Die Stuttgarter Kickers in der Krise: der Fußball-Drittligist wartet nach dem 1:2 gegen Würzburg seit sechs Spielen auf einen Sieg. Das sind keine Zufallsprodukte mehr, sondern eine Tendenz – mit gefährlichen Ausmaßen.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart - Die Trainer schweigen nach dem Spiel erst einmal. Was allerdings an der Lautsprecheranlage im Presseraum liegt, die ihren Dienst verweigert. Doch dann haben Würzburgs Bernd Hollerbach (weniger) und der Stuttgarter Horst Steffen (mehr) doch noch was zu sagen. „Wir wussten, dass die Kickers eine spielstarke Mannschaft sind, wenn man sie lässt“, sagt der Gästecoach, „deshalb sind wir früh draufgegangen“ – um am Ende 2:1 zu gewinnen. Verdientermaßen, was auch der Kollege Steffen nicht groß bestreiten will. „Wir haben Mühe gehabt, uns zu befreien. Ein Selbstvertrauen wie gegen den VfB war nicht zu erkennen.“ Dabei hatte man erneut geführt (der gute Elia Soriano traf nach schönem Pass des eifrigen Markus Mendler) – wenn das keine breite Brust gibt, was dann?

 

Abstiegskrampf statt Aufstiegskampf: „Das habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt“, sagt Steffen nach fünf Niederlagen in Folge – in seiner gewohnt sachlichen Art. „Die Situation ist schwierig, aber auch eine Herausforderung.“ Der sich der Trainer stellt – und hinter seiner Mannschaft steht. „Auf mich hat die nicht so frisch gewirkt“, sagte Steffen. Der Grund? „Wir hatten eine intensive Trainingswoche, vielleicht war sie etwas zu intensiv.“ Es ehrt Steffen, eine Teilschuld zu übernehmen, doch auch die Mannschaft ist gefragt. Denn was die in den vergangenen Wochen abgeliefert hat, ist kein Zufallsprodukt mehr, sondern schon eine Tendenz – mit gefährlichen Ausmaßen. Nur noch zwei Punkte stehen die Kickers über dem ominösen Strich. „Wir nehmen die Situation sehr ernst“, sagt Steffen, „deshalb müssen wir schauen, dass wir schnellstmöglich auf 45 Punkte kommen.“ Und damit zu der Marke, die gemeinhin als Garantie für den Klassenverbleib gilt.

Leistungsträger laufen der Form hinterher

Abstiegskampf war die letzte Saison ein Fremdwort in Degerloch. Als Vorjahresvierter verfolgten Fans und Funktionäre (ähnlich wie der Dritte Holstein Kiel) andere Ziele. Irgendwie scheint das Team nicht damit klarzukommen. „Heute hat jeder irgendetwas gespielt“, ärgert sich Sportdirektor Michael Zeyer. Die Erwartungshaltung ist hoch, das spüren die Spieler. Doch die Reaktion bleibt aus.

Vielleicht liegt es an der Struktur des Kaders, fast sämtliche Neuzugänge kommen aus zweiten Mannschaften von Proficlubs. Deren Stellenwert ist umstritten. Aufstiegsdruck kennen sie praktisch nicht, weil sie nicht nach oben dürfen oder das gar nicht erwünscht ist, und wenn sie am Ende absteigen – wie Dortmund (wo Edi Jordanov herkommt) – ist es halb so wild. Kämpfertypen für die harte dritte Liga werden so jedenfalls kaum geboren.

Hinzu kommt, dass die Leistungsträger der Vorsaison ihrer Form meilenweit hinterherlaufen. Marc Stein schmort deshalb auf der Bank, wo sich am Samstag überraschend auch Sandrino Braun wiederfindet. „Man muss den Trainer nicht immer verstehen“, sagt Steffen. Soll wohl heißen: er wollte ein Zeichen setzen, dass kein Spieler unersetzlich ist. Der Schuss ging nach hinten los, denn an der Führungsfigur Enzo Marchese lief das Spiel total vorbei, und bei Jordanov und Bahn kam ihre vermeintliche Spielstärke nicht zum Tragen. Jedenfalls setzte auf der Gegenseite Nejmeddin Daghfous mehr Impulse als alle drei Stuttgarter Mittelfeldakteure zusammen.

Der Trainer sitzt fest im Sattel

Und dass die Abwehr selbst gegen den bis dato harmlosesten Angriff der Liga in Verlegenheit kommen kann, zeigte sich nicht nur bei den Gegentoren (schwaches Verhalten nach Standards, zum wiederholten Male). Gleich in der Anfangsphase unterlief Manuel Bihr bei einem harmlosen Pass ein übler Stockfehler, den er umgehend mit einem Foul ausbügeln musste. Das von Steffen eingeforderte aggressive Zweikampfverhalten sieht anders aus.

Dennoch sitzt der Trainer fest im Sattel. „Er wir nicht in Frage gestellt“, betont das Präsidiumsmitglied Frieder Kummer, und Steffen sagt: „Das liegt auch daran, dass ich für den Verein in Vorleistung gegangen bin.“ Indem er die Mannschaft vom Abstiegs- zum Aufstiegskandidaten formte. Doch Vorsicht: es droht der umgekehrte Weg. Doch Hinwerfen – wie bei Lucien Favre – kommt für Steffen nicht in Frage. „Das ist vielleicht gerade modern, aber in dieser Beziehung bin ich konservativ – ein Kämpfer.“ Jetzt muss das noch die Mannschaft verinnerlichen, denn nur spielerisch kommt sie nicht aus der Krise.