Der DGB-Vorsitzende Sommer attackiert auf der zentralen Kundgebung des Gewerkschaftsbundes in Stuttgart die rigide Sparpolitik in Europa.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ singen sie am Ende der einstündigen Kundgebung auf dem Stuttgarter Marktplatz – das Traditionslied der internationalen Arbeiterbewegung. Nicht besonders viele Lippen bewegen sich zu den Gitarrenklängen auf der Bühne. Diejenigen, die den Text noch auswendig kennen, werden immer weniger. Ist der Tag der Arbeit deswegen gleich ein Ritual von vorgestern? Das offenbar nicht. Obwohl die meisten Bürger einen Ausflug ins Grüne der bundesweiten Hauptkundgebung des Gewerkschaftsbundes (DGB) vorziehen, wird dieser Feiertag wegen der dramatischen Entwicklung in den südlichen Krisenländern mehr denn je gebraucht.

 

Darin zeigen sich zumindest diejenigen einig, die gekommen sind – allen voran DGB-Chef Michael Sommer. Für viele Menschen in Europa sei der 1. Mai kein Feiertag, sagt er. Denn jeder zweite jugendliche Spanier beispielsweise sei arbeitslos, und Millionen von Rentnern in Europa hätten Angst vor Altersarmut. Die Menschen in Griechenland, Portugal und Italien wiederum „haben Furcht vor den Diktaten einer Troika, die ihnen sozialen Fortschritt und erkämpfte Arbeitnehmerrechte stehlen will, um Spekulanten und Finanzmärkte zufrieden zu stellen“, sagt Sommer. „Dennoch oder gerade deshalb ist der 1. Mai unser Tag der Arbeit überall in Europa.“ Arbeit schaffe Werte, verleihe den Menschen Würde, halte die Gesellschaft zusammen und ermögliche Fortschritt. „Ohne Arbeit wäre diese Gesellschaft nichts“, betont er.

„Die gierigen Eliten wollen die Staaten weiter ausplündern“

Wie gewohnt scharfzüngig prangert der DGB-Vorsitzende die Politik in Europa an. „Jetzt will man prekäre Arbeit fördern, Mindestlöhne kürzen, Arbeitnehmerrechte schleifen, die Tarifautonomie außer Kraft setzen“, sagt er. „Was für ein ökonomischer Blödsinn, was für eine ideologische Verbohrtheit.“ Es seien doch nicht die Menschen, die über ihre Verhältnisse gelebt hätten. „Sondern es sind die gierigen Eliten, die die Staaten ausgeplündert haben und es weiter tun wollen.“

Arbeitnehmervertreter zollen Schuster Respekt

Mehr als 5000 Besucher, so der DGB, hätten sich nach dem Protestzug durch die Innenstadt vor dem Rathaus versammelt. Die Polizei bleibt mit ihren Schätzungen klar darunter. Auch lokale Politprominenz lässt sich blicken: SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel beispielsweise sowie Bettina Wilhelm, die OB-Kandidatin der Genossen in Stuttgart und der Bewerber der Piraten, Harald Hermann. Der noch amtierende Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat am Vorabend beim Arbeitnehmerempfang der Stadt und des DGB die Hochachtung der Gewerkschafter gewonnen. Vor 150 Gästen sprach er sich gegen Privatisierungen und für eine Energiewende in Stuttgart aus, würdigte zudem den Abschluss im öffentlichen Dienst. „Das kam gut an“, sagt Bernhard Löffler, Vorsitzender der DGB-Region Nordwürttemberg.

Dutzende von Polizisten harren derweil neben der Bühne und in den Ecken des Marktplatzes der Dinge. Ihr etwas martialischer Auftritt verwundert die Gewerkschafter. Dies diene allein der Prävention, hat die Polizei Löffler erläutert. Offenbar hat die Ordnungsmacht Erkenntnisse gewonnen, wonach kurdische Extremisten die Bühne stürmen wollten. Doch abgesehen davon, dass die Gegendemonstranten zu Beginn der Sommer-Rede am Rande mit Lärm auf sich aufmerksam machen, bleibt es friedlich. So kann die Kundgebung in ein stimmungsvolles Maifest übergehen.