Nach dem Unentschieden der deutschen Elf beim EM-Spiel gegen Polen kritisiert Innenverteidiger Jérôme Boateng die Offensivleistung seiner Mannschaft. Das Netz feiert ihn dafür, wieder einmal.

Stuttgart/Saint-Denis - Eigentlich redet Jérôme Boateng nicht so gerne, er redet nur dann, wenn es sein muss, das wird ihm jedenfalls nachgesagt. Nach dem Unentschieden der deutschen Nationalelf im EM-Spiel gegen Polen musste es anscheinend sein. „Wir wissen, dass wir kein sehr gutes Spiel gerade nach vorne gemacht haben“, sagte er nach dem Spiel in die Mikrofone. „Das muss sich verbessern, sonst kommen wir nicht weit.“

 

Er, sonst so gelassen, sonst oft so zurückhaltend, wird plötzlich deutlich. Und alle feiern es. In den sozialen Netzwerken wird jeder Satz, jede Aktion von Boateng bejubelt, auch bei Medienmachern ist seine Meinung gefragt. Seine kritischen Einschätzungen gelten was, und gut ausdrücken kann er sich auch. Kein Schönreden wie sonst oft nach den Spielen, schreiben viele auf Twitter, Klartext reden sei wichtig.

Er kann sich das leisten, immerhin stand die Abwehr gut, im Spiel gegen Polen. Auch dank Boateng. Bis zur Pause war er stets zur Stelle, wenn es eng wurde, und dann die heldenhafte Grätsche gegen seinen Bayern-Kollegen Robert Lewandowski in der 59. Minute, mit der er einen Treffer der Polen verhinderte. Nur einmal stand er falsch, kurz nach der Pause, als Arkadiusz Milik aus kurzer Distanz neben das Tor der Deutschen köpfte. Deshalb fielen zwar nicht alle Einzelkritiken so gut aus, aber er wurde trotzdem zum Spieler des Matchs erklärt.

Wie schon nach dem Spiel gegen die Ukraine, wo er im Rückwärtsfallen den Ball noch von der Torlinie rettete, den er selbst fast hineinbugsiert hätte. Boateng gilt inzwischen als unumstrittener Abwehrheld, für viele gar als der Spieler der EM, auch wenn erst zwei Spiele gespielt sind. Und das, obwohl er in der Rückrunde der vergangenen Saison wegen einer Muskelverletzung beim FC Bayern lange nicht spielen konnte.

Das besondere ist vielleicht auch, dass Boateng immer sachlich bleibt, höflich, uneitel. „Wir haben uns als Mannschaft gut defensiv verhalten, besser als gegen die Ukraine“, kommentierte Boateng nach dem Spiel gegen Polen. „Wir spielen bis zum letzten Drittel gut, dann kommen wir nicht am Gegner vorbei und sind nicht gefährlich.“ Spricht von der ganzen Mannschaft, kritisiert keinen direkt, nimmt sich selbst mit in die Verantwortung. Bedacht und irgendwie gelassen, obwohl sein Ärger deutlich zu spüren war.

So bedacht und gelassen wie Ende Mai nach den Äußerungen von AfD-Vize Alexander Gauland. Als Fußballspieler fänden die Leute Boateng ja gut, hatte der Politiker gesagt, aber als Nachbar wolle ihn wohl keiner haben. „Ist traurig, dass so etwas heute noch vorkommt“, kommentierte Boateng damals in der ARD, nach dem Länderspiel der DFB-Elf gegen die Slowakei. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien waren enorm, noch immer liegt der Twitter-Hashtag #Boatengsnachbar weit vorne in den Trends, noch immer ist überall die Rede vom Lieblingsnachbar Boateng.

Einer, der eben auch mal was sagt, wenn es nötig ist, wenn sich was ändern muss. Schon vor der EM hat er immerhin angekündigt, dass er im Laufe des Turniers mehr Verantwortung übernehmen wolle. Vielleicht war die Reaktion nach dem Polen-Spiel ein Zeichen dafür.