Klimaschutz Bei diesen Projekten bremst Bürokratie die Energiewende aus
Bürokratie gilt als einer der Hauptfeinde der Energiewende. Wir haben uns auf die Suche nach konkreten Beispielen gemacht und sind auf Fälle gestoßen, über die man sich nur wundern kann.
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Foto dpa/Julian Stratenschulte
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Auf dem Weg zur Realisierung müssen Erneuerbare-Energien-Projekte zahlreiche Hürden nehmen, die man sich kaum vorstellen kann.

Foto Enertrag
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Ein Blick vom brandenburgischen Dorf Tantow bei Stettin in Richtung Polen. Hier soll eine Windenergieanlage entstehen. Doch die untere Denkmalschutzbehörde empfiehlt eine Ablehnung des Projekts. Grund ist der unscheinbare Hügel in der Mitte des Fotos, der 200 Meter von der geplanten Windmühle entfernt liegt, aber nicht zerstört oder berührt werden würde. Dabei handle es sich um ein bronzezeitliches Hügelgrab, argumentiert die Behörde, das die Kulturlandschaft präge. „Hinzutretende bauliche Anlagen müssen sich an dem Maßstab messen lassen, den das Denkmal gesetzt hat, und dürfen es nicht gleichsam erdrücken, verdrängen, übertönen oder die gebotene Achtung gegenüber den Werten außer Acht lassen, welche das Denkmal verkörpert.“ Eine Hinweistafel auf das Hügelgrab oder eine Absperrung gibt es bisher übrigens nicht, so der Projektierer der Anlage, das Unternehmen Enertrag. Dafür aber Industrieschlote im Hintergrund und mitten auf dem Grabhügel einen Hochstand für Jäger.

Foto Solnet
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Gerade einmal 20 Meter trennen dieses Areal rechts der A 5 bei Sinzheim (Landkreis Rastatt) von der Bebauung mit einer Flächensolaranlage. Obwohl die Wiesen von der Regionalplanung eigens für Photovoltaik ausgewiesen sind, liegt das Projekt noch auf Eis. Der Grund: Um rentabel zu sein, müsste die Anlage 20 Meter näher an die Autobahn gebaut werden, als dies eigentlich erlaubt ist. Doch das Fernstraßenbundesamt in Leipzig pocht auf 40 Meter Mindestabstand. Es ist erst seit Kurzem für solche Genehmigungen zuständig. Zuvor waren es die Regierungspräsidien, die auf ausdrückliche Anweisung des Landes hin Ausnahmen zuließen. Immerhin gibt es jetzt dank der Privilegierung von Erneuerbare-Energien-Projekten wieder Hoffnung für das Solarfeld bei Sinzheim. Foto:

Foto Stefan Wilkes
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Die gute Nachricht: Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, das von diesem Problem nicht betroffen ist. In allen anderen Landesbauverordnungen ist vorgeschrieben, dass Photovoltaikmodule auf Reihen- oder Doppelhausdächern aus Brandschutzgründen einen Mindestabstand von 1,25 Meter zum Nachbardach halten müssen. Wenn man diesen Abstand auf 15 Zentimeter verkürzen würde, könnte man etwa 54 Gigawatt bisher brach liegendes Solarpotenzial heben, rechnet Stefan Wilkes vor. Der engagierte Klimaschützer aus Düsseldorf hat deshalb im Internet eine Petition gestartet, um einen bundesweiten Wegfall der Mindestabstände durchzusetzen.

Foto EnBW
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60 Aktenordner und 20 Schnellhefter. Rund 36 000 Blatt Papier. 15 Umzugskartons. Druckkosten in Höhe von mehr als 10 000 Euro und etwa 100 Stunden Arbeitszeit. Das ist der Genehmigungsantrag für drei Windenergieanlagen, die zwischen Welzheim und Plüderhausen (Rems-Murr-Kreis) errichtet werden sollen. Die Genehmigungsbehörde verlangte den Antrag 15-mal in der Vollversion auf Papier, zehnmal in der Vollversion digital sowie 22 Exemplare einer Kompaktversion in Papierform. Die EnBW schätzt die Gesamtkosten für diesen Kraftakt auf 22 000 Euro.

