzt denn da niemand? Weil die Möbel teilweise ziemlich alt und kostbar sind. Blick in die Ausstellung zur Thonet-Firmengründung.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Blick ins Museum: In der Pinakothek der Moderne in München werden in der Ausstellung „Thonet und Design“ die Entwicklung und der Variantenreichtum der Bugholzstühle dokumentiert.
Foto Thonet
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Von Thonet gibt es längst auch Gartenstühle – und nun auch eine Variante fürs Büro: eine Ikone, der Stuhl S 64 von Marcel Breuer lässt sich in der 2019 auf den Markt gebrachten Variante S 64 Atelier als Drehstuhl, mit einem Zentralfuß auf Rollen, in privaten Arbeitsbereichen ebenso einsetzen wie in Büros mit Stil.
Foto Die Neue Sammlung – The Design Museum/A. Lorenzo
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Der Designer Steffen Kehrle hat die Thonet-Ausstellung in München inszeniert. Er zeigt auch, wie sich mit moderner Technik das Design von Stühlen weiter entwickeln könnte.