Gerade der Bezirk Stuttgart prägt die Mammutgewerkschaft. Dieses Wochenende feiert Verdi Stuttgart zehnjähriges Jubiläum.  

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Vor der Fusion von damals fünf Einzelgewerkschaften war er ein Gegner des Zusammenschlusses. Zum Jubiläum zehn Jahre später ist Bernd Riexinger ein wichtiger Vorkämpfer bei Verdi. Der 55-Jährige gehört zwar nicht zur Bundesführung, doch der Bezirk Stuttgart, dem er seither als Geschäftsführer vorsteht, ist einer der aktivsten und einflussreichsten der Mammutorganisation.

 

Als Mitglied der Gewerkschaft HBV (Handel, Banken, Versicherungen) hatte er vor der Fusion wie viele andere die Sorge, von der dominierenden ÖTV (Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr) erdrückt zu werden. Eine Fehleinschätzung, wie sich zeigte. Denn Gewerkschaften bestehen vor allem aus einer Vielzahl ehrenamtlicher Kräfte, die das Ränkespiel der hauptamtlichen Funktionäre nicht so sehr interessiert. Gemeinsam begannen sie, rasch eine neue Verdi-Identität zu schaffen. Heute spielt es keine Rolle mehr, wer aus welcher Gründungsorganisation stammt.

Zufrieden über Erfolge

Wenn Verdi Stuttgart von Freitag bis Sonntag Zehn-Jahr-Jubiläum feiert, kann Riexinger - gemessen an den Problemen, mit denen die Gewerkschaft zu kämpfen hat - zufrieden sein. Kein anderer Bezirk sei im Kampf um die öffentliche Daseinsvorsorge und gegen die Privatisierung städtischer Einrichtungen so erfolgreich gewesen. "Wir haben den Wert von Kampagnen früh entdeckt", sagt er. Ohne Verdi Stuttgart gäbe es keine städtische Müllabfuhr mehr. Die sozialen Dienste wären ebenso ausgegliedert wie die Kindertagesstätten. Auch die Krankenhäuser befänden sich nicht mehr im öffentlichen Eigentum. Früher habe er unterschätzt, dass eine große Gewerkschaft in einem Ballungsraum politisch handlungsfähig sein kann.

Insofern hat Verdi Stuttgart auch nicht so viele Mitglieder verloren wie andere Bezirke. Um die 57000 Beitragszahler waren es vor zehn Jahren; übrig geblieben sind knapp 51000. Bei der Mitgliederentwicklung zählt Stuttgart mit Dortmund zu den besten Großstadtbezirken von Verdi. Zur Jahresmitte wurde unterm Strich sogar ein Miniplus von 0,3 Prozent erreicht. Mehr ist kaum drin. Der Jugendanteil ist zwar relativ hoch, doch die stärkste Gruppe ist zwischen 45 und 60 Jahre alt. Die vielen Abgänge werden also anhalten.

Gewerkschaften in der Defensive

Mit den Erzieherinnen zum Beispiel hat Verdi Neuland betreten und einen Tarifvertrag errungen. Doch oft muss als Erfolg verkauft werden, was keine Verschlechterung bedeutet. "In der Hochphase der neoliberalen Politik sind die Gewerkschaften in einer fast 15-jährigen Defensive, und es ist mühevoll, aus dieser Defensive herauszukommen", resümiert Riexinger. Verdi organisiert immer weniger Großbetriebe mit streikerfahrenen Belegschaften: die Post, die Telekom oder die Energieversorger. Selbst der öffentliche Dienst wird durch die vielen Privatisierungen immer unübersichtlicher, der Einzelhandel ist es längst. Der Arbeiterbereich wird immer kleiner. Und in der Tarifpolitik, die freilich nicht von Stuttgart aus gesteuert wird, verfehlt Verdi mitunter selbst im Aufschwung das Ziel, Tarifabschlüsse oberhalb der Inflationsrate zu vereinbaren.

Nun ist Riexinger nebenbei auch Landessprecher der Linkspartei. Dass sich der Verdi-Bezirk oft an Sozialprotesten beteiligt hat, ist auch ihm zuzuschreiben. Selbst in Stuttgart sei es nicht einfach, die Mitglieder für politische Themen auf die Straße zu bringen, bekennt er. So habe es Verdi zwar geschafft, die Forderung nach dem gesetzlichen Mindestlohn mehrheitsfähig zu machen. "Wir haben aber nicht die Kraft, die Einführung des Mindestlohns auch durchzusetzen." Daher strebt der gelernte Bankkaufmann eine stärkere politische Mobilisierung an.

Ruf nach mehr Flexibilität

Auch im Südwesten wachsen die atypischen Arbeitsverhältnisse - also Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Teilzeit und der Niedriglohnbereich - rasant. Dort will Verdi nun mehr Menschen organisieren und die Bedingungen regulieren. All die vielfältigen Felder zu beackern, ist sehr personalaufwendig. So viele hauptamtliche Kräfte hat eine zum Sparen verdammte Organisation wie Verdi nicht. Riexinger will den weißen, betriebsratslosen Flecken der Gewerkschaftslandschaft mit neuen Organisationsmethoden beikommen. Verdi muss flexibler werden, lautet sein Credo.

Die Fusion 2001 ist vielleicht nur deswegen gelungen, weil sich Verdi eine höchst starre und komplizierte Struktur gegeben hat. Niemand sollte sich untergebuttert fühlen. Für die Zukunft dringt der Bezirksgeschäftsführer hingegen auf eine Aufstellung, die es erlaubt, die Kräfte im Streikfall branchenübergreifend zu bündeln. Allen Problemen zum Trotz will Riexinger in die Offensive kommen. Der Bezirk Stuttgart soll dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.

Verdi feiert Zehnjähriges

Jubiläumstage Zum Zehnjährigen präsentiert sich die Gewerkschaft Verdi morgen in der Innenstadt. Im Folgenden einige Höhepunkte:

Freitag, 9 Uhr Protest-Vesperpause mit den Beschäftigten der Arbeiterämter der Stadt Stuttgart auf dem Marktplatz.

14 bis 16 Uhr Musikalische Beiträge und Infostände auf dem Kronprinzenplatz.

16.30 Uhr „Bunter Demonstrationszug“ durch die Stuttgarter Innenstadt, bei dem die großen Verdi-Bereiche dargestellt werden.

17.30 Uhr Empfang auf dem Marktplatz mit Auftritten der Sozialbürgermeisterin Isabell Fezer, des Schriftstellers Wolfgang Schorlau und der Verdi-Landeschefin Leni Breymaier.

19 Uhr Party mit den Bands Bots und Microphone Mafia sowie Kabarett von Bruno Schollenbruch auf dem Marktplatz.

Samstag/Sonntag Kongress „Wo bleibt mein Aufschwung?“ mit Workshops, Vorträgen und Diskussionen; zum Abschluss soll die „Stuttgarter Erklärung“ verfasst werden.