Nach dem hauchdünn verpassten Bundesliga-Aufstieg läuft es beim 1. FC Heidenheim sportlich und finanziell alles andere als rund. Eine Bestandsaufnahme vor dem Schlüsselspiel am Freitag gegen Schlusslicht Würzburger Kickers.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Heidenheim - Im Juli hat nur ein Tor in den Relegationsspielen gegen Werder Bremen (0:0 und 2:2) gefehlt und der 1. FC Heidenheim wäre in die Fußball-Bundesliga aufgestiegen. Vier Monate später hat den Club längst der Alltag eingeholt. Und der sieht ziemlich trist aus. Ausgeschieden in der ersten DFB-Pokal-Runde bei Drittligist SV Wehen Wiesbaden, nur ein Sieg in sechs Zweitligaspielen, drittletzter Platz, finanzielle Probleme inklusive angekündigter Kurzarbeit und zwischendurch fiel auch noch Trainer Frank Schmidt wegen einer mittlerweile ausgeheilten Entzündung im Bauchraum mehrere Tage aus.

 

Herausfordernde Lage

„Wir befinden uns fraglos in einer sehr herausfordernden Situation“, sagt der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald. Und Schmidt redet vor dem Heimspiel an diesem Freitag (18.30 Uhr) gegen Schlusslicht Würzburger Kickers nicht lange drumherum: „Fakt ist: Es ist ein sehr wichtiges Spiel für uns, in dem auch Ergebnisdruck da ist.“

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Dass sich sein Team nach der erfolgreichsten Saison der Vereinsgeschichte sportlich schwer tun könnte, überrascht die wenigsten Kenner der Branche. Die Enttäuschung über die verpasste „Lebenschance“ (Schmidt) musste weggesteckt werden, bei den Gegnern schwirrt der FCH endgültig nicht mehr unterm Radar. Und dann waren da noch die Abgänge. Die lassen sich auf der Ostalb nicht vermeiden: Robert Glatzel, Nikola Dovedan, Robert Andrich, Tim Skarke oder Florian Niederlechner – immer wieder werden starke Spieler aus Heidenheim weggekauft. Doch diesmal fiel der Umbruch so extrem aus wie nie. Es gingen nicht nur punktuell Leistungsträger, mit Niklas Dosch (KAA Gent/Belgien) und Sebastian Griesbeck (Union Berlin) verabschiedete sich das Mittelfeld-Herzstück, mit Tim Kleindienst (KAA Gent) der Top-Torjäger und mit Timo Beermann (VfL Osnabrück), Arne Feick (Würzburger Kickers) und Robert Strauß (Karriereende) zudem Typen mit Herz und Leidenschaft.

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„Dass eine erfolgreiche Mannschaft Begehrlichkeiten anderer Vereine weckt, ist ganz normal im Profigeschäft“, sieht Sanwald die Sache äußerlich gelassen. Aktuell sei der Prozess, eine neue Elf zu formen „in vollem Gange und dauert momentan noch an“. Zuletzt beim 0:1 in Düsseldorf standen mit Mittelfeldmann Andreas Geipl (Jahn Regensburg) und Stürmer Christian Kühlwetter (1. FC Kaiserslautern) nur zwei Neuzugänge in der Anfangsformation. Für Sanwald kein Grund, die Personalpolitik zu hinterfragen: „Alle Spieler müssen sich dem Konkurrenzkampf in unserem breiten Kader stellen – das gilt für Spieler, die schon länger bei uns sind genauso wie für unsere Neuzugänge.“

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Mit ruhiger Hand führt der 52-Jährige den Verein – und das seit 1994. Auch in der Vergangenheit kratzte der FCH in schwierigen Situationen die Kurve nach oben. Doch zur sportlichen Misere kommen finanzielle Probleme aufgrund der Corona-Krise. Der Verein hat Kurzarbeit angekündigt und ging mit dieser Botschaft in dieser Woche aktiv an die Öffentlichkeit. „Wir befinden uns seit Beginn der Corona-Pandemie durchgehend im Krisenmodus. Durch die derzeitigen Maßnahmen entstehen uns deutliche Einbußen in den Bereichen Ticketing, Hospitality, Merchandising und Catering“, erklärt Sanwald. „Sollten diese Maßnahmen verlängert werden, hat das zur Folge, dass wir im Dezember – zum zweiten Mal nach April und Mai – Kurzarbeit anmelden müssen.“

Mitgliederversammlung erst 2021

Alle Mitarbeiter werden im November, als Voraussetzung für eine mögliche Kurzarbeit, ihren Resturlaub für dieses Jahr abbauen. Auch seine Mitgliederversammlung hat der Verein auf einen nicht näher definierten Termin im Frühjahr/Sommer 2021 verschoben. Sanwalds Begründung: „Die aktuelle Verordnungslage lässt eine turnusmäßige Mitgliederversammlung in bewährter Form im November überhaupt nicht zu.“ Wo und in welcher Form diese Mitgliederversammlung abgehalten wird, sei aktuell noch nicht abzusehen. Eine Online-Mitgliederversammlung werde nicht stattfinden.

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Mit Zusammenhalt und Zuversicht wolle man sich aus dieser Situation herausarbeiten. Mit Dauerbrenner Frank Schmidt (seit 2007 im Amt) an der Spitze. Mister Heidenheim hat beim FCH einen Vertrag bis 2023 – und Sanwald sagt das, was er immer sagt: „Es gibt keinen besseren Trainer für den 1. FC Heidenheim als Frank Schmidt. Wenn er wollen würde, könnte er seinen Vertrag jederzeit unbefristet verlängern.“

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Der Coach selbst blickt nur auf das Spiel gegen Würzburg: „Wille, Bereitschaft, Körpersprache Zweikampfverhalten waren im Training da.“ Dies gelte es im Spiel umzusetzen. Denn nicht nur Schmidt weiß: „Wenn wir das Spiel verlieren sollten, dann hängen wir die nächsten Wochen ganz unten drin.“ Was den Krisenmodus deutlich verschärfen würde.