Die Freie Waldorfschule feiert mit prominenten Gästen ihren 100. Geburtstag in der Liederhalle. Ministerpräsident Winfried Kretschmann rühmt dabei als Festredner die erfolgreiche Bildungsidee, die bis heute in die Gemeinschaftsschulen hineinwirke.

Stuttgart - Mit einem Festakt und der Bespielung aller Säle der Liederhalle hat die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe ihren hundertsten Geburtstag gefeiert. Georg Linsenmann

 

Mit einem wahren Füllhorn an Beiträgen hat die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe den ganzen Samstag über die Gründung der ersten Waldorfschule vor auf den Tag genau hundert Jahren gefeiert. Weniger wäre angesichts des Gewichtes, den die Akteure dem Datum gaben, wohl auch zu wenig gewesen. Das fanden selbst die Teilnehmer des Festaktes im Beethovensaal, wo es erst auf der Zielgeraden des Reden-Marathons zu schwächeln schien. Die Feier war freilich auch von anderen, symbolträchtigen Beiträgen geprägt.

Wie gleich zu Beginn die musikalische Eröffnung, bei der das Oberstufenorchester der Waldorfschule Uhlandshöhe mit der eigens für den Akt vom Stuttgarter Komponisten Sebastian Bartmann geschaffenen Orchester-Phantasie „Tauchen dann hervor die Sterne“, ein Uhland-Gedicht aufnehmend, ein prachtvoll ins Werk gesetztes Beispiel dafür gab, wie sich Individuelles und auch stilistisch Disparates zu einem packenden Ganzen fügen kann.

Nahtlos fügte sich dazu die ganz spezielle, auch berührende Begrüßung, die wie ein Bild zur Uhland-Zeile wirkte: 26 junge Leute, Schülerinnen und Schüler der Geburtstagsschule, „Kinder mit Wurzeln aus aller Welt“, wie die Moderatorin sagte. In 23 Sprachen trugen sie ihr Willkommen vor, wurden in der jeweiligen Akzentuierung von schüchtern bis temperamentvoll-selbstbewusst als junge Persönlichkeiten erlebbar – und vom fast vollen Saal jeweils mit rauschendem Applaus zurückgegrüßt. Mit finalem Jubel schließlich, als sich das heimische Idiom einmal mehr unter den Weltsprachen bewähren durfte: „I bin d’ Baschdian, i komm aus Schduagert...“

Eine Steilvorlage für den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der sich „beeindruckt“ zeigte und gleich Vergangenheit und Gegenwart verknüpfte: „Fast auf die Stunde genau vor hundert Jahren hatte, nur wenige Schritte von hier, eine der erstaunlichsten und erfolgreichsten deutschen Bildungsideen des vergangenen Jahrhunderts ihren Beginn.“ Und heute sei die Waldorf-Pädagogik „mit 1200 Schulen und 2000 Kindergärten in aller Welt präsent“.

Kretschmann würdigte auch Steiner ausführlich

Wenn die Waldorf-Bewegung gemeinhin mit dem beim Festakt vielfach bedachten Rudolf Steiner verknüpft wird, rief Kretschmann vorneweg Emil Molt ins Gedächtnis, den tatsächlichen Gründer der Waldorfschule auf der Uhlandshöhe. Zur „Besserung der sozialen Verhältnisse“ der Kinder seiner Arbeiter in der hiesigen Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik hatte Molt die Schule gegründet, „knapp ein Jahr nach dem Ende eines schrecklichen Krieges“. Weil der Unternehmer sich auch sonst als Sozialreformer verstand, etwa den ersten Betriebsrat in Württemberg gründete und „mehr als Profit wollte“, verglich der Ministerpräsident Moll mit Robert Bosch – und lobte die „republikanisch verwaltete Lehrer-Republik“. Ein „historischer Glücksfall“ sei es gewesen, dass das Schulgesetz diese Gründung ermöglicht habe, denn deren Ideal sei nicht zuletzt „Bildung für alle gewesen, unabhängig von Besitzverhältnissen“.

Später erinnerte Henning Kullak-Ublick, Vorstand des Bundesverbandes, an die „Heldentat von Molt, der 1933 mit eisernem Willen Bestrebungen der Elternschaft widerstanden hatte, die Schule an den Nationalsozialismus zu übergeben“. Er fügte hinzu: „Davon hätte sich die Schule nach dem Krieg nie wieder erholen können.“

Kretschmann würdigte auch Steiner ausführlich, merkte aber auch an: „Vollkommen unakzeptabel“ seien seine „Ideen von Stamm und Rasse“, wogegen sich 2007 auch die „Stuttgarter Erklärung gegen Nationalismus, Diskriminierung und Rassismus“ gewandt habe. Dafür gab es starken Beifall. So begründe die Waldorf-Pädagogik „keine Weltanschauungsschule, sondern eine Unterrichtsmethode, die den Menschen ganzheitlich auffasst“, auch als eine „hohe Schule der Empathie“. Kretschmann nannte die Gründung vor hundert Jahren „eine kulturelle und pädagogische Großtat, die die Mentalität der Stadt prägt und heute in alle Welt hinaus wirkt“.

Daran knüpfte Oberbürgermeister Fritz Kuhn unmittelbar an, als er sagte: „Wir können stolz sein, welche pädagogischen und gesellschaftlichen Leistungen von der Uhlandshöhe ausgegangen sind.“ Den Erfolg der Waldorf-Schulen, „den die Spötter nicht nachvollziehbar erklären können“, sah Kuhn darin begründet, dass die „Keimzelle von Steiners Erziehungslehre, das Lebendige im Menschen zu erwecken, tatsächlich ernst gemeint ist.“ Ein weitere Faktor sei, dass die Eltern stärker einbezogen würden: „Wenn zuhause ständig über die Schule rumgemault wird, kann daraus kein pädagogischer Erfolg erwachsen.“ Insgesamt sei die Waldorf-Idee „auch Hefe im Reformteig der staatlichen Schulen. Und das soll sie auch bleiben“.

Zwischen weiteren Grußworten entbot eine japanische Trommelgruppe fulminante „Geburtstagsgrüße aus Fernost“. Zum Finale sang ein Chor junger Leute aus Namibia. Und als dann Kindergarten-Kinder ausschwärmten, um in Saal Blumen zu verteilen, hob von der Bühne ein begeistertes Happy Birthday an. Ans Sitzen war da nicht mehr zu denken. Dabei war das erst der Auftakt zu einem Fest, das durch alle Säle und bis tief in den Abend ging.