Die neue Regierung in Warschau legt ein atemberaubendes Reformtempo vor. In den ersten Wochen hat sie den Staat schon an entscheidenden Stellen umgebaut – doch viele Polen haben Angst um die Demokratie im eigenen Staat und gehen auf die Straße.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Warschau - Erst 100 Tage ist die polnische Regierung im Amt. In anderen Ländern brauchen die Politiker diese Zeit, um sich in ihrer neuen Funktion einzufinden – und genießen aus diesem Grund eine gewisse Schonfrist. Nicht so in Warschau. Die neuen Machthaber legen ein atemberaubendes Reformtempo vor. Dazu gehören nächtliche Debatten, Gesetze im Eilverfahren, die Gewaltenteilung und Medienlandschaft aus den Angeln zu heben drohen - und ein mächtiger Schattenmann hinter den Kulissen. In nur drei Monaten, in denen die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die absolute Mehrheit im Parlament und die Rückendeckung von Präsident Andrzej Duda hat, hat sich Polen verändert.

 

Das Ziel ist der Umbau Polens

Beata Szydlo, die neue Regierungschefin, hat aus ihren Ambitionen allerdings nie einen Hehl gemacht. Bereits im Wahlkampf betonte immer wieder, dass sie vor habe, das Land umzubauen – und brachte mit diesem Tatendrang gegenüber der verkrusteten alten Garde der Bürgerplattform frischen Wind in den Politikbetrieb. In der Fernsehdebatte zückte sie einen blauen Aktenordner mit vorbereiteten wichtigen Gesetzesinitiativen. „Sie müssen nur noch im Parlament eingebracht und verabschiedet werden“, versprach Szydlo. Doch was nach der Vereidigung von Szydlos Regierung Mitte November kam, überraschte selbst Experten. Kritiker sagen, sie habe zum Frontalangriff auf demokratische Einrichtungen geblasen.

Beata Szdlo Foto: dpa

Doch nicht nur die Hyperaktivitäten der Regierung lassen viele Polen aufhorchen. Vermutet wird, dass nicht die offiziellen Vertreter der PiS das Sagen haben, sondern dass ein ganz anderer das Ruder führt: PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, der zwar kein Regierungsamt hat, dessen Einfluss aber allgegenwärtig ist. Inzwischen sind die wildesten Dinge über die graue Eminenz der polnischen Politik zu hören. Unter Berufung auf Parteikreise berichten polnische Medien, Kaczynski rufe Minister in die Parteizentrale, um Rechenschaft zu fordern - und ihnen Instruktionen zu erteilen.

In Brüssel schrillen die Alarmglocken

Als erstes kam im Dezember die Reform des Verfassungsgerichts, die auch in Brüssel die Alarmglocken schrillen ließ. Es gab nicht nur Streit um Richter, die noch in der alten Legislaturperiode vor dem absehbaren Machtwechsel ernannt worden waren, sondern auch um zusätzliche Richter, die erst nach dem Machtwechsel ins Amt kamen und als Kandidaten der PiS gelten. Zudem müssen nun Urteile des Verfassungsgerichts, um bindend zu sein, mindestens eine Zweidrittelmehrheit haben – zuvor reichte dafür die einfache Mehrheit aus. Außerdem dürfen die Richter nicht entscheiden, welche Fälle besonders dringend sind, sondern sollen sie nach Eingang abarbeiten. Umstrittene Gesetze der Nationalkonservativen können danach womöglich erst in Jahren zur Verhandlung kommen. Das Gesetz über das ihr eigenes Tribunal allerdings wird die Verfassungsrichter bereits im März beschäftigen.

Protest in Polen Foto: dpa

Umstritten ist auch eine Medienreform. Bis buchstäblich zum letzten Tag des Jahres 2015 peitschte die Regierung Szydlo den ersten Teil des Umbaus durch Parlament und Senat. Über die Besetzung der Spitzenposten in den öffentlich-rechtlichen Medien entscheidet nun die Regierung. Der neue Fernsehchef Jacek Kurski ist ein PiS-Politiker. Viele Journalisten bangen um ihre Zukunft, andere haben von sich aus gekündigt.

Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit

Auch die Zusammenlegung von Justizministerium und Generalstaatsanwaltschaft, ein Polizeigesetz mit neuen Vollmachten für Überwachung und Zugriff auf Telefon- und Internetdaten teilweise ohne Gerichtsbeschluss haben Fragen nach dem Stand der Rechtsstaatlichkeit in Polen aufgeworfen. Die EU-Kommission leitete ein Prüfverfahren gegen Polen ein, und Szydlo musste vor dem Europaparlament in Straßburg zu den umstrittenen Reformen Stellung nehmen.

Proteste gegen den Umbau

Viele Polen wollen den Umbau ihres Staates aber nicht einfach hinnehmen. Immer wieder gehen Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu protestieren. Sie befürchten, dass in ihrem Land bald „ungarische Zustände“ herrschen werden. Der ehemalige Staatschef Lech Walesa wirft der Regierung wegen ihrer Gesetzesänderungen im Justiz- und Medienbereich vor, „das Land zu ruinieren“. Organisiert werden die Proteste zu meist vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD), das sich unmittelbar nach der Parlamentswahl gebildet hat. „Mehrheit bedeutet nicht Diktatur“, sagte der Komitee-Gründer Mateusz Kijowski, den nach eigenen Aussagen die Angst um die Demokratie in Polen antreibt.