Klassik-Bilanz Die 6 wichtigsten Klassik-Trends des Jahrzehnts
Elbphilharmonie, der Boom der Bregenzer Festspiele, das Currentzis-Phänomen, Musikvermittlung und Streaming statt CDs: Das haben die zehner Jahre in der klassischen Musik gebracht. Eine Bilanz.
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Foto dpa/Christian Charisius
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Das größte Klassik-Ereignis des letzten Jahrzehnts war die Eröffnung der Elbphilharmonie im Januar 2017. Welche Trends und Ereignisse in der klassischen Musik in dieser Dekade außerdem noch wichtig waren, erfahren Sie in unserer Bildergalerie.
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Gebäude ziehen Publikum: Die Elbphilharmonie Erst sorgte die Kostensteigerung von ursprünglich 77 auf 866 Millionen Euro für Spott und Häme, aber nach ihrer Eröffnung im Januar 2017 entpuppte sich die Elbphilharmonie dank ihrer Lage, ihrer spektakulären Architektur und dank einer effizient arbeitenden Kommunikationsabteilung als Zuschauermagnet. Jeder will mal in der „Elphi“ gewesen, will zumindest auf ihrer geschwungenen Rolltreppe auf die Plaza gefahren sein und den Rundblick auf die Elbe und die umgebende Speicherstadt genossen haben. Der Hype ist immer noch enorm. Der neue Saal, so der Intendant Christoph Lieben-Seutter, wäre wahrscheinlich sogar ausverkauft, „wenn bei uns nur auf dem Kamm blasende Putzfrauen aufträten.“
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„Metoo“ in der Klassik Sexuelle Übergriffe im Musikbetrieb? Womöglich gab es die schon immer, weil es auch hier um Macht und Geld geht. Und um körperliche Nähe – zumindest bei der Ausbildung an Musikhochschulen. Nun hat die Metoo-Debatte auch die klassische Musik erreicht. Bei Siegfried Mauser, dem Rektor der Münchner Musikhochschule, einem exzellenten Pianisten, haben die Beweise für eine Verurteilung ausgereicht. Von ihrer Vergangenheit eingeholt wurden auch die Stardirigenten James Levine und Daniele Gatti sowie der Tenor Plácido Domingo (Foto). Die Kulturinstitutionen verhielten sich unterschiedlich: Einige setzten die Angeklagten flugs vor die Tür, andere setzen auf die Unschuldsvermutung. Es ist anzunehmen, dass die genannten Künstler nur die Spitze eines Eisbergs sind.
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Jeder kennt Bregenz „Rigoletto“? Nie gehört (ist das ein Piccolo oder ein Schokoriegel?). Bilder von Philipp Stölzls Neuinszenierung des Stücks bei den Bregenzer Festspielen (Foto) hat 2019 aber jeder gesehen. Gut 200 000 Zuschauer waren live auf der 7000 Besucher fassenden Seebühne dabei, außerdem wurde die Produktion im Fernsehen übertragen, Plakate prangten überall, kaum ein Kulturjournalist war nicht vor Ort, und 2020 kann man das tatsächlich spektakuläre Ereignis nochmals einen Monat lang erleben. Nur Mozarts „Zauberflöte“ 2013/14 war ähnlich erfolgreich. Das Zusammenwirken von Bodensee, Open-Air-Flair, schöner Musik, wirkungsvollem Bühnenbild und hohem Gesprächsfaktor ist ein Erfolgsrezept, das auch Opern-Unkundige lockt. Man könnte fast sagen: Bregenz ist ein Selbstläufer.
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Stars: Der Currentzis-Effekt Das Angebot ist so groß, dass viele Konzerte und Opernvorstellungen nicht (mehr) mit vollen Sälen rechnen dürfen. Und die Tatsache, dass vor allem Menschen über fünfzig sich für klassische Musik interessieren, sorgt weiterhin für den viel zitierten „Silbersee“ im Konzertsaal. Aber sobald prominente Künstler im Spiel sind, kommt auch das jüngere Publikum in Scharen. Anna Netrebko und Jonas Kaufmann machen selbst zopfige Operninszenierungen zu Verkaufshits. Und Teodor Currentzis, der Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters (Foto), würde wahrscheinlich sogar dann für volle Säle sorgen, wenn er ein Mandolinenensemble, mongolische Untertonsänger oder Neue Musik dirigieren würde. Tut er aber nicht, und in Stuttgart gibt’s bei seinen Auftritten im Beethovensaal sogar eine Zusatzbestuhlung.
Foto Georg Linsenmann
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Trend: Musik wird vermittelt Singen im Kindergarten, Musikunterricht in der Grundschule, engagierte Lehrer im Gymnasium? Man könnte verzweifeln angesichts der vielen Lücken in unserem Bildungssystem. Oder selbst so aktiv werden, wie es Musikinstitutionen mittlerweile selbstverständlich tun. Dass sie mit ihren Ideen zur Musikvermittlung bei der Politik offene Türen einrennen, während Geld für die Kunst selbst erst nach langen Entscheidungsprozessen bewilligt wird, mag man zuweilen paradox finden. Tatsache aber ist: Dank kreativer, kundiger Musikpädagogen (Foto: Konzert der Jungen Oper Stuttgart) haben im letzten Jahrzehnt deutlich mehr junge Leute in klassische Konzerte und in die Oper gefunden, darunter auch viele Menschen aus finanziell schlechter gestellten und bildungsferneren Milieus.
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Streaming statt CD Die Entwicklung auf dem Klassik-Markt ist langsamer, aber auch hier laufen Streamingdienste wie Spotify oder – speziell für Klassik-Hörer – Idagio den physischen Produkten CD und Langspielplatte allmählich den Rang ab. Den App-Abonnenten steht die ganze Welt der Klassik mitsamt historischen Aufnahmen immer und überall zur Verfügung. Pluspunkte der CD bleiben das Booklet mitsamt Werkbeschreibungen und die Tonqualität, die unter der digitalen Datenkomprimierung bei Streamingdiensten oft leidet. Klassische Musiker, die keine Stars sind, müssen die Aufnahme einer Silberscheibe mittlerweile mit finanzieren. Geld verdienen sie mit ihren CDs nicht mehr – und für Plattenfirmen lohnen sich nur noch die Aufnahmen der ganz großen Megastars.