Für seinen Einsatz für das humanitäre Völkerrecht wurde der Schweizer Rot-Kreuz-Gründer Henry Dunant 1901 mit dem erstmalig verliehenen Friedensnobelpreis geehrt. Stuttgart spielte auf dem Weg dorthin eine wichtige Rolle. Daran wurde jetzt erinnert.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

In die Reihe „Hätten Sie’s gewusst?“ gehört die Tatsache, dass der 1828 geborene und 1910 verstorbene Initiator der Rotkreuz-Bewegung und Mitbegründer des internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Henry Dunant, zehn Jahre seines Lebens in Stuttgart verbracht hat – von Herbst 1876 oder Frühjahr 1877 bis 1887. Halbwegs gute Jahre, wie sonst hätte der gebürtige Schweizer resümieren können: „Oh wie schön ist dieses Stuttgart. Ich liebe das Schwabenland.“ Schön ist dieses Stuttgart zweifelsohne in der Hasenbergsteige im Westen. Dort nämlich wohnte Dunant in der Hausnummer 7, aus der später die Hausnummer 10 wurde; an dieser Stelle steht heute ein Nachkriegsgebäude. Auf dem Grünstreifen davor befindet sich eine Stele, die an Dunant erinnert. Aufgestellt wurde sie am 8. Mai 2013, Henry Dunants Geburtstag, der auch Weltrotkreuztag ist.

 

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An diesem Ort erinnerten am Mittwoch Stuttgarts Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann und der Präsident des Stuttgarter Roten Kreuzes, Martin Schairer, an Dunants Lebensleistung, insbesondere an die von ihm entwickelten Grundsätze, die der Genfer Konvention zugrundeliegen. Anlass war die Verabschiedung dieses zentralen Dokuments des humanitären Völkerrechts am 22. August vor 160 Jahren. Darin ist unter anderem der Schutz Unbeteiligter und Verwundeter sowie die Neutralität des Sanitätspersonals geregelt. Auch das Rote Kreuz als Schutzzeichen ist darin festgelegt. „Die Aktualität der Genfer Konvention zeigt sich angesichts der Rückkehr des Krieges nach Europa auf beklemmende Weise“, sagte Schairer am Mittwoch. Sußmann unterstrich ihrerseits: „Bei vielen Schutzsuchenden in unserer Stadt handelt es sich um Zivilpersonen aus Kriegsgebieten.“ Die Einhaltung des humanitären Völkerrechts sei heute genauso wichtig wie zur Gründungszeit der Genfer Konvention.

„Stuttgart – ein Geburtshelfer des humanitären Völkerrechts“

Zu den ersten zwölf Staaten, die die Konvention unterzeichneten, gehörten neben Italien auch das Königreich Württemberg und das Großherzogtum Baden. Für Württemberg setzt der Stuttgarter Pfarrer Christoph Hahn, ein Sozialpolitiker und enger Mitstreiter Dunants, seine Unterschrift unter das Dokument. Hahn spielte auch bei den Vorbereitungen eine wichtige Rolle. 1863 hatte er in Stuttgart die weltweit erste nationale Rot-Kreuz-Gesellschaft außerhalb der Schweiz gegründet, den „württembergischen Sanitätsverein“. „Stuttgart zählt dadurch zu den Gründungsorten der weltweiten Rotkreuz-Bewegung und ist Geburtsort des Deutschen Roten Kreuzes“, betonte Schairer. Dank der Initiative „ihrer Bürger Dunant und Hahn“ sei Stuttgart „ein Geburtshelfer des humanitären Völkerrechts“. Auch Sußmann würde soweit gehen, in dem Schweizer einen „reingschmeckten“ Stuttgarter zu sehen. Überhaupt sollte man viel mehr auf Persönlichkeiten aufmerksam machen, die hier gewirkt hätten.

Für Dunant war Stuttgart ein Refugium

Der langjährige Aufenthalt Dunants in Stuttgart erfolgte allerdings nicht ganz freiwillig. In seiner Schweizer Heimat hatte der Kaufmann infolge einer Insolvenz einen Schuldenberg angehäuft. Stuttgart, das er aufgrund seiner ausgedehnten Reisen durch Europa gut kannte, „wurde ihm zum Refugium“, wie der Historiker Peter Poguntke in einem Beitrag für das digitale Stadtlexikon schreibt. „Geschützt vor seinen Gläubigern und von seinen Gastgebern vor Verarmung bewahrt, konsolidierte sich Dunant am Neckar, bevor er 1887 nach Heiden in die Schweiz übersiedelte, wo er bis zu seinem Lebensende blieb.“

Dunants Gastgeber in der Hasenbergsteige 7 war Pfarrer Rudolf Wagner. Er hatte dessen Schrift „Eine Erinnerung an Solferino“, die Dunant unter dem Eindruck der Schrecken des Krieges verfasste, aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt. Entscheidenden Anteil an der späteren Bekanntheit Dunants hatte ein weiterer Stuttgarter: der Gymnasiallehrer Rudolf Müller. Er verfasste eine Biografie über seinen Schweizer Freund und initiierte eine Art Imagekampagne für Dunant. Auch an diese Stuttgarter Wegbegleiter erinnert die Stele an der Hasenbergsteige.