Handball-Bundesliga Sieben Gründe für den Traumstart des TVB Stuttgart
Sie tun gut daran, immer noch den Ball flach zu halten. Und das macht der TVB Stuttgart auch. „Mit elf Punkten steigt man ab“, sagt Trainer Jürgen Schweikardt. Was nichts daran ändert, dass es gute Gründe für den glänzenden Saisonstart gibt.
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Feierstunde vor leeren Rängen: Die Mannschaft des TVB Stuttgart bejubelt in der Porsche-Arena den 31:26-Sieg nach dem starken Auftritt gegen die TSV Hannover-Burgdorf.
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Torwart-Duo: Jetzt trumpft der TVB sogar schon ohne Johannes „Jogi“ Bitter groß auf. „Dass der Gegner chancenlos war, ist die größte Auszeichnung für uns“, sagte Schweikardt nach dem souveränen 31:26 (15:9) gegen die TSV Hannover-Burgdorf. Der ehemalige slowenische Nationaltorwart Primoz Prost (neun Paraden) vertrat Bitter weit besser als beim 25:34 gegen den HC Erlangen. Das ändert nichts daran: Der TVB braucht den deutschen Nationalkeeper so schnell wie möglich wieder. Auch mit 38 Jahren bleibt er die Lebensversicherung des TVB. Bis zu seinem Corona-bedingten Ausfall führte er die Bundesliga-Statistik mit 70 Paraden an, kein anderer Schlussmann hat so viele Siebenmeter (neun) wie er pariert. Neu hinzu kommt seit dieser Saison: Wenn der 2,05-Meter-Riese ausfällt oder es bei ihm mal nicht ganz so gut läuft, kann Schweikardt früher wechseln. So wie in Balingen (30:28) und in Magdeburg (30:29) – als Joker Prost zum Matchwinner avancierte.
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Abwehrstärke: Manuel Späth organisierte drei Jahre lang die Deckung des TVB, er führte das Wort in der Abwehr. Dennoch ließ ihn der TVB zum Champions-League-Teilnehmer FC Porto ziehen. Ein Risiko – doch der Plan ging bisher auf. Samuel Röthlisberger, seit 2017 im Verein, übernahm die Rolle von seinem bisherigen Nebenmann und schaffte den Sprung zum Abwehrchef schneller als erwartet. Der Mann aus Bern agiert leiser, aber sehr besonnen und mit der Zuverlässigkeit eines Schweizer Uhrwerks. Dominik Weiß und Adam Lönn heißen abwechselnd seine Partner im Innenblock der offensiv interpretierten 6:0-Abwehr. Auch der erst 17-jährige Fynn Nicolaus kann im Deckungszentrum kräftig zupacken.
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Durchschlagskraft: Gut, dass der Mann sich für Handball entschieden hat. Viggo Kristjansson hat im Fußball nicht nur in der isländischen Junioren-Nationalmannschaft gespielt, sondern als Profi von Breidablik UBK sogar 2013 in der Europa League. Jetzt gehört der Isländer zu den allergrößten Überraschungen dieser Saison. Mit dem Linkshänder hat der TVB einen Mann verpflichtet, der ein Spiel fast allein entscheiden kann. Dank seiner zehn Treffer gegen Hannover führt er mit 60 Saisontoren die Bundesliga-Torjägerliste an. Der 26-Jährige, vergangene Saison wenig auffallend für die Ligarivalen HSG Wetzlar und SC DHfK Leipzig am Ball, zeigt auch vom Siebenmeterstrich aus keine Nerven. Vorteil: Mit Jerome Müller hat der TVB auf der gleichen Position ein zweites Ass für den Angriff im Ärmel.
