Als vor 150 Jahre im Stuttgarter Norden der Pragfriedhof entstand, befand er sich noch außerhalb der Stadt. Heute umfasst das Gelände 21 Hektar – und dem Friedhof wird als Naturraum mitten in der Stadt immer wichtiger.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Man kann auch auf den Friedhof gehen, um der Natur zu lauschen. Oder um den Insekten beim Frühlingserwachen zuzuschauen. Und man kann dort auch einen frisch gebrühten Kaffee trinken. Zumindest gibt es jetzt Pläne, mitten im Pragfriedhof eine Cafeteria einzurichten.

 

Den Pragfriedhof selbst gibt es seit 150 Jahren, einst wurde er erbaut am Rande der Stadt auf einer Brachfläche, heute liegt er mitten in der Stadt. Damals gab es auf dem Hoppenlau- und dem Fangelsbachfriedhof schon keinen Platz mehr, sie waren schon umbaut von der ständig wachsenden Stadt. Gefeiert wird das Jubiläum erst mal nicht, aber zur Langen Nacht der Museen am 25. März wird der Pragfriedhof wohl wieder ein begehrter Anlaufpunkt werden. Im Herbst folgt dann das 200-Jahr-Jubiläum des Fangelsbachfriedhofs im Stuttgarter Süden, geplant ist dann eine gemeinsame Feier.

Den Friedhof als Kulturraum gestalten

Mit mehr als 300 erhaltenswerten Grabstätten und dem historischen Krematorium steht der Pragfriedhof als Ganzes unter Denkmalschutz. Das heißt freilich nicht, dass deshalb alles unverrückbar beim Alten bleiben muss. Vieles wird angedacht und angegangen, auch in dem Sinne, den Friedhof als Kulturraum mitten in der Stadt zu gestalten.

Überhaupt ist auch in und an einem Friedhof nichts für die Ewigkeit geschaffen. Das beginnt schon im Eingangsbereich. Einst war der zum Ende des 19. Jahrhunderts so gestaltet, dass hier Pferdekutschen vorfahren konnten, um nach dem Ausstieg der Mitfahrenden ohne Wendemanöver umdrehen zu können. Im motorisierten Zeitalter konnte man jahrzehntelang zunächst mit der Straßen-, dann mit der Stadtbahn direkt vorfahren. Heute muss man entlang stark befahrener Verkehrsachsen zum Eingangsbereich laufen. Und an der Eingangsfront selbst wurden schon in den 1960er Jahren die Arkaden mit den Kriegsschäden weggebrochen. Wer heute ein repräsentatives, originales Eingangsensemble noch im Ganzen erleben will aus dieser Zeit, der muss schon die Friedhöfe in Den Haag, Karlsruhe oder München aufsuchen, sagt Maurus Baldermann, ein Spezialist vom Friedhofsamt Stuttgart.

„Die erste Leiche des Friedhofs“

Wobei der Pragfriedhof einst längst nicht so groß geplant gewesen war. Drei bis vier Hektar waren zunächst einmal vorgesehen. Vom Haupteingang aus erreicht man schnell die erste Grabstätte. Christina Fritz ist da beerdigt, die Frau des Bahnhofsvorstehers, gestorben am 13. Januar 1873 mit 55 Jahren. „Die erste Leiche des Friedhofs“ heißt es in der Inschrift. Das Grabmal ist gut zu erkennen. Der elfenbeinfarbene Sandstein wurde frisch renoviert. Die skulpturale Gestaltung des Grabmals mit Burgzinnen und großzügigen Torbögen scheint da schon den Bahnhof vorwegzunehmen, den wir heute kennen.

Nicht weit weg davon ist der jüdische Friedhof, 1877 angelegt. Dort gibt es heute nur noch vereinzelt Bestattungen. Um seinen Bestand zu schützen und nach jüdischer Totenkultur ist er umzäunt und wird nur an jüdischen Feiertagen für Besucher geöffnet.

Viele Prominente haben auf dem Pragfriedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden: Der Dichter Eduard Mörike, der Erfinder Graf von Zeppelin, die Opernsängerin Anna Sutter, einige frühere Stuttgarter Oberbürgermeister – um nur einige zu nennen. Der Erinnerungsort von Claire Waldoff, einem Star der 1920er Jahre, führt zur Bestattungsform des Kolumbariums, der Wandnische. Das befindet sich ganz in der Nähe des zwischen 1905 und 1907 erbauten Krematoriums, dem einzigen in Stuttgart.

