Zwei Jahrzehnte ist es her, dass Ikea seinen Standort in Ludwigsburg eröffnet hat. An jenem Tag war im Tammerfeld die Hölle los – und davor in der Innenstadt: Der Protest gegen das Möbelhaus war heftig.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Der erste Kunde an jenem Tag hat zehn Regale gekauft. Für seine Garage, neun Mark das Stück. Aus Abstatt war er angereist und kaum, dass er das neue Möbelhaus gestürmt hatte, war er schon wieder draußen: 15 Minuten dauerte sein Einkauf – was einem kleinen Kunststück gleichkommt. Denn vor Ikea im Tammerfeld bildeten sich an diesem historischen Tag im Hochsommer 1998 schon am sehr frühen Morgen die ersten Schlangen. Die Kunden reisten von weit her an, teilweise nahmen sie extra Urlaub.

 

Im Verkehrsfunk wurde darauf hingewiesen, dass bei Ludwigsburg-Nord mit Behinderungen gerechnet werden muss. Als um acht Uhr Ikea endlich geöffnet wurde, waren innerhalb ein paar Minuten 3000 Kunden im Haus. Insgesamt kam an diesem Tag knapp 30 000. Für die Jüngeren: Was sich an jenem Morgen in dem Ludwigsburger Gewerbegebiet abspielte, war in etwa das, was sich heutzutage abspielt, wenn ein neuer Apple-Store eröffnet.

30 000 Billy-Regale in 20 Jahren

20 Jahre ist es nun her, dass Ikea nach Ludwigsburg kam. 30 000 Billy-Regale sind dort seither verkauft worden, zwischen 5000 und 9000 Kunden pilgern täglich in das blau-gelbe Gebäude, das zur Silhouette der A 81 gehört wie der Marktplatz zur Innenstadt. Kaum noch vorstellbar, dass gegen Ikea in Ludwigsburg einmal heftig angekämpft worden ist.

In den Dokumenten, die aus dieser Zeit erhalten sind, ist die Furcht vor dem Möbelriesen auf der Grünen Wiese noch immer spürbar. Von Arbeitsplätzen, die verloren gehen, ist in den Flyern und Aufrufen die Rede. Von Geschäften in der City, die um ihre Existenz fürchten müssen. „Das hat mich ernsthaft beschäftigt“, sagt der Mann heute, der damals den Kampf mit angestoßen hat. Klaus Hoffmann, 83, war Sprecher der vierköpfigen Grünen-Fraktion und hat die Pläne für das Tammerfeld als „komplette Fehlplanung“ bezeichnet und als „durchweg abenteuerlich“. Wenn alle draußen vor der Stadt einkaufen, wer kauft dann noch innen?

Bedrohung an der Autobahn

Auf dem Areal in Ludwigsburg-Nord war ja gleich ein ganzer Gewerbepark geplant. Der Autobauer Porsche, der dort sein Ersatzteillager und Vertriebszentrum betrieb, wollte sein Gelände neu ordnen – und verkaufte deshalb einen Großteil seiner Flächen. Auf 66 000 dieser neuen Quadratmeter sollten sich Bau-, Garten- und andere Fachmärkte ansiedeln – und, als Kern mit 15 000 Quadratmetern – eben Ikea.

Der Architekt Klaus Hoffmann, der bei der Stadt Stuttgart als Baurechtler arbeitete, fordert einen Planungsstopp. Seine Grünen sammeln Unterschriften für eine Bürgerversammlung, die – im Idealfall – zu einem Stimmungswandel im Gemeinderat führen sollte. „Ich empfand das, was an der Autobahn passieren sollte, als Katastrophe“, sagt Klaus Hoffmann, der noch nie bei Ikea eingekauft hat.

Einzelhändler schalten das Licht aus

Die Ludwigsburger Grünen sind zwar in der Minderheit, aber nicht alleine. Die Händler in Innenstadt schlagen „fünf vor zwölf“ Alarm und schalten in ihren Geschäften symbolträchtig die Lichter aus. Eine anonyme Gruppe verteilt Postkarten, auf denen Reime stehen wie: „Wächst das Porsche-Areal“, ist die Innenstadt bald kahl.“ Sie sollen an die „Jasager“ im Gemeinderat verschickt werden. Und die Nachbargemeinde Tamm, wo so gut wie jeder mobil macht, klagt gegen den Bebauungsplan für das Riesen-Projekt. Der Ort befürchtet, unter den zu dräuenden Automassen begraben zu werden.

