Die SPD Süd und Kaltental feierte ihr 125-jähriges Bestehen. Dieter Blessing, der frühere Wirtschaftsbürgermeister Stuttgarts, mahnte die Genossen über die Differenzen zu Stuttgart 21 nicht Probleme wie die soziale Wohnungsnot in der Stadt zu vergessen.

S-Süd - „Als ich 1970 zum ersten Mal den SPD-Ortsverein Heslach aufsuchte, wollte ich gleich wieder umdrehen“, erzählte Dieter Blessing bei der 125-Jahr-Feier der SPD Stuttgart-Süd und Kaltental. Der Grund: Die vielen über 40-Jährigen hatten den damals 30-Jährigen abgeschreckt. Hätte das SPD-Urgestein Siegfried Bassler ihn nicht gebeten, zu bleiben, wäre Blessing 1992 wohl nicht Wirtschaftsbürgermeister von Stuttgart geworden. Dann hätte er am Dienstagabend jedoch keine Rede halten können, die seinen Genossen im Generationenhaus Heslach zugleich Mahnung und Inspiration war.

 

Blessing mahnte die Sozialdemokraten, über die Differenzen zu Stuttgart 21 nicht Probleme wie Wohnungsnot und soziale Gerechtigkeit zu vernachlässigen. Und er inspirierte seine Zuhörer, indem er an die Errungenschaften der Gründerväter der SPD Stuttgart-Süd erinnerte. Gleichzeitig lieferte Argumente, warum es auch nach 125 Jahren noch genügend Aufgaben für die Sozialdemokraten gibt.

Das Erbe der Vorgänger ist groß

Für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands haben Blessing zufolge viele Arbeitnehmer mit Reallohnverlusten bezahlt: „13 Millionen Menschen sind arm oder armutsgefährdet; jedes siebte Kind lebt in einem armen Haushalt.“ Auch die Zunahme von atypischen und befristeten Beschäftigungsverhältnissen sowie die schlechtere Bezahlung von Frauen veranlassten Blessing zu der Aussage: „Die vergangenen 125 Jahre bleiben uns Ansporn, die Verhältnisse nicht als gegeben hinzunehmen.“

Das Erbe ist groß. Zu den prägenden Figuren der SPD Stuttgart-Süd gehören der linke Tagwacht-Redakteur und Bezirksvereinsvorsitzende Friedrich Westmeyer, der Gründer des Waldheims Heslach, Karl Oster, der Gewerkschafter Karl Kloß, das Politiker-Ehepaar Erwin und Helene Schoettle sowie Thomas Mann, der streitbare Gewerkschafter, der 1973 die Heslacher Hocketse ins Leben rief. Diese Biografien sind für Martin Schäfer, den Vorsitzenden des SPD-Ortsvereins Süd, Grund genug, mit Stolz auf 125 Jahre SPD Süd zurückzublicken. Schäfer sprach sich dafür aus, die Aufgaben im Süden gemeinsam anzugehen – über die Fraktionsgrenzen hinweg. Dennoch äußerte er die Hoffnung, dass die SPD Süd, die zu ihren Hochzeiten 1200 Mitglieder hatte, bei den bevorstehenden Wahlen mehr als zwei Sitze erringen wird.

Idealismus ist mehr denn je gefragt

Die SPD Süd, das ist seit 2006 der Zusammenschluss der Ortsvereine Süd und Kaltental. Der Kaltentaler Ortsverein wurde etwa drei Jahre nach der SPD Süd gegründet. Über seine Anfänge gibt es kaum Unterlagen. Mit Anneliese Höschele war es jedoch eine der ersten SPD-Frauen, die die Geschicke des Ortsvereins leitete.

Aktuell hat der derzeit drittgrößte SPD-Ortsverein in Stuttgart 160 Mitglieder. Auf deren Engagement und Unterstützung baut Bettina Wilhelm, die Oberbürgermeisterkandidatin der SPD. Sie erzählte, wie sie einst mit ihrer Vespa in Heslach gestrandet sei – auf der alten B 14. „Als der Reifen der Vespa geplatzt war und ich am Straßenrand stand, habe ich erlebt, was für eine Belastung Verkehr für die Anwohner bedeutet.“ Deshalb ist für sie die Reduzierung der Verkehrsbelastung in Stuttgart ein wichtiges Thema. Gleichzeitig betonte sie, dass ihr die Konsequenzen der Verlagerung von Verkehrsströmen bewusst seien. In Heslach, entlang der alten Bundesstraße, habe das dazu geführt, dass sich viele Menschen ihre Wohnung nicht mehr leisten könnten.

„Wir benötigen in dieser Stadt mehr denn je sozialdemokratisches Engagement“, sagte Dejan Perc, der Kreisvorsitzende der SPD Stuttgart, bei der Jubiläumsfeier. „Heute braucht es allerdings etwas mehr Idealismus.“ Das liegt für Perc daran, dass die SPD zwar eine Partei sei, die ihren Mitgliedern vieles biete, aber auch so manches abverlange.