Im 100. Todesjahr der in Stuttgart geborenen Schriftstellerin Agnes Günther erscheint die 144. Auflage ihres Romans „Die Heilige und ihr Narr“.

Langenburg - Eine ziemlich süßliche, religiös überhöhte Liebesgeschichte, kombiniert mit romantisch verklärten Landschaftsschilderungen - das sind im Wesentlichen die Bestandteile des Romans "Die Heilige und ihr Narr". Nicht umsonst hat der Literaturwissenschaftler Walther Killy im Jahr 1961 gleich drei Textpassagen des Romans, den die Langenburger Pfarrfrau Agnes Günther verfasst hat, in seine Sammlung "Deutscher Kitsch" aufgenommen.

 

Ob Kitsch oder Kunst, Heide Ruopp ist das herzlich egal. Die Frau des langjährigen Pfarrers von Langenburg im Hohenlohischen sieht das pragmatisch: Entweder hat man die Lebensgeschichte des "Seelchens", der Romanheldin Rosemarie, in seiner Jugend nachts heimlich unter der Bettdecke verschlungen, oder man hat es nicht geschafft, sich über die ersten Seiten hinauszukämpfen. Für Heide Ruopp zählt etwas ganz anderes: zum einen die liebevolle und detailgetreue Beschreibung der Hohenloher Landschaft, der Agnes Günther in dem 1913 erstmals erschienenen Roman ein Denkmal setzt, und zum anderen die Erinnerung an die Autorin, der es immerhin mit einem einzigen Werk gelungen ist, sich bis in die Gegenwart eine treue Fangemeinde zu erobern.

Agnes Günther ging im Fürstenhaus ein und aus

Als Heide Ruopp vor 23 Jahren mit ihrem Mann nach Langenburg kam, hatte sie von dem Roman noch nie etwas gehört. Ihre Schwiegermutter hatte sie allerdings gewarnt, solchen "Schund" zu lesen. Vergeblich. Mittlerweile gibt es im Pfarrhaus eine stattliche, zwei große Bücherregale umfassende Sammlung aller verfügbaren Ausgaben von "Die Heilige und ihr Narr", und Heide Ruopp, die rührige Pfarrfrau der Gegenwart, kann über ihre prominente Vorgängerin - "unsere Langenburger Agnes" - jede Menge erzählen.

Zum Beispiel die Lebensgeschichte der Schriftstellerin: Agnes Günther wurde am 21. Juli 1863 in Stuttgart geboren. Ihr Vater war der Bankier Hermann Breuning, ihre Mutter die Engländerin Mary Anna, geborene Barrell. Als Agnes zehn Jahre alt war, starb ihr Vater, die Mutter musste die fünf Kinder allein großziehen. Agnes erhielt dennoch eine Ausbildung für höhere Töchter, besuchte das Königin-Katharina-Stift in Stuttgart, lernte Französisch am Genfer See und bekam Unterricht in Blumenmalerei, war also umfassend gebildet. 1887 heiratete sie den Theologen Rudolf Günther, den sie im Salon ihrer Tante kennengelernt hatte. Sie folgte ihrem Mann nach Blaubeuren, wo er seine erste Pfarrstelle hatte. 1891 begleitete sie ihren Mann nach Langenburg. Dort blieb das Paar bis 1907, es folgte der Wechsel nach Marburg, wo Agnes Günther 1911 starb und auch begraben ist. Langenburg ist bis heute Stammsitz des Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg, Agnes Günther ging im Fürstenhaus ein und aus, nicht zuletzt seit sie als Pfarrfrau den Auftrag erhielt, das Theaterstück "Alt-Langenburg" zu verfassen. Dessen großer Erfolg dürften den Wunsch geweckt haben, ein größeres Werk zu verfassen. "Die Gelegenheit, mir für meinen (...)Roman Eindrücke zu sammeln, ist sehr günstig (...). Mich freut am meisten, daß ich in jedem Winkel im Schloß herumstieren kann", schrieb sie im Februar 1905 an ihre Schwestern Emma und Polly. In der Tat stützte sich Agnes Günthers Szenerie auf manches, was sie im Schloss, in der Orangerie oder im fürstlichen Waldhaus auf der Römerwiese - wo im Roman Fürst Harro und sein "Seelchen" ihre Sommerfrische verbringen - vorfand. Und auch wenn die Figuren des Romans frei erfunden und klischeehaft sind wie die sprichwörtliche böse Stiefmutter, die Rosemarie das Leben schwer macht, so hat man Agnes Günther einige Details der im Roman geschilderten Personen doch lange Zeit übel genommen.

Erfolgsgeschichte eines 600-Seiten-Wälzers

Dabei besteht angesichts der liebevollen Landschaftsbeschreibungen kein Zweifel daran, dass der malerische Ort Agnes Günther offenbar schnell ans Herz gewachsen ist. Zwar beschrieb sie das Dekanat in einem Brief als "die ärmlichste Pfarrwohnung, die es vielleicht gibt", lobte aber andererseits die Tatsache, dass sie in einer Gegend wohne, "in dem es viele Schlösser gibt. Keine Ruinen, das ist eben das Besondere, sie sind alle wohlerhalten und liebevoll gepflegt."

