Aus der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung entstand die heute größte humanitäre Organisation der Welt. In Deutschland liegen die Ursprünge des Roten Kreuzes in Stuttgart. Was vor 150 Jahren begann, wird nun gefeiert.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Es ist dem Pfarrer, Lehrer und Pionier der Diakonie Christoph Ulrich Hahn zu verdanken, dass am Reformationstag in Stuttgart mächtig gefeiert wird. Zum 150. Geburtstag des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) wird sich am Donnerstag auch Bundespräsident Joachim Gauck in die Liederhalle begeben und an eben jenen Christoph Ulrich Hahn erinnern, der wesentlichen Anteil daran hatte, dass am 12. November 1863 in Stuttgart der Württembergische Sanitätsverein gegründet wurde.

 

Neben der Versorgung von verwundeten Soldaten im Krieg solle sich der Verein auch um Hilfestellung bei Katastrophen in Friedenszeiten kümmern, forderte Hahn vor anderthalb Jahrhunderten. Hinzu kamen die Ausbildung von Pflegekräften und die Einrichtung von Lazarettverbänden. Der Württembergische Sanitätsverein gilt somit als die erste nationale Rotkreuzgesellschaft der Geschichte.Auch heute zählen Krankenpflege und Katastrophenhilfe zu den Kernaufgaben des Deutschen Roten Kreuzes, natürlich sind in den vergangenen 150 Jahren noch eine ganze Menge weiterer Betätigungsfelder hinzugekommen. Das DRK bietet Erste-Hilfe-Kurse und Betreuungsdienste, kümmert sich um Alte, Junge und Migranten, hilft Wohnungslosen und Bergsteigern, verleiht Gehhilfen und fliegt im Ausland Erkrankte zurück in die Heimat. 140 000 Menschen sind in Deutschland hauptamtlich beim Roten Kreuz beschäftigt, mehr als 400 000 arbeiten ehrenamtlich für die Organisation, die bundesweit rund 3,5 Millionen Mitglieder zählt. Die Erben des Württembergischen Sanitätsvereins sind heute Bestandteil der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Die ist mit 186 nationalen Gesellschaften die größte humanitäre Organisation der Welt.

Henry Dunant Foto: dpa
Zehn Monate bevor der Württembergische Sanitätsverein ins Leben gerufen wurde, hatte der Schweizer Kaufmann Henry Dunant in Genf das Internationale Komitee des Roten Kreuzes gegründet. Erschüttert von dem, was er Jahre zuvor auf dem norditalienischen Schlachtfeld von Solferino gesehen hatte. Dort war es zur Entscheidungsschlacht im Sardinischen Krieg zwischen dem Kaisertum Österreich und dem Königreich Sardinien und dessen Verbündetem Frankreich gekommen. Ein blutiges Gemetzel mit 30 000 Toten und noch mehr Verwundeten. Dunant versorgte Verletzte, ohne sich um deren Nationalität zu kümmern, und animierte Freiwillige aus der Gegend dazu, es ihm gleichzutun. Seine literarischen Erinnerungen an die Schlacht trugen entscheidend zur Gründung der Organisation bei.

Dunant über Solferino: "Sie morden sich mit Kolbenschlägen"

In „Eine Erinnerung an Solferino“ schreibt Dunant: „Österreicher und Alliirte tödten einander auf den Leichnamen, sie morden sich mit Kolbenschlägen, zerschmettern sich das Gehirn, schlitzen sich mit Säbeln und Bajonetten die Leiber auf: kein Pardón wird mehr gegeben, es ist ein Gemetzel, ein Kampf wilder, wüthender, blutdürstiger Thiere, und selbst die Verwundeten vertheidigen sich bis zum Aeußersten.“ Neben Dunant, der für die Gründung 1901 den ersten Friedensnobelpreis erhalten sollte, seien auch die Tageszeitungen nicht unmaßgeblich beteiligt gewesen, sagt der Heidelberger Medizinhistoriker Philipp Osten: „Die Telegrafie sorgte für eine nie da gewesene Nachrichtenflut.“ Je mehr Hauptstädte an das Netz der neuen Überlandkabel angeschlossen wurden, umso enger seien die Zeitungsseiten bedruckt gewesen. „Die deutsche Berichterstattung über den Konflikt in Oberitalien ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür.“

Mit dem Württembergischen Sanitätsverein sind die Ideen von Henry Dunant erstmals außerhalb der Schweiz in Stuttgart umgesetzt worden – das ist nicht die einzige Verbindung zwischen dem Gründer des Roten Kreuzes und der Landeshauptstadt. Dunants Buch wurde von einem engen Freund Christoph Ulrich Hahns ins Deutsche übersetzt, dem Stuttgarter Pfarrer Ernst Rudolf Wagner. In dessen Haus findet der verarmte Dunant 1876 Unterschlupf. Bei einem Spaziergang auf dem Hasenberg begegnet er dem Gymnasialprofessor am Karlsgymnasium, Rudolf Müller. Der wird Dunants erster Biograf.150 Jahre nach der Geburtsstunde hat die Bundesregierung nun die sieben Leitgedanken des Roten Kreuzes auf eine 10-Euro-Sondermünze prägen lassen: Unabhängigkeit, Menschlichkeit, Freiwilligkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Universalität und Einheit stehen da geschrieben – in den Münzrand eingeprägt ist die Inschrift: „Aus Liebe zum Menschen“ .

Eine Armbinde von Arzt Dr. Louis Appia, einem der fünf Gründer des Roten Kreuzes. Foto: IKRK
Die Institution hat inzwischen die Größe eines Konzerns erreicht. Das Deutsche Rote Kreuz deckt rund 60 Prozent aller Rettungseinsätze und Krankentransporte in der Bundesrepublik ab, betreibt 500 Altenheime, 1300 Kitas, 50 Kliniken und 700 Altkleiderkammern. Die Blutspendedienste können auf 1,8 Millionen Spender zurückgreifen, an 69 Pflegeschulen bildet das DRK aus. Eine Erfolgsgeschichte – trotz gelegentlicher Kratzer, wenn das Geschäftsgebaren in die Kritik gerät.

Über mangelndes Vertrauen kann sich das DRK nicht beschweren. 25 Millionen Euro Spenden erhielt die Organisation im vergangenen Jahr, 2013 rechnet man mit mehr. Kein Wunder: Rettungshunde suchen im deutschen Wald nach vermissten Senioren und auf den Philippinen nach Erdbebenopfern, Rettungsassistenten betreuen Schwerverletzte auf der Autobahn. Das alles im Zeichen des roten Kreuzes, das zu Ehren des Gründungslandes Schweiz als Symbol gewählt wurde und das umgekehrte Schweizer Wappen darstellt. Seit 1876 gibt es zudem den Roten Halbmond, seit 2005 den Roten Kristall. Letzterer ist das Symbol der Helfer in Kriegsgebieten, in denen Kreuz und Halbmond nicht als neutral angesehen werden.

Der Festakt

Gäste
Zu den 1800 Gästen in der Liederhalle gehören die DRK-Botschafterinnen Jette Joop und Jeanette Biedermann.

Programm
Den Festakt am Donnerstag werden die DRK-Botschafter Carmen Nebel und Jan Hofer moderieren. Bundespräsident Joachim Gauck wird die Festrede halten.