Neue Bestattungsformen

Die mittlerweile häufig übliche Feuerbestattung in all ihren Formen wirkt sich auf die Friedhofskultur aus, wird doch so erheblich weniger Platz benötigt als bei der Erdbestattung. Da ist heute sehr viel freier Platz in den Friedhöfen, am deutlichsten sieht man dies im Dornhaldenfriedhof. Das eröffnet auch Möglichkeiten für andere Bestattungsformen, etwa für ein buddhistisches Gräberfeld als Ort der Meditation. Oder für ein Gräberfeld für „Sternenkinder“ auf dem Pragfriedhof, also für Kinder, die vor oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Auch das Gräberfeld für vereinsamte Menschen, um die sich in ihren letzten Lebensjahren niemand mehr gekümmert hat, wächst zusehends. Überhaupt: „In unseren Friedhöfen ist es möglich, dass alle, die in Stuttgart leben, gemäß ihren Glaubensgrundsätzen beerdigt werden können“, sagt Baldermann. Freilich sind einzelne Friedhöfe für manche Begräbnisarten besser geeignet, bei Baumgräbern etwa ist die Auswahl größer auf dem Wald- oder dem Hauptfriedhof.

Pflege der Grabmale

Ganze 21 Hektar umfasst heute der Pragfriedhof. Und wären da nicht die Wagenhallen und das Gleisfeld drumherum, er wäre wohl noch größer geworden. Aber auch so bleibt viel zu konservieren. Baldermann schwärmt davon, wie der alte Bestand an Grabmalen im Pragfriedhof heute gepflegt wird. Häufig wurde Sandstein verwendet aus der näheren Umgebung, etwa vom einstigen Steinbruch Killesberg. Dieser Stein ist aber anfällig für Verwitterungen im Lauf der Jahrzehnte. Einfach das verwitterte Material abzuschlagen oder zu ersetzen, davon ist man heute abgekommen, um die Substanz zu bewahren. Heute gibt es andere Verfahren, um diese zu erhalten. Baldermann gibt aber auch zu: „Das ist eine Lösung, die ist gut für eine Generation. Die nächste muss sich wieder etwas anderes einfallen lassen.“

Der Friedhof in Zeiten des Klimawandels

Ein anderes großes Thema ist die Natur: „Wir schaffen heute Wegeflächen, die das Oberflächenwasser, etwa von Regen, im Boden versickern lassen“, erzählt Baldermann. Auch die Frage, welche Bäume robust genug für den Klimawandel sind, beschäftigt ihn. Dies wird derzeit heftig diskutiert, wenn es um den Stadtwald geht. Für einen Friedhof mitten in der Stadt stellt sich dieses Thema genauso. Ebenso, wie mit dem Baum- und Pflanzenbestand umgegangen werden soll.

Und dann soll ein Dienstleistungszentrum auf dem Pragfriedhof mit seinen 29 000 Grabstätten entstehen. Da soll es Informationen geben rund um das Thema Beerdigung. Dazu passt dann das Café, in dem Trauernde zusammenkommen können, aber auch alle anderen, die sich diesen besonderen Ort genauer anschauen wollen.

Ein Café im Friedhof

Café Kränzchen
Die Bürgerstiftung Stuttgart plant Friedhöfe im Stadtgebiet zu einem Ort der Begegnung und des Miteinanders zu machen. Dazu schließt sie sich mit den Bezirken, Kirchengemeinden, Initiativen und Engagierten zusammen. Die Idee: Stundenweise ein Angebot zu schaffen, bei dem Friedhofsbesucher und Passanten miteinander ins Gespräch kommen, für einen Moment Platz nehmen und auch Kaffee und Kuchen genießen. Diese Orte der Begegnung sollen unter dem Namen „Friedhofscafé Kränzchen“ zunächst auf dem Pragfriedhof und auf dem

Austausch
Ein erstes Treffen zum Pragfriedhof ist für den 10. März geplant im Gemeindehaus der Martinskirche (Nordbahnhofstraße 58). Ein Treffen für Zuffenhausen ist am 16. Februar von 18 bis 19.30 Uhr im Paulusstüble (Unterländer Straße 15) vorgesehen. Um Anmeldung wird gebeten bei Katja Simon von der Bürgerstiftung (07 11 / 72 23 51 18).