Vor 100 Jahren ist die Volkshochschule Stuttgart gegründet worden. Eine Erfolgsgeschichte. Allerdings erreicht ihr Bildungsangebot nur einen Teil der Stadtbevölkerung. Bildung für alle bleibt die große Herausforderung, kommentiert Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Wenn es die Volkshochschule nicht gäbe, müsste man sie erfinden! Man hört diese Formulierung auch in anderen Zusammenhängen. Im Fall der Volkshochschule Stuttgart trifft sie unzweifelhaft zu. Millionen Menschen haben seit ihrer Gründung vor 100 Jahren von den Angeboten profitiert – allein im vergangenen Jahr zählte die VHS 200 000 Teilnehmende aus Stuttgart und Umgebung. Auffällig ist der Anteil der Frauen – er liegt dreimal so hoch wie der Anteil der Männer. Vor 100 Jahren war es andersrum, da dominierten die Männer. Frauen war der Zugang zu Bildung oft versperrt. In Person der Wissenschaftlerin Carola Rosenberg-Blume hat die VHS Stuttgart hier Wegweisendes geleistet. Die damals entwickelte Frauenakademie ist bis heute ein weithin beachtetes Aushängeschild.

 

Das alles hat Beachtung verdient – auch jenseits des Festakts, den die VHS Stuttgart und andere am 9. Oktober feiern. Denn an den Volkshochschulen lässt sich immer auch ablesen, was die Menschen in ihrer Zeit interessiert. Sie sind Seismografen der Gesellschaft. Das bilden sie in ihren Angeboten verlässlich ab – ohne dass sie dem Zeitgeist huldigen würden. Die Volkshochschulen vermögen es vielmehr, eigene Akzente in der Erwachsenenbildung zu setzen, sei es in der politischen Bildung oder im weitesten Sinne in der Herzensbildung.

Vermittelt wird auch die Sprache des Zusammenhalts

Wer sich das Programm der Volkshochschule Stuttgart daraufhin ansieht, wird feststellen, dass neben 35 traditionellen Sprachen – von Koreanisch bis Quechua – noch ganz andere Formen der Verständigung vermittelt werden: die Sprache des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Sprache der Inklusion und viele andere für ein modernes demokratisches Gemeinwesen wichtige Ausdrucksformen.

Seit ihrer Gründung hat sich die Volkshochschule Stuttgart große Verdienste erworben – nicht zuletzt auch in der Flüchtlings- und Integrationsarbeit. Gleichzeitig stellen sich ihr große Herausforderungen. Trotz niedrigschwelliger Angebote und neuer Formate wie der „langen Nacht der VHS“ gelingt es ihr weiterhin nur eingeschränkt, bildungsferne Schichten zu erreichen. Unabhängig von der Nationalität weisen viele Erwachsene Defizite in der Grundbildung auf – auch in einer Stadt wie Stuttgart.

Ein Patentrezept für Zugänge zu diesen weniger bis wenig Gebildeten gibt es nicht. Ein Weg könnte die Dezentralisierung des Weiterbildungsangebots sein. Die Volkshochschule versucht, ihn zu gehen und ihre Präsenz in den Stadtbezirken zu erhöhen. Dafür wird sie von der Stadt zusätzliche Mittel benötigen. Es wäre das passende Geburtstagsgeschenk.