Letztlich änderte all der Protest nichts: Im Juli 1996 gibt die Mehrheit des Ludwigsburger Gemeinderats grünes Licht. Und im Mai 1997 beginnt Ikea im Tammerfeld zu bauen. Die Klage aus Tamm ist da längst zurückgezogen: Der Möbelhändler aus Schweden gibt rund eine Million Mark für Lärmschutzmaßnahmen im Ort.

Auffallende Parallelen

Seltsam, kann man sich wundern, wie sich die Szenarien gleichen. Freuen sich die einen darüber, dass der Standort ein Aushängeschild bekommt, beklagen die anderen die Verödung der Innenstädte. Das war ja nicht nur bei Ikea so, auch als das Breuningerland ins Tammerfeld zog und seither bei jeder Erweiterungsdebatte. Muss das so sein? Oder ist es letztlich Ausdruck des Ringens um die Balance? Dass die Märkte auf der Grünen Wiese folgenlos geblieben wäre, kann ja man nicht behaupten. Man denke nur an das Ende des traditionsreichen Haushaltswarengeschäfts Dürr am Markt. Aber verödet ist die Ludwigsburger Innenstadt auch nicht, im Gegenteil.

„Man muss immer versuchen gegenzusteuern“, sagt Klaus Hoffmann heute, dem es noch immer enorm wichtig ist, die Menschen zum Nachdenken anzuregen.

Die Stadt wiederum hat das Interesse, ihren Wirtschaftsstandort zu stärken – und freut sich, wenn sich Unternehmen ins städtische Leben einbringen. Zum Beispiel in Form einer E-Tankstelle, wie sie Ikea auf seinem Gelände eingerichtet hat.

Ikea beschenkt sich selbst

Zum 20. Geburtstag nun hat Ikea sich eine neue Möbelausstellung geschenkt. Diese Möbelausstellung ist der Bereich, in dem jedem Besucher auf seinem Weg durch das obere Stockwerk an Musterzimmern vorbei geführt wird. Musteresszimmer, Musterwohnzimmer, Musterschlafzimmer, Musterkinderzimmer – und so weiter. Die neu gestalteten Musterzimmer in Ludwigsburg haben besonders viel Ähnlichkeit mit den Zimmern vieler Menschen in der Region. Zumindest mit dem Zuschnitt, damit die Angebote noch besser passen.

Wer, zum Beispiel sieht, wie man in einem 15-Quadratmeter-Wohnzimmer alles unterkriegt, was Mama, Papa, Kind zum Wohnen brauchen. Oder wie man ein Sieben-Quadratmeter-Schlafzimmer in eine Lounge verwandeln kann – der fühlt sich doch gleich viel inspirierter beim Einkauf. Die höhenverstellbare Schreibtische zum Beispiel verkaufen sich zehn Mal so häufig, seit sie besser präsentiert werden, sagt Annette Wallner, die Vizechefin in Ludwigsburg. 1,5 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, der während des laufenden Betriebs vonstatten gehen musste und neun Monate gedauert hat. An diesem Montag wird die neue Ausstellung offiziell eröffnet, die auch ein Symbol dafür ist, wie sich Ikea für die Zukunft rüstet.

Weg in die Zukunft

Wenn es immer weniger Wohnraum gibt, braucht es Angebote, diesen so effizient wie möglich zu nutzen. Wenn immer mehr Handel online betrieben wird, geht das auch – oder erst recht? – an einem Riesen wie Ikea nicht vorbei. Die Besucherzahlen stagnieren seit einigen Jahren, sagt Annette Wallner. Doch die neu gestaltete Möbelausstellung soll dazu beitragen, die Zahlen um zwei, drei Prozent zu steigern – und den Standort dann auf Platz acht unter den 53 Häusern bundesweit zu hieven. „Momentan arbeiten wir an der Art, wie wir verkaufen“, sagt Annette Wallner.

Sie meint Ludwigsburg, aber es betrifft die gesamte Ikea-Familie. Im April hat der Expansionschef von Ikea Deutschland angekündigt, dass künftig keine Standardstores mehr gebaut würden – schon gar nicht auf der Grünen Wiese. Zwei geplante Projekte wurden bereits gestoppt, die Zukunft sieht Ikea in den Innenstädten.

Wer weiß, vielleicht wird Klaus Hoffmann doch noch einen Ikea betreten.