Die 17. Filmschau Baden-Württemberg zeigt von Mittwoch an Fiktives und Dokumentarisches – und eröffnet mit einem provokationslustigen Thriller.

Stuttgart - Verhockt, naiv, hutzelig, beschränkt, ungelenk und tapsig – doch, doch, es gab mal Zeiten, da hatte die Filmschau Baden-Württemberg auch solche Werke von hier im Programm. Da musste sie ihr Programm noch auffüllen mit Filmen, die anderswo keinerlei Festivalchancen gehabt hätten. Die es einzig durch den Lokalbonus in eine Filmschau geschafft hatten, die doch zeigen soll, dass der Südwesten Ideen, Talente, Handschriften und erstklassige Handwerker zu bieten hat.

 

Diese Zeiten aber sind lange vorbei. Die 17. Filmschau Baden-Württemberg wird am Mittwochabend um 20 Uhr im Metropol mit Carsten Ungers ungemütlichem, provokationslustigem Thriller „Bastard“ eröffnet. Den würden auch die Standortwerber traditionsreicherer Filmländer wie Nordrhein-Westfalen und Bayern gerne in ihre Mustermappen übernehmen.

Soziopathische Kids

Der Regisseur und Autor Carsten Unger, ein Absolvent der Filmakademie in Ludwigsburg, erzählt von soziopathischen Kids, von frühreifen Früchtchen, die grausame Spiele treiben. Sie haben einen Mitschüler entführt und terrorisieren nun dessen Eltern. Sie lassen sich nicht einschüchtern, sie tragen ihre Strafunmündigkeit wie einen offiziellen Beweis ihres Abgekoppeltseins von den Werten der Erwachsenen vor sich her. Einmal schnell noch zu töten, bevor sie dafür belangt werden können, das würde ihnen schon Spaß machen.

Den mittlerweile gängigen Problemkrimi der Marke „Was ist bloß mit unseren Kindern und an unseren Schulen los?“ dreht Unger erbarmungslos weiter in die Gefilde von Michael Hanekes „Funny Games“, in eine Sphäre von eisigem Sadismus, von gelangweiltem Herrenmenschendünkel, der fremde Leben zerfetzt.

In den Herzen der Ermittlerinnen

„Bastard“ schwächelt erst dann, als Martina Gedeck als taffe und einfühlsame Polizeipsychologin zur Ankerfigur für die Zuschauer wird, als die auch für „Tatorte“ typische Zuversicht gestreut wird, dass die richtigen Werte zumindest in den Herzen der Ermittlerinnen noch hell leuchten.

Um Wertevermittlung, Autoritätsbeziehungen und Einflussnahme geht es auch in einem ganz anderen Film, der am Samstag um 20 Uhr glanzvoll Premiere feiern soll, in der Dokumentation „Der Trainer“. Der Regisseur Thomas Landenberger, ebenfalls an der Filmakademie ausgebildet, hat den in Stuttgart arbeitenden Boxtrainer Conny Mittermeier beobachtet. Mittermeier, einst im Profistall Universum für den Aufbau von Weltmeistern zuständig, will mit dem jungen Weltergewichter Festin Kryeziu, der sich mittlerweile Timo Schwarzkopf nennt, beweisen, dass er es noch immer und im Alleingang kann.

Ergiebige Doppelstrategie

Landenberger wählt eine ergiebige Doppelstrategie. Er zeigt zwar den Trainer und den Boxer auch mal getrennt voneinander, aber der gern seine Ansichten über Boxen und Leben bekennende Mittermeier darf sogar aus dem Off die Tonspur füllen, während wir von Kryeziu nur das wenige hören, was er mit Freunden und Familie spricht. Meist sehen wir ihn als Körper in Bewegung, im Sparring und im Kampf.

Das ist kein bisschen denunziatorisch gemeint, schließlich sagt schon der Titel „Der Trainer“, dass dies kein Doppelporträt werden soll. Es unterstreicht aber den sich allmählich formenden Eindruck, dass Mittermeier – wie vielleicht jeder engagierte Boxtrainer – seinen Schützling als Erweiterung seiner selbst begreift, dass er den fremden jungen Körper so kontrollieren möchte, als sei es der eigene.

Dokumentarfilm sticht hervor

Die Filmschau zeigt Animationsfilme, kurze und lange Komödien, Krimis, Beziehungsstücke – aber es ist dieses Jahr doch der Dokumentarfilm, der besonders hervorsticht. „Adopted“ (Freitag, 20.30 Uhr) von Gudrun F. Widlok und Rouven Rech ist formal nicht besonders auffällig, eine solide Aneinanderreihung von Beobachtungen und Selbstauskünften der Protagonisten. Dahinter aber verbirgt sich eine originelle, bedenkenswerte Geschichte.

Widlok hat sich vor einigen Jahren das Kunstprojekt „Adopted“ ausgedacht, hat den Vorschlag gemacht, einsame Europäer sollten sich von afrikanischen Großfamilien adoptieren lassen und bei ihnen das wärmere Leben finden. Diese Umkehrung der üblichen Geber-Nehmer-Verhältnisse, diese Zerschlagung des Bildes von Afrika als bloßem Problemfeld, hat etliche Menschen aufgewühlt. „Adopted“ beobachtet drei solcher Versuche, sich neu zu verwurzeln und als Europäer in Ghana das zu finden, was wir hier so gründlich als Einengung des Individuums bekämpft haben, enge Familienbindungen nämlich.

Natürlich sehen wir in diesem Film die meiste Zeit Illusionen beim Platzen zu. Aber wie die Menschen mit Enttäuschung umzugehen versuchen, auch wie sie vor der allgegenwärtigen Kamera das Gesicht wahren wollen, das ist spannend anzuschauen. Auch wenn, was der Festivalleiter Oliver Mahn vom Filmbüro Baden-Württemberg andeutet, vielleicht noch ein bisschen sehr optimistisch ist: dass sich wieder, wie schon einmal, eine Stuttgarter Schule des Dokumentarfilms herausbilden könnte.

Festival Feeling

Auftakt Noch bevor am Mittwoch um 20 Uhr im Metropol Carsten Ungers Beitrag „Bastard“ anläuft, kann man Festival erleben. Ab 19 Uhr beim Zuschauen, wie Ehrengäste zum Sektempfang einschweben, oder ab 17 Uhr mit Staatssekretär Jürgen Walter, der im „5“ in der Bolzstraße die Landesfilmpolitik erläutern wird.

Boxprominenz Für die Weltpremiere des Films „Der Trainer“ am Samstag um 20 Uhr im Metropol wird der rote Teppich ausgerollt. Erwartet werden die Porträtierten, Conny Mittermeier und Timo Schwarzkopf, und sonstige Prominenz, die hierzulande im Boxen Handschuhe trägt oder Rädchen stellt.

Schwäbisches Diese Veranstaltung gehört nun zu den Filmschau-Traditionen. Morgen um 18.30 Uhr heißt es im wiederum im Metropol-Kino „Schwäbisch? Ja, bitte!“ Es geht um die Rolle der Mundart im Fernsehen.

Das ganze Programm gibt es hier.