Der 1000. Tatort „Taxi nach Leipzig“ ist eine Neuauflage der ersten Folge aus dem Jahr 1970. Damals waren Ermittler noch coole ältere Männer, die nichts schrecken konnte.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Leipzig - Es wird nicht viele geben, die um das Ende der DDR trauern. Drehbuchautoren und Filmemacher könnte allerdings gelegentlich Wehmut beschleichen, denn das geteilte Land bescherte ihnen spannende Stoffe – tragische Liebes- und traurige Fluchtgeschichten. So war es nicht abwegig, dass der erste „Tatort“, der 1970 über die (west-)deutschen Fernsehgeräte flimmerte, drüben „in der Zone“ spielte und schon in der ersten Einstellung den Albtraum aller Transitreisenden vorführte: Grenzkontrolle. Schneidende Atmosphäre, scharfe Blicke, raue Sitten, herausgenommene Rückbänke und durchwühlte Koffer.

 

Der Junge aber, der auf der Rückbank eines Westautos unter einer Decke liegt, darf rübermachen in den Osten. „Das Kind schläft“, sagt der Vater. Kurz darauf wird ein totes Kind an einem Parkplatz bei Leipzig gefunden. Todesursache: Leukämie. Kommissar Trimmel aber wundert, dass der Junge West-Schuhe trug – „ich hab so ’n komisches Gefühl in der Nase“.

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Als „Taxi nach Leipzig“ Premiere hatte, vermutete kaum jemand, dass sich das Format zu einem so gewaltigen Erfolgsmodell entwickeln würde. Rund zehn Millionen Zuschauer sitzen heute Sonntag für Sonntag vor dem Fernseher, bei Facebook hat der „Tatort“ 900 000 Fans, auf Twitter sind es 180 000 Follower. Anders als bei den meisten Produktionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehört der „Tatort“ sogar bei jungen Zuschauern zum wöchentlichen Ritual.

Bei nur drei TV-Programmen war die Konkurrenz 1970 nicht groß

Schon die erste Folge „Taxi nach Leipzig“ erreichte bereits eine traumhafte Einschaltquote von 61 Prozent – was bei nur drei Fernsehprogrammen allerdings erwartbar war. Der 1000. „Tatort“, der an diesem Sonntag läuft, ist eine Neuauflage von „Taxi nach Leipzig“ von 1970 – und doch liegen zwischen diesen Fahrten nach Leipzig nicht nur fast fünfzig Jahre, sondern Welten. Und das nicht nur deshalb, weil damals zum Kaffee selbstverständlich immer auch ein Cognac gekippt und ständig geraucht wurde und „Kotzbrocken“ und „Du hältst die Schnauze“ zum üblichen Tonfall gehörten.

1970 wurde auch deutlich langsamer erzählt, als man das heute tut. Die Kamera gleitet in diesem ersten „Tatort“ ausgiebig über west- und ostdeutsche Interieurs und Außenschauplätze. Eine eigenwillige Atmosphäre umgibt Renate Schroeter und Peter Hallwachs, die ein verdächtiges Liebespaar spielen. Ihre Dialoge klingen lapidar und irgendwie hölzern. Die Regie lässt sich viel Zeit, um die Geschichte sich entfalten zu lassen – und trotzdem ist dieser Krimi keineswegs langweilig, sondern lässt viel Raum für eigene Assoziationen und böse Vorahnungen.

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Wie stark die Zeit über den „Tatort“ hinweggegangen ist, lässt sich aber vor allem an den Ermittlern ablesen. Dieser Paul Trimmel (Walter Richter) war ein Hauptkommissar vom alten Schlag, Typ knarziger Mittfuffziger im Trenchcoat. Trimmel hat nicht die Sorgen und Nöte, die die heutigen „Tatort“-Ermittler plagen. Er hat weder mit Skrupeln noch mit Depressionen zu kämpfen, wird nicht von Beziehungskrisen oder Sorgenkindern geplagt. Trimmel hat die Dinge fest im Griff, ist kühn, wagemutig und furchtlos, als sei die Polizeiarbeit nichts als ein köstliches Spiel, bei dem er selbstverständlich auf der Seite des Guten ist. So ermittelt er als Wessi auf eigene Faust in der DDR, was aber doch nicht ganz so simpel ist, wie er es sich in seinen Allmachtsfantasien vorgestellt hat. Kaum ist Trimmel inkognito in Leipzig angekommen, wird er auch schon auf der Straße angesprochen: „Von drüben, was?“