Das Schmuddelimage ist sie nie losgeworden. Dabei sind Beate Uhses Verdienste unbestritten. An diesem Freitag wäre sie 100 Jahre alt geworden. Warum tut sich Deutschland mit dieser Frau bis heute so schwer?

Stuttgart/Flensburg - Als was ist sie nicht alles bezeichnet worden: als „Mutter Courage des Tabubruchs“, „Pionierin für liberale Sexualität“, „Liebesdienerin der Nation“ und zuletzt als „Oma der Sexindustrie“ – und das sind noch die wohlwollenden Kommentare. Dabei war Beate Uhse, die an diesem Freitag 100 Jahre alt geworden wäre, vor allem eine gewiefte Geschäftsfrau, die sich nicht unterkriegen ließ: nicht vom Leben, nicht von Männern und erst recht nicht von Alice Schwarzer.

 

Aufgewachsen in einem liberalen Elternhaus in Ostpreußen, entdeckt sie früh ihre Leidenschaft fürs Fliegen. Mit 18 macht sie den Pilotenschein, mit 20 heiratet sie ihren Fluglehrer, mit 24 überführt sie Sturzkampfbomber an die Ostfront. Ihr Ehemann, der Jagdflieger Hans Jürgen Uhse, fällt 1944, sie selbst kapert im April 1945 ein Flugzeug und flüchtet mit ihrem zweijährigen Sohn aus dem eingeschlossenen Berlin.

Ihre erste Broschüre kostet zwei Reichsmark und wird ein Riesenerfolg

Als mittellose Kriegswitwe landet Uhse in Flensburg. Anfangs schlägt sie sich mit dem Verkauf von Spielzeug durch, zieht von Tür zu Tür und erfährt von ihren Kundinnen, dass Empfängnisverhütung eines der dringendsten Probleme junger Paare ist. Von Verhütung war in den Jahren zuvor nie die Rede gewesen, schließlich sollte die deutsche Frau dem „Führer“ ein Kind nach dem anderen schenken, damit er sie nach Stalingrad, Narvik oder Tobruk schicken kann. Dementsprechend groß ist die Ahnungslosigkeit.

Uhse beantwortet geduldig Fragen wie „Kann man durch einen Kuss schwanger werden, und, wenn ja, kommt das Baby aus dem Bauchnabel?“ und erkennt eine Marktlücke. Sie druckt 2000 Broschüren, in denen sie die Verhütungsmethode nach Knaus-Ogino – fruchtbare Tage zählen – erklärt. Die „Schrift X“ zu zwei Reichsmark wird ein Riesenerfolg. Wie die Jungfrau zum Kind sei sie zu ihrem Gewerbe gekommen, schreibt sie in ihrer Autobiografie.

Der erste Sexshop der Welt steht in Flensburg

Als sie 1949 den Geschäftsmann Ernst-Walter Rotermund heiratet und dessen Namen annimmt, ist ihr früherer Name schon zur Marke geworden – wie Nivea und Tempo. Im Februar 1951 gründet sie das Spezial-Versandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel, 1962 folgt mit dem Institut für Ehehygiene in der Angelburger Straße in Flensburg der erste Sexshop der Welt – auf Anraten ihres Anwalts kurz vor Weihnachten eröffnet, weil die Menschen da etwas milder gestimmt seien.

Doch die Widerstände im prüden Deutschland der 50er und 60er Jahre sind groß: Konservative und Kirche machen mobil. Sex soll Spaß machen? So weit kommt’s noch! In Gotteshäusern liegen vorgedruckte Beleidigungsklagen aus, falls eines der Schäfchen unaufgefordert einen Beate-Uhse-Prospekt erhalten sollte.

Die Justiz wirft ihr Förderung von Unzucht vor, verurteilt wird sie wegen der Bierpreise

Hunderte Male steht sie vor Gericht, meist wegen Förderung von Unzucht. So prüft das Landgericht Flensburg 1969 den Vorwurf der „unnatürlichen Aufpeitschung geschlechtlicher Reize“ durch von Beate Uhse verkaufte „Reizpräservative“ zur „Kontaktverstärkung bei geringer Empfindungsfähigkeit der Frau“. Staatsanwälte werfen ihr vor, sie verbreite „schleichendes Gift zur Versuchung der sexuellen Fantasie“. Einem Anklagevertreter entgegnet sie 1969 wutentbrannt: „Hier steht der Orgasmus vor Gericht.“ Verurteilt wird sie nur einmal: weil sie Bier unter dem Mindestpreis verkauft hatte.

