Vor einem Jahrhundert überraschte der der Russe Lew Sergejewitsch Termen, der sich später Leon Theremin nannte, mit einem Instrument, das die Elektronische Musik auf den Weg bringen sollte – nur anfassen durfte man es nicht.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Musik ist nicht nur mit Geräusch verbunden, sondern braucht in fast allen Fällen auch ordentlichen Kraftaufwand bei der Erzeugung: Saiten werden angeschlagen, Tasten gedrückt und Töne mit Luft, Druck und Spucke einem Schilfrohr abgepresst, während, nur zum Beispiel, die Finger des Oboenspielers gleichzeitig kräftig und filigran zugreifen müssen. Mit einem Wort: Soll etwas klingen, ist körperliche Schwerarbeit gefragt.

 

Bitte nicht berühren!

Dieser Zustand endete vor hundert Jahren, als der in Sankt Petersburg geborene Lew Sergejewitsch Termen – eine Doppelbegabung, die einerseits Cello, andererseits Physik studiert hatte – einer staunenden Öffentlichkeit ein Instrument vorstellte, das man ausdrücklich nicht berühren durfte. Vielmehr sollten sich, vereinfacht gesagt, die Hände der Musiker zwischen zwei leitenden Flächen (wie Antennen) bewegen. Der Rest ist Elektronenfluss und Frequenzumwandlung bis zu einem Umfang von neun Oktaven. Es entsteht, schwer zu erlangende Virtuosität vorausgesetzt, ein sphärischer Klang, von dem sogar Lenin bei einer Privatvorführung begeistert war. Termen, der sich seinerzeit aus vermarktungstechnischen Gründen Leon Theremin nannte, ging mit seiner Geistermusikbox auf Welttournee. Später wurde er wegen angeblicher antisowjetischer Propaganda in den Gulag geschickt, arbeitete dann aber wieder als „Wanzenerfinder“ für den KGB und wurde fast hundert Jahre alt.

Neue Welten öffnen sich

Ohne das Theremin, das schon von den Komponisten Bohuslav Martinu und Dmitri Schostakowitsch eingesetzt wurde (und später sehr gerne von Henry Mancini, Edgar Varese und Tom Waits), gäbe es heute wohl keine Synthesizer, ja, wären überhaupt große Bereiche der elektronischen Musik undenkbar. Es lohnt sich, auf den wunderbar spacigen Sound zu achten. Nicht selten sorgt das Theremin dafür, dass sich buchstäblich neue Welten öffnen – in unzähligen Science-Fiction-Filmen und auf der nicht nur vom Sound her revolutionären „Good Vibrations“-Aufnahme der kalifornischen Beach Boys. Wer es härter mag: Das begleitende Sirren hinter dem eckigen Hauptriff von „Whole Lotta Love“ entlockte der Gitarrist Jimmy Page von Led Zeppelin ebenfalls einem Theremin.