Foto Bürgerwindpark N-W
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Ein Tor aus Draht als unüberwindbare Hürde. Fünf neue Windkraftanlagen will der Bürgerwindpark in Neuengörs, nordwestlich von Lübeck, aufstellen und damit sechs alte ersetzen. Damit würde sich die Leistungsfähigkeit des Parks versechsfachen. Die 85 Meter langen Flügel dafür könnten relativ bequem über die Autobahn geliefert werden. Denn unmittelbar neben dem Windpark ist ein wenig frequentierter Rastplatz mit einem Tor, das man nur aufschließen müsste. Doch das Fernstraßenbundesamt verfügte im Dezember 2021, dass es „keine Grundlage für die Genehmigung für die Errichtung von temporären Zufahrten“ zur „Errichtung von Windenergieanlagen“ sehe. Also ergab eine Anfrage bei der bundeseigenen Autobahn GmbH eine prompte Absage an den Bürgerwindpark. Doch der Transport über die Dörfer wäre laut Geschäftsführer Jan Eike Schuldt bei der Flügellänge nur mit sehr hohem Aufwand und entsprechenden Kosten möglich. Der Fall erinnert so sehr an einen Schildbürgerstreich, dass sich gleich mehrere Land- und Bundestagsabgeordnete an das Fernstraßenbundesamt wandten. Mit Erfolg, wie es scheint: Die Regeln wurden mittlerweile überarbeitet, der Bürgerwindpark Neuengörs hofft nun auf eine baldige Genehmigung.

Foto privat
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Mehr als drei Jahre hat es gedauert, bis in Berlin begonnen werden konnte, Straßenlaternen zu Ladepunkten für E-Autos zu erweitern. Einer der Hemmschuhe waren die Technischen Anschlussregeln Niederspannung (VDE-AR-N 4100), denen zufolge in den Laternen nicht ausreichend Bauraum für die Ladeinfrastruktur vorhanden ist. Auch wenn sie theoretisch wohl hineingepasst hätte. Also musste das Projekt teilweise neu ausgeschrieben und eine Lösung entwickelt werden, die außen am Mast angebracht werden konnte. Im vergangenen Jahr hat das Berliner Unternehmen Ubitricity – wie hier am Bahnhof Wannsee – endlich mit dem Bau der ersten 200 Pilotanlagen begonnen. In Großbritannien und Frankreich hat die Shell-Tochter derweil schon mehrere Tausend Ladepunkte in Laternen und Pollern realisiert. Bis Ende 2025 sollen es in Großbritannien 50 000 werden.

Foto @SLT Unternehmen
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Oft steckt hinter Bürokratie ein guter Wille – und trotzdem sind die Auswirkungen kaum zu glauben: Ein solches Beispiel ist der aktuelle Referentenentwurf der Straßenverkehr-Transportbegleitungsverordnung, kurz StTbV. Zweck der Novelle ist es, die Polizei von Begleitdiensten bei Schwertransporten zu entlasten. Statt der Ordnungshüter sollen künftig private Unternehmen die Begleitung von Schwer- und Großraumtransporten übernehmen. So weit nachvollziehbar, schlägt der Maschinenbauverband VDMA aber bei den Einzelheiten Alarm: Denn die Verordnung sieht vor, dass in jedem Fahrzeug ein sogenannter Verwaltungshelfer mit entsprechender Ausbildung sitzen muss. Zugleich will die Autobahn GmbH im Zuge der Novelle die Zahl der nötigen Begleitfahrzeuge deutlich erhöhen: für das Überqueren von Brücken etwa war bisher ein Fahrzeug ausreichend. Künftig sollen vier nötig sein. Und bei Autobahnabfahrten fordert die Autobahn GmbH statt einem Begleitfahrzeug sechs. „Dafür ist das Personal gar nicht vorhanden“, heißt es vom VDMA, der für die kommenden Jahre eine Verfünffachung der Transporte von Komponenten für Windenergieanlagen erwartet.