Frauen sind gefährdet. Jede Woche werden in Deutschland drei Frauen von ihrem Partner umgebracht. Wo bleibt da eigentlich der Aufschrei, fragt sich unsere Kolumnistin Katja Bauer

Berlin - Die größte Angst, als Frau misshandelt zu werden, ist nahezu regelhaft mit einer bestimmten Vorstellung verknüpft: In der Dunkelheit der Nacht lauert der unbekannte Täter im Gebüsch, vor dem Eingang zum Club – er verschleppt, vergewaltigt, verletzt sein Opfer. Das ist die Erzählung, die man schon als Mädchen mit auf den Heimweg bekommt, gegen die man sich in Selbstverteidigungskursen wehren lernt. In jüngster Zeit ist diese Erzählung um die Herkunft erweitert worden, nun handelt es sich bei dem oder den Tätern vorzugsweise um einen Flüchtling. Das Szenario ist nicht aus der Luft gegriffen, es lassen sich leider Beispiele dafür finden. Jeder hat sofort die Horrornachricht von der Gruppenvergewaltigung in Freiburg in Erinnerung – Geschichten wie diese brennen sich ein, die Gründe sind offensichtlich: Da sind die Grausamkeit der Tat und die zufällige Auswahl und Schutzlosigkeit des Opfers in genau dem öffentlichen Raum, der allen gehören soll. Die Botschaft ist klar. Es kann jede treffen.

 

Die Gefahr ist daheim zuhause

Diese Befürchtung ist leider realistisch. Nur muss man sie eher nicht auf der Straße hegen und erst recht nicht gegenüber einem fremden Mann. Wenn Frauen Grund zu Angst haben sollten, dann gilt das in dem Moment, in denen sich die Tür ihrer Wohnung hinter ihnen schließt, und zwar von innen. Die Gefahr ist daheim zu Hause. 2017 wurden laut Zahlen des Bundeskriminalamt, die der „Spiegel“ veröffentlichte, 113 965 Frauen in den eigenen vier Wänden von ihrem Partner misshandelt. 147 Frauen wurden getötet, in allen Fällen war der Täter entweder der Mann an ihrer Seite oder der Ex-Mann. Gut zwei Drittel der Täter sind deutsche Staatsbürger aus allen Schichten, unter den Opfern ist es ähnlich. Familienministerin Franziska Giffey wird diese Zahlen heute vorstellen, und sie werden nicht als Sensation begriffen werden.

Ein inakzeptables Sicherheitsrisiko

Aber man muss sich das mal vorstellen: 312-mal pro Tag landet eine Männerfaust in einem Frauengesicht, ein Messer im Leib, eine Hand an der Gurgel – 13-mal in der Stunde ereignet sich diese Form der Gewalt, jeden zweiten oder dritten Tag mit tödlichem Ausgang. Und das sind nur die Fälle, die überhaupt angezeigt werden. Es müsste einem doch eigentlich den Atem verschlagen: Mitten in einer Gesellschaft, die sich als so zivilisiert betrachtet, tragen Frauen im privaten Raum ein inakzeptables Sicherheitsrisiko. Das ist ein Skandal.

Und hinter diesem Skandal liegt gleich der nächste: Es ist das Schweigen. Auch Medien widmen jedem Angriff im öffentlichen Raum, von Fremden – und erst recht von ganz Fremden – mehr Aufmerksamkeit. Die Projektion der Gefahr auf einen möglichst weit entfernten Punkt scheint uns schlicht angenehmer zu verdauen zu sein als die Erkenntnis, dass jeder von uns mindestens einen Täter oder ein Opfer kennt. Das aber muss die Realität sein, wenn man bedenkt, dass jede vierte Frau zwischen 16 und 85 Jahren schon einmal Opfer wurde. Damit stellen sich bohrende Fragen: Wo sind die Aufklärungskampagnen, die Sonderkommissionen, die Präventionsprogramme, die Opferhilfen, die Gesetzesinitiativen? Wieso regt sich hier eigentlich kein „Aufschrei“ ? Immer noch werden Frauen verletzt oder sterben, weil Männer zuschlagen. Aber auch weil Polizisten sie nicht ernst nahmen, weil Nachbarn weghörten, weil Frauenhäuser überbelegt waren, weil sie sich schämten, um Hilfe zu bitten. Wie kann das sein?

Vorschau Nächsten Dienstag lesen Sie an dieser Stelle die Kolumne von Sibylle Krause-Burger.