Erst zwei Jahre vor ihrem Tod begann sie schließlich mit der Niederschrift von "Die Heilige und ihr Narr". Doch schon zuvor - 1901 reiste sie wegen eines Lungenleidens zur Kur ins italienische Bordighera - muss sich ihr die Hohenloher Landschaft, so wie sie nachher im Buch auftaucht, eingebrannt haben. Nach ihrem Kuraufenthalt absolvierte sie eine Liegekur im ehemaligen Dekanatsgarten und verbrachte - auch im Winter - jede freie Minute dort im Gartenhaus. Noch heute steht an der Stelle, von der aus der Blick über die lieblichen Hügellandschaft gleitet, eine Bank. An ihren Sohn Gerhard schrieb sie im Januar 1906: "Das ganze Buch, wenn ich es fertigbringe, wäre das schönste Andenken (...), weil doch jeder schöne Langenburger Sommertag (...) darin steckt."

Langenburger Landschaft als Grundlage eines Weltromans

"Hier hat sie die Geografie des Romans entworfen", davon ist Heide Ruopp überzeugt. Agnes Günther habe mit "Die Heilige und ihr Narr" den engen Radius der Langenburger Landschaft zur Grundlage eines Weltromans gemacht. Davon zeugt auch die Erfolgsgeschichte des 600-Seiten-Wälzers: 1913 erschien die erste Ausgabe in zwei Bänden, für einen Roman unüblich. Schon ein Jahr später kam die siebte Auflage auf den Markt, diesmal mit Goldschnitt. Eine zwölf mal acht Zentimeter große Tornisterausgabe sollte die Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg trösten, und schon 1923 erschien die hundertste Auflage, erstmals in einem Band. Auch mehrere Verfilmungen trugen zur Popularität des Stoffes bei, wenngleich der Inhalt mitunter arg verfälscht worden sei, sagt Ruopp. In den fünfziger Jahren müssen Harro und Rosemarie im Cabrio von einer Klippe stürzen, statt ihre Ferien im Waldhaus zu verbringen - darüber kann der Agnes-Fan Heide Ruopp nur den Kopf schütteln.

Dabei ist das Waldhaus mittlerweile auf dem besten Weg, die Erlebnisse der beiden Romanhelden lebendig werden zu lassen. Zusammen mit den unermüdlichen Helfern aus Langenburg, Fritz Abel und Gerhard Steinbrenner, hat es der Geschichts- und Kulturverein geschafft, das baufällige Gebäude mitten im Wald auf sicheren Untergrund zu stellen. Peu à peu werden die Zimmer wiederhergerichtet, so dass Besucher die Chance haben, sich bei einer Agnes-Günther-Führung auf die Bekehrungs- und Liebesgeschichte von Rosemarie und ihrem Fürsten einzulassen - Waldpicknick mit "Teatime" und Lektüre inklusive. Und wenn Gäste zum Abschluss einer Agnes-Günther-Exkursion in Fritz Abels offenem Wagen gemächlich über die Römerwiese rumpeln, dort, wo Rosemarie vom letztlich tödlichen Schuss ihrer Stiefmutter Charlotte getroffen wird, wächst die Lust, sich auch hundert Jahre nach Erscheinen des Romans auf 600 sentimentale Seiten einzulassen. Kitsch hin oder her.

Langenburg: Schauplatz für einen Weltroman

Lebensstationen: Die Autorin Agnes Günther wurde am 21. Juli 1863 in Stuttgart geboren. Im Jahre 1887 heiratete sie den Theologen Rudolf Günther, den sie 1891 nach Langenburg in Hohenlohe begleitete, wo sie bis 1907 lebte. 1909 begann sie mit der Niederschrift ihres Romans "Die Heilige und ihr Narr". Im Jahre 1911 starb Agnes Günther im hessischen Marburg, wo sie auch begraben ist.

Roman: Die Geschichte der Liebe zwischen der Fürstentochter Rosemarie und dem Fürsten Harro, hat 2011 seine 144. Auflage erlebt. Rund 1,7 Millionen Exemplare sind bisher gedruckt worden, das Buch wurde außerdem in etliche Sprachen übersetzt.

Führungen: Heide Ruopp vom Geschichts- und Kulturverein bietet Führungen zu Originalschauplätzen an. Diese können unter ruopp-langenburg@gmx.de oder beim Geschichts- und Altertumsverein, Fürst-Ernst-Platz 1, 74595 Langenburg, gebucht werden. Im Jubiläumsjahr ist auch eine Broschüre über Agnes Günther erschienen, die die Germanistin Christa Braun geschrieben hat. Sie kann zum Preis von fünf Euro (zwei Euro Versandkosten) beim Verein angefordert werden. Infos unter www.kulturverein-langenburg.de