Rund 400 Menschen haben am Montag vor der Zentrale der Kassenärztlichen Vereinigung in Stuttgart lautstark gegen die Schließung von Notfallpraxen im Land demonstriert: „Wir sind hier. Wir sind laut. Weil ihr uns die Notfallpraxis klaut.“ Ohne Erfolg. Denn drinnen verkündete die KVBW, dass von April 2025 an schrittweise 18 Standorte dicht machen werden.
Im Südwesten fehlen schon jetzt 1000 Hausärzte
Betroffen sind unter anderem Backnang, Herrenberg und Kirchheim/Teck in der Region Stuttgart. Bereits im vergangenen Jahr waren mehrere Notfallpraxen geschlossen worden, darunter in Schorndorf. Um Verwechslungen vorzubeugen: Es handelt sich hierbei nicht um den Rettungsdienst und die Notaufnahme der Krankenhäuser. Notfallpraxen sind ein Angebot der niedergelassenen Ärzte, um eine Versorgung von nicht akuten Notfällen außerhalb der Sprechstunden zu ermöglichen.
Da aber immer weniger Praxen besetzt sind, sieht die KVBW Handlungsbedarf. „Schon jetzt fehlen rund 1000 Hausärzte im Land“, fasste KVBW-Vorstandschef Karsten Braun die Lage zusammen. In den kommenden zehn Jahren werden nach seiner Aussage weitere 3000 Hausärzte ihre Praxen aufgeben – und viele keinen Nachfolger finden. Die Versorgung in der Praxis vor Ort müsse daher im Fokus stehen – und das funktioniere nur mit weniger Bereitschaftsdiensten: „Wenn wir hier nichts anpassen, fahren wir die Regelversorgung an die Wand.“ Trotzdem werde es auch künftig „flächendeckend eine verlässliche Erreichbarkeit“ geben.
Bürger und Kommunen fürchten jedoch um die Gesundheitsversorgung. Vor allem auf dem Land und für ältere Menschen hätten die Schließungen heftige Folgen, ist sich Alena Fink-Trauschel, FDP-Landtagsabgeordnete aus Ettlingen (Kreis Karlsruhe), sicher. „Die Wege und die Wartezeiten werden länger“, fügt Martina Lörscher, Rentnerin aus Müllheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald), hinzu. Zudem müssten die ohnehin überlasteten Notaufnahmen künftig mit noch mehr Betrieb rechnen. Die beiden Frauen fordern – wie die 18 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie viele Landräte aus den betroffenen Gegenden – Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) auf, einzuschreiten. Doch Lucha meint: „Wir müssen ehrlich sein zu den Bürgerinnen und Bürgern: Ohne Veränderungen geht es angesichts knapper werdender personeller und finanzieller Ressourcen nicht.“
Es geht auch um die politische Glaubwürdigkeit
Das sehen die Demonstranten anders. Es gehe auch um politische Glaubwürdigkeit. So prangert Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich einen „Vertrauensbruch“ an: Das örtliche Krankenhaus sei mit dem Versprechen geschlossen worden, dass die Notfallpraxis bleibt. So könne es nicht weitergehen: „Die KVBW darf kein Staat im Staat sein.“
Die Pläne sind derweil auch bei Fachverbänden auf gemischtes Echo gestoßen. Zustimmung signalisierte der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Baden-Württemberg. „Ich glaube, ich wäre auch verärgert,wenn meine Notfallpraxis um die Ecke schließt“, sagt Jürgen de Laporte, Hausarzt in Esslingen und Präsident der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg. „Wichtiger wäre es mir aber, einen Hausarzt zu haben, der mich kennt.“ Die Versorgung der Patientinnen und Patienten sei „auch künftig gesichert“. Innerhalb einer halben Stunde Autofahrt sei für jeden im Land eine Notfallpraxis erreichbar. „Allerdings kann es länger dauern, bis ein Bereitschaftsarzt zum nächtlichen Hausbesuch kommt.“
Verband kritisiert jahrzehntelange Versäumnisse
Auch der Spitzenverband der fachärztlichen Berufsverbände hat Verständnis für die Neuregelung, warf aber der Politik jahrzehntelange Versäumnisse vor. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP im Landtag, Jochen Haußmann, rief Minister Lucha auf, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Am Mittwoch wird sich der Sozialausschuss des Landtags mit der Sache beschäftigen. Der KV-Vorstand stellte aber bereits klar, das Konzept sei nicht verhandelbar. „Notfalls wird man klagen müssen“, gab sich der Güglinger Stadtrat Joachim Esenwein, der den Protest in Stuttgart mitorganisiert hatte, kampfbereit: „Und wenn es bis vors Bundesverfassungsgericht geht.“