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Reife: Den Umbruch hatte der TVB ganz bewusst schon während und nach der Saison 2018/19 eingeleitet. Der Club trennte sich von Routiniers wie Michael Kraus, Tobias Schimmelbauer, Simon Baumgarten und Michael Schweikardt. Ganz nach dem Motto: Manchmal muss man einen Schritt zurück gehen, um zwei nach vorne machen zu können. Die Neuen taten sich in der neuen Umgebung zunächst schwer. Im zweiten Jahr kennen sie sich untereinander und vor allem die Liga besser. Die Automatismen greifen, die Abläufe haben sich verfestigt. Die Mannschaft tritt routinierter, stabilier, konstanter und selbstbewusster auf. Die spielerische Entwicklung ist beachtlich. Rudolf Faluvegi und vor allem der ungemein wertvolle Rückraum-Allrounder Adam Lönn sowie Kreisläufer-Koloss Zarko Peshevski machten einen riesigen Schritt nach vorne. Auch Max Häfner entwickelte sich weiter. „Gegen Hannover trat das Team sehr erwachsen auf“, lobte Schweikardt den Reifeprozess, der nicht von ungefähr kommt: Im Handball spielt das Thema Eingespieltheit eine noch größere Rolle als etwa im Fußball.
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Reife (II): Auch Zarko Pehevski kommt in seinem zweiten Jahr beim TVB am Kreis viel besser zur Geltung.
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Teamgeist: Wenn’s läuft, ist die Stimmung meistens prächtig. Doch schon im Sommer im Trainingslager im Zillertal zeigte sich: Beim TVB gibt es keine Grüppchenbildung, die Chemie stimmt. Die Mannschaft wirkt homogen – mit dem unumstrittenen Häuptling und Kapitän Jogi Bitter an der Spitze. Eine wichtige Führungsrolle nimmt auch Nationalmannschafts-Linksaußen Patrick Zieker ein, daran ändert auch seine Nichtberücksichtigung für die EM-Qualifikationsspiele nichts. Schnell zur dritten Kraft in der Teamhierarchie hat sich Neuzugang Kristjansson entwickelt. Auch das Wort des stellvertretenden Spielführers Dominik Weiß hat nach dessen elf Jahren beim TVB durchaus Gewicht.
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Teamgeist (II): Patrick Zieker spielt im Teamgefüge des TVB Stuttgart eine wichtige Rolle.
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Finanzen: Wenn zwei Hauptsponsoren wie Wohninvest (Geschäftsführer Harald Panzer/links) und Kärcher (Vorstandsvorsitzender Hartmut Jenner/rechts) für jeweils zehn Jahre ihre Verträge verlängern, dann bleibt das nicht ohne Signalwirkung für die Mannschaft, dann verleiht dies gerade in diesen unsicheren Corona-Zeiten ein gutes Gefühl und Rückenwind. „Dieser Vertrauensbeweis ist ein Zeichen an das komplette Umfeld, dass wir alles dafür tun, um uns weiterzuentwickeln“, sagt Schweikardt, „doch um unseren Etat zu retten, brauchen wir auch möglichst bald wieder Zuschauer in der Halle.“
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Trainer: Auch Jürgen Schweikardt hat sich weiterentwickelt. „Ich lerne in jedem Training, in jedem Spiel“, sagt der 40-Jährige selbst. Er wirkt abgeklärter auf der Bank, hält nicht mehr so lange an seiner ersten Sieben fest, bindet den Kreis stärker ins Spielsystem ein. Er wechselt mutiger und agiert auch in Sachen Taktik kreativer. Bester Beweis: Gegen Hannover setzte er – nicht zum ersten Mal – beim Stand von 9:6 auf den siebten Feldspieler. Die Idee zündete, sein Team schloss die Angriffe punktgenau ab. Schweikardt gibt auch Verantwortung ab – vor allem an seine rechte Hand im sportlichen Bereich, Karsten Schäfer, der das Torwart- und Athletiktraining übernimmt. Hätte Corona nicht zum Sparen gezwungen, Schweikardt hätte sich wohl komplett als Geschäftsführer ins Büro zurückgezogen. So aber füllt er nach wie vor die Doppelrolle aus, nach dem Vorbild eines englischen Fußball-Teammanagers. Das bringt ihn zeitlich an seine Grenzen, hat aber auch Vorteile. Zum Beispiel bei der Organisation von Auswärtsfahrten, die nächste steht beim Spiel in Flensburg am kommenden Sonntag (13.30 Uhr) an. Der Trainer will es so professionell wie möglich, der Geschäftsführer so kosteneffizient wie möglich. Den Kompromiss schließt Schweikardt mit sich selbst.