Uhse holt den Sex aus der Tabuzone und macht den Deutschen klar, dass er nicht allein zur Fortpflanzung dient. Keine leichte Aufgabe, doch sie hat Erfolg. Mit der Sexwelle Ende der 60er Jahre und der Legalisierung von Pornografie 1975 brechen dann alle Dämme. Beate Uhse steigt ins Filmgeschäft ein – und wird zum Hassobjekt von Feministinnen wie Alice Schwarzer, die ihr vorwirft, Profit aus der „erniedrigenden Darstellung von Frauen“ zu schlagen. Das sitzt, zumal die einstige Aufklärerin der Nation inzwischen für Reisen mit dem Bumsbomber nach Bangkok wirbt, wo der Mann noch „Herr und Meister“ sein dürfe.

Der Börsengang ist der letzte Höhepunkt des Unternehmens

Die Wiedervereinigung bringt reichlich neue Kundschaft, der Börsengang 1999 ist der Höhepunkt ihrer Karriere. Anleger stehen Schlange, die Aktie steigt in drei Tagen von 7,20 auf 28,20 Euro. Ab 2005 geht es jedoch steil bergab. Das Unternehmen findet keine Antwort auf die Gratiskonkurrenz aus dem Internet und setzt zu lange ausschließlich auf männliche Kundschaft. 2015 rutscht das Unternehmen in die roten Zahlen, 2017 folgt die Insolvenz. Die Beate Uhse AG wird von dem niederländischen Investor Robus Capital Management übernommen, der das rückläufige Geschäft jedoch auch nicht stabilisieren kann. Im Juli 2019 meldet Beate Uhse erneut Insolvenz an. Der Wert des Unternehmens liegt heute im Wesentlichen im Markennamen. Ihre Aktien – die derzeit mit 0,003 Euro gehandelt werden – erfreuen heutzutage allenfalls noch Liebhaber, wegen der leicht bekleideten Damen, die das Wertpapier zieren. Übrig bleibt der Versandhandel Orion, der 1981 abgetrennt worden war und heute von ihrer Stiefenkelin Maike Rotermund geleitet wird. Beate Uhse erlebt den Untergang ihres Imperiums nicht mehr. Am 16. Juli 2001 stirbt sie im Alter von 81 Jahren an einer Lungenentzündung.

Das Schmuddelimage wird sie nie los – daran ändert auch das Bundesverdienstkreuz nichts

Trotz ihrer Verdienste um das Sexualleben der Deutschen und die Selbstbestimmung der Frau, das Schmuddel-Image wird Beate Uhse nie los. Sie erhält zwar das Bundesverdienstkreuz, auch wird nach ihrem Tod in Flensburg eine Straße nach Beate Rotermund benannt. Die Fachhochschule in Flensburg – der Stadt, der sie Millionen einbrachte – nach ihr zu benennen geht vielen dann aber doch zu weit. „Für Beate Uhse fehlte uns der Mut“, gesteht FH-Präsident Holger Watter 2016 offenherzig.

Über so viel Verklemmtheit hätte Beate Uhse vermutlich herzhaft gelacht. Auch das Urteil der Historiker ist gespalten. „Das ist alles andere als die Emanzipationsgeschichte einer Frau, die für die sexuelle Freiheit und das Glück der Menschen kämpft“, sagt Biografin Katrin Rönicke. Sie sei nach ihren Recherchen „enttäuscht“, dass es der Firmengründerin mehr und mehr ums Geldverdienen gegangen sei.

Um eine Antwort wäre Beate Uhse nicht verlegen gewesen, Kritikern hatte sie schon zu Lebzeiten erklärt: „Ich bin nicht Jesus, ich bin eine Kauffrau.“