In „Moonraker“ hat Ian Fleming 1955 den Rüstungswettlauf thematisiert und Altnazis aufmarschieren lassen. Das liest sich heute unfreiwillig komisch.

Stuttgart - Beamtenleben darf man das nicht nennen. Höheres Beamtenleben aber schon. James Bond bewegt sich in „Moonraker“ von 1955, Ian Flemings drittem Roman um den Agenten mit der Lizenz zum Töten, zunächst im Alltagstrott durch die Büros und Korridore seines Amtes. Bürokratenhafte Züge, die man an den Kinovarianten der Bond-Figur nicht zuließ, waren schon in den ersten Bond-Büchern „Casino Royale“ und „Leben und sterben lassen“ auffällig. Aber nun führt Fleming sie nicht mehr als seltsamen Widerspruch zum Abenteuerlichen der Figur vor, er bekommt eine perfekt verrührte Mischung hin.

 

Bond führt ein Angestelltenleben, das von Routine, Papierkram und Langeweile geprägt ist. So dockt er an die Lebenswirklichkeit vieler Leser an und überhöht den Trott zugleich. Was über Bonds Schreibtisch läuft und abgehakt werden will, sind Aktenmappen voller Geheiminformationen über jenen Kalten Krieg, in dem das Schicksal der ganzen Welt draußen vor den Amtsstubenfenstern entschieden wird. Zu den nervenden Routinepflichten gehören Schießübungen und Nahkampfunterricht, Auflockerungen, die sich jene Leser wohl gewünscht hätten, deren Sitzdienstunterbrechungen ins Magazin führten, zum Abholen neuer Büroklammern, und die ihre Hefter luden und entleerten, nicht ihre Revolver.

Das wird nichts mit der Pension

Jeder leere Stuhl wird hier vom Ruch des Ungeheuerlichen umweht, der Kollege könnte sich gerade in einem Folterkeller der Sowjets befinden, und wenn das interne Telefon anschlägt, dann stehen die Chancen gut, dass es nicht um neue Formblätter geht, sondern um einen riskanten Auftrag im Ausland, um einen jener Sondereinsätze, für die Commander Bond im Amtsalltag im Leerlauf parat steht. In typischer Beamtenlarmoyanz ist Bond mit beidem unzufrieden, mit der Routine, die ihn langweilt, und mit den Sonderaufträgen, die ihn auf Touren bringen. Die sind so gefährlich, rechnet er sich aus, dass er nicht mehr arg viele davon überleben wird. Es gibt keine Pensionierungsperspektive für Bond.

Wer verstehen will, wie und warum sich Bond schon vor den Verfilmungen in die Köpfe und Herzen der Fans schleichen konnte, muss den Anfang von „Moonraker“ lesen, Flemings prägnante Verquickung von Banalität und Heldenglanz.Gleich danach allerdings zeigt sich Fleming von seiner schlimmsten, seiner snobistischsten Seite.Er lässt Bond mal wieder ein Spieltischabenteuer erleben, ein Bridge-Duell, das er in aller Ausführlichkeit schildert, ohne sich zu Erklärungen für Bridge-Unkundige herabzulassen.

Schweißtreibendes Bridge

Fleming selbst, halb Dandy, halb Karrierist, hat viel Zeit mit solchen Abendritualen der besseren britischen Klassen verbracht, und so scheint es ihm völlig selbstverständlich, dass ein privater Kartenabend so schweißtreibend ist wie ein Kampf gegen den sowjetischen Geheimdienst. Bond kommt nämlich nur dem privaten Wunsch seines Vorgesetzten M nach, der gerne wüsste, ob sich da ein Falschspieler in seinem Club herumtreibt.

Immerhin, dieser Verdächtige ist der schwerreiche Sir Hugo Drax, der gerade mit Hilfe eines Trupps ehemaliger Peenemünde-Experten der Nazis eine Atomrakete testreif macht, der die Russen noch nichts werden entgegen setzen können. M liegt auch ein wenig daran, einen hinderlichen Skandal um diesen wichtigen Mann zu vermeiden, und so schlittert Bond doch hinein ins dienstliche Abenteuer.

Im Maulwurfsbau der Übernazis

Was Fleming sich dann da an Entwurf einer Geheimbasis leistet, in der eine seltsame Truppe im Lauf- und Gleichschritt umhereilender deutscher Wissenschaftler vermeintlich fürs Empire eine Megavariante der V-2 schreiben, ist auf seine Art so seltsam wie Flemings Bridgefimmel. Man das heute überhaupt nicht mehr ernst nehmen, es liest sich wie der weitsichtig-frühe Entwurf eines jener Monty-Python-Gags, in denen tollwutschäumende Übernazis sich in Großbritannien im Spießeridyll breitmachen und von den Verdrängungsmechanismen einer Wegschaugesellschaft zu netten Kerlen umgedeutet werden.

Mehr Aufmerksamkeit als dem halbwegs glaubhaften Entwurf einer Maulwurfsoperation von Altnazis widmet Fleming der Dekonstruktion einer starken Frau. Schon der anfängliche Blick auf die Sekretärinnen beim Geheimdienst ist Ausdruck voll erblühter Macho-Schizophrenie. Einerseits genießen Bond und Fleming die Gegenwart (selbstredend attraktiver) Frauen in der Geheimdienstwelt, andererseits scheint ihnen ein Job dann doch auch unweiblich zu sein. Als Bond die Organisation von Drax infiltriert, trifft er dort auf eine bereits eingeschleuste Agentin, und es wird Held und Autor ein dringliches Anliegen, aus deren Coolness und Kompetenz Hingabe an Bond zu machen.

Und jetzt alles noch mal wiederholen, bitte

Wie immer glänzt Fleming dann, wenn es um haarsträubende Actionsequenzen geht . In der Gesamtdarstellung ist er seltsam schlampig, wiederholt vieles und lässt sich viele geschwätzige Passagen durchgehen. Das scheint nicht allein daran zu liegen, dass Fleming „Moonraker“ zunächst als Filmprojekt entworfen und erst danach zum Roman aufgefüttert hat. Eher scheint er von einem Leser auszugehen, der nicht wirklich bei der Sache oder in größeren Abständen kleinen Häppchen liest, zum Beispiel morgens auf dem Weg zur Arbeit ein paar Seiten in der U-Bahn und abends wieder ein paar auf dem Heimweg. So lässt sich Bond gerne immer wieder Dinge durch den Kopf gehen, die wir ohnehin schon wissen.

Einmalig in der Bond-Reihe ist die Grenzüberschreitung, keine Grenzen zu überschreiten. oo7 agiert auf heimischem Boden, wozu er eine wacklige Sondergenehmigung braucht. Aber Drax und seine Schießbudennazis stellen eben eine ganz besondere Herausforderung dar. Auch für uns – „Moonraker“ soll mal einer lesen, ohne sofort John Cleese, Terry Jones und deren Python-Kollegen in einer kleinen Pension vor Augen zu haben: „And over here is Mr. Hilter!“ „Oh, ah, Heil! Uhm, Gutt Afterrnoon!“ Usw., usw.....

Ian Fleming: „Moonraker“. Roman. Aus dem Englischen von Anika Klüver und Stephanie Pannen. Cross Cult Verlag, Ludwigsburg . 340 Seiten, 12,80 Euro. Auch als E-Book, 7,99 Euro, und als Hörbuch-Download, 14,95 Euro.