James Bond kann man interessant finden. Mögen muss man ihn nicht. Bei seinem zweiten Auftritt in einem Roman von 1954 lässt er eine neue Freundin ganz schön hängen.

Stuttgart - Bei der Lüftungsanlage in seinem Zugabteil schaut James Bond ganz genau hin. Er reist in weiblicher Begleitung von New York nach Florida und fürchtet einen Anschlag. Man könnte zum Beispiel Giftgas in sein Abteil leiten, ein Leichtes für Bonds neuesten Feind Mr. Big, einen schwarzen Supergangster aus Harlem.Mit großzügiger Entlohnung, brutaler Bestrafung und cleverer Manipulation des Aberglaubens hat der Voodoo-Scharlatan ein Netz von Helfershelfern quer durch die USA gesponnen. In „Leben und sterben lassen“, Ian Flemings zweitem Bond-Roman aus dem Jahre 1954, scheinen Mr. Bigs Flüsterbefehle jeden dunkelhäutigen Bürger der USA zu erreichen. Und die Schaffner, Kellner und Bordköche der Eisenbahn sind schwarz.

 

Bond tut also gut daran, vorsichtig zu sein. Dummerweise verspeist er vor seiner Inspektion der Lüftungswege folgenlos und mit gutem Appetit alles, was ihm aus dem Speisewagen gebracht wird. Auf die Idee, Essen und Getränke ließen sich vergiften, kommen er und sein Autor nicht. Fleming erweist sich also keineswegs als präziser Erfinder von Fallen und Entschärfungstechniken des konspirativen Schattenlebens.

Rote Gefahr trifft schwarze Gefahr

Aber Fleming geht es in diesem Roman eben gar nicht ums Spionagehandwerk. Es geht ihm um die große Angst vor einer Zeitenwende. Mr. Big wird uns als Beispiel einer dynamischen Talententfaltung der Unterdrückten und Unterschätzten. Nach den ersten großen Athleten und Akademikern bringe die „Negerrasse“, wie Fleming gern schreibt, nun auch noch große Verbrecher hervor.

Der Voodoo-Glaube, den Mr. Big ausnutzt, steht in „Leben und sterben lassen“ für eine grundsätzlich andere Kultur. Und diese fremde Sphäre reagiert ganz offensichtlich anders als die vertraute weiße Welt auf die Herausforderung durch das Verbrechen. Sie wird gründlicher von ihm durchdrungen, unterwirft sich ihm williger. Damit stellt sie in ihrer Gesamtheit eine Gefahr dar – und in „Leben und sterben lassen“ geht die schwarze Bedrohung prompt auch ein Bündnis ein mit Flemings Dauerschrecken, mit der roten Gefahr. Mr. Big ist in der Karibik auf einen alten Piratenschatz gestoßen, den er nach und nach in die USA schmuggeln lässt. Den Erlös der alten Goldmünzen führt er der sowjetischen Spionagemaschine zu.

Die Reizbegriffe sind noch da

Ist dieser Roman also rassistisch? Ohne viel Aufgeregtheit darf man befinden: Ja. Fleming nutzt ethnische, sexuelle oder sonstige Abweichungen vom weißen westlichen Normleben stets gerne als Zeichen für Gefährlichkeit und böse Absichten. Die Übersetzerinnen Stephanie Pannen und Anika Klüver haben die Sprache von damals nicht bereinigt oder modernisiert.Der Reizbegriff Neger findet auch noch in der Übertragung Verwendung.

Ein (nicht eben schmeichelhaftes) Element des Romans lässt sich aber beim besten Willen nicht mehr übersetzen. Der 007-Erfinder lässt die schwarzen Figuren zwar schweren Soziolekt sprechen – der allerdings klingt, als habe Fleming sein Konzept von Afroamerikanern und ihrer Sprache beim Anhören der Radioshow „Amos and Andy“ geformt.

Frauen und Schampus

Vom smarten, ironischen Helden der Filme ist auch dieser James Bond noch weit entfernt. Der Agent mit dem harten, ja grausamen Zug um den Mund ist einen Tacken weniger beamtenhaft als bei seinem ersten Auftritt in „Casino Royale“. Aber seine grausame innere Leere ist noch immer auf unangenehme Weise beeindruckend. Solitaire, seine Begleiterin auf der Zugfahrt, kommt durch die Affäre mit ihm in Lebensgefahr. In den Händen von Mr. Big drohen ihr der Tod und viel Grausiges vorab. Aber Bonds Sorge um sie bleibt ein kurzes Lippenbekenntnis, die Doppelnull lässt sich nicht weiter beirren.

Am Ende legt Fleming diese Solitaire seinem Helden zwar wieder in die Arme. Aber das ist eine Geste, als ob er einem erfolgreichen Rennfahrer die Megapulle Schampus zur Siegesfeier reiche. Ian Fleming pflegte auch im eigenen Leben ein nicht immer von bindender Zuneigung geprägtes Verhältnis zu Frauen. Insofern sind die Bond-Romane gerade in ihren unpersönlichen Passagen wohl sehr persönliche Zeugnisse.

Ian Fleming: „Leben und sterben lassen“ (Originaltitel: Live and let die). Cross Cult, Ludwigsburg. Roman, aus dem Englischen von Stephanie Pannen und Anika Klüver. 352 Seiten. 12,80 Euro. Auch als E-Book, 4.95 Euro, und als Hörbuch, 14,95 Euro.