Der Lenkungskreis von Stuttgart 21 will den Bund wegen einer Mitfinanzierung in die Pflicht nehmen. Die Zeit für die Planer drängt jedoch.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Kommt doch noch einmal Bewegung in den vor Gericht gelandeten Streit, wer für die bisher bei Stuttgart 21 aufgelaufenen Mehrkosten in Höhe von 3,7 Milliarden Euro aufkommt? Die Projektpartner von Bahn, Land, Stadt und Region wollen einen Vorstoß beim Bund wagen und das Gespräch mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) suchen. Das haben sie nach der jüngsten Lenkungskreissitzung am Freitag gemeinsam bekräftigt. „Wenn die Finanzierung eines so großen Betrages ungeklärt ist, dann belastet dies das Projekt, und den, der es bauen muss, also die Bahn“, erklärte Fritz Kuhn (Grüne). Er und Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) unterstrichen aber zugleich, dass sowohl die Stadt als auch das Land sicher seien, dass vor Gericht ihre Position Bestand habe.

 

Modellregion für neues Sicherungssystem?

Doch die Frage der bislang ungedeckten Mehrkosten für den Umbau der Stuttgarter Schienenwege wird nicht das einzige Thema sein, wenn die Unterhändler von Bahn und Land mit dem Bundesverkehrsminister sprechen. Der Bund solle den neuen Stuttgarter Bahnknoten flächendeckend mit einer modernen, europaweit standardisierten Sicherungstechnik, dem sogenannten European Train Control System (ETCS), ausstatten. „Wenn nicht hier, wo ein ganzer Bahnknoten umgebaut wird, wo wäre das sonst modellhaft möglich?“, sagte Landesverkehrsminister Hermann. Man habe ambitionierte Ansprüche, was den Verkehrszuwachs auf der Schiene angehe. Dieser lasse sich mit ETCS steuern. „Zudem würde der S-Bahn-Verkehr stabiler“.

Der Nahverkehr läuft unter der Regie des Regionalverbandes, weshalb dessen Direktorin Nicola Schelling unterstrich: „Für unser an der Leistungsgrenze angekommenes S-Bahn-System stellt ETCS eine Riesenchance dar“. Das Leitsystem, das bislang nur im Fernverkehr eingesetzt wird, gebe es „für die S-Bahn aber nicht von der Stange. Das wäre ein wirklich innovatives Vorhaben.“

Große Wendlinger Kurve kommt

Schellings Verband könnte auch noch an einer weiteren Stelle des Projekts gefordert sein. Bahn-Infrastruktur-Vorstand Ronald Pofalla sieht einen Durchbruch bei der Diskussion um eine verbesserte Anbindung der neuen Infrastruktur an die bestehende Strecke im Neckartal bei Wendlingen. Die dort bisher eingleisig geplante Verbindung könnte ein zweites Gleis bekommen, die sogenannte Große Wendlinger Kurve. „Wir sind da so weit, wie wir noch nie waren“, sagte Pofalla und dankte Hermann, der in dieser Angelegenheit „so intensiv tätig gewesen“ ist. Der baut darauf, dass die Zusatzkosten in Höhe zwischen 80 und 100 Millionen Euro zu 60 Prozent vom Bund bezahlt werden, die übrigen 40 Prozent würden sich Land und Kommunen sowie Regionalverbände teilen. Möglich wird das, weil der Bund das Land an anderer Stelle bei Stuttgart 21 entlastet. Steffen Bilger (CDU), Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, hatte Mitte April diese Lösung angedeutet. Das Vorhaben, die auf diese Weise frei werdenden Mittel für den Bau der Großen Wendlinger Kurve zu verwenden, sieht Hermann durch Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse gedeckt.

Die Zeit für die Planer drängt: „Bis zum Herbst brauchen wir die Genehmigung, damit die Zusatzarbeiten in die übrigen Abläufe eingepasst werden können“, sagte Pofalla und zeigte sich gleichzeitig zuversichtlich, dass der ambitionierte Zeitplan zu halten sei. Zunächst gelte es, „so schnell wie möglich die Finanzierungsvereinbarung unter Dach und Fach zu bringen“. Gesprächen über eine mögliche Beteiligung verschließe sich der Regionalverband immer dann nicht, wenn eine erkennbare Verbesserung für den S-Bahn-Verkehr zu erwarten sei, erklärte Schelling, die außerdem warnte, eine Inbetriebnahme der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm vor Stuttgart 21 dürfe nicht zu einer Beeinträchtigung des S-Bahn-Verkehrs im Neckartal führen.

Kuhn will verlässliche Auskunft über Flächen am Bahnhof

Auch die im Januar durch den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn abgesegneten neuen Kosten- und Zeitpläne waren nochmals Gegenstand der Beratungen im Lenkungskreis. OB Fritz Kuhn verwies angesichts der abermaligen Verschiebung des Inbetriebnahmedatums – mittlerweile auf das Jahr 2025 – auf die Lage der Stadt, die eine „verlässliche Planungsgrundlage benötigt, ab wann wir über die Grundstücke verfügen können“. Pofallas Erklärungen in der Sitzung machten Kuhn zuversichtlich, dass „mit Verlässlichkeit von einer Inbetriebnahme im Jahr 2025 ausgegangen werden könne“.

Ronald Pofalla ging auch nochmals auf seinen Auftritt zusammen mit Bahn-Chef Richard Lutz vor dem Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages im April ein. Aus seiner Sicht habe die Bahn dabei klargemacht, dass sie die „Fertigstellung von Stuttgart 21 konsequent vorantreibt. Daran kann es gar keinen Zweifel geben.“