In den Nächten wollen die Hutu-Kämpfer ihn bis heute mit der Machete zerstückeln – wie seine Eltern, die zwei Schwestern, den kleinen Bruder, dessen Wunden er noch vergeblich bandagierte. Er starb in seinen Armen. Dann wacht er auf, schweißgebadet. „Der Mann, der meinen Vater erschlagen hat, war unser Nachbar“, erinnert sich Gatabazi. Ein Hutu-Freund namens Kalimba, bei dessen Familie sie immer Ostern gefeiert hätten, den sie regelmäßig in der katholischen Messe in Kigali trafen. „Ich kann erst seit Kurzem darüber reden“, sagt er nachdenklich, jahrelang konnte er sich keinem anvertrauen.

 

Das Hotel war eine Insel im Meer aus Blut

Paul Rusesabaginas Stimme versagt nicht, wenn er von den Ereignissen vor 20 Jahren berichtet. Es bricht nichts unter Tränen aus ihm heraus, obwohl auch er genug erlebt hat, was es zu betrauern gäbe. Er hat viel früher als Eric Gatabazi damit angefangen, das Unvorstellbare aus seinem Herzen herauszulassen. Die ersten Interviews gab er schon kurz nach Ende der Kämpfe. „Du leidest weniger“, sagt er, „wenn du darüber sprichst.“

Über den 12. Juli 1994 etwa, als er mit seiner Frau Tatiana die erste Fahrt aufs Land unternimmt, um nach überlebenden Verwandten zu suchen; als ihm klar wird, dass sein Hotel eine Insel in einem Meer aus Blut gewesen ist. „Es war kaum ein lebender Mensch zu sehen, nur Körper, die die Straße pflasterten oder im Fluss Richtung Uganda trieben. Das ganze Land hat gestunken. Überall waren Fliegen.“ Am Ende dieses langen Tages erfährt Rusesabagina, dass Tatianas Vater den Milizen Geld gegeben hat, damit sie ihn sofort erschießen, statt erst die Hand abzuhacken, um nach einer Stunde wiederzukehren und mit den Füßen weiterzumachen. „Da habe ich mich zum ersten Mal gesetzt und geweint.“

Brüssel, ein geklinkertes Reihenhaus im Stadtteil Woluwé-St. Pierre – das ist seit 1996 der Ort, den Rusesabagina sein Zuhause nennt. Hier hat er sich vom Taxifahrer zum Transportunternehmer gemausert und eine Stiftung gegründet, die Witwen und Waisen des Genozids hilft. Hier steht

Es wäre alles ganz anders gekommen, wenn Rusesabagina auf seinen Freund gehört hätte. Der rät ihm Ende März 1994, angesichts der explosiven Stimmung im Land nicht nach Hause zu kommen und in Brüssel zu bleiben, wo die Hotelkette ein Fortbildungsseminar organisiert. „Jeder wusste damals, dass etwas passieren wird, wir wussten nur nicht was“, erinnert sich Rusesabagina. Er kehrt dennoch nach Kigali zurück. Wie hätte er seine Frau und die Kinder im Stich lassen können? Wenige Tage später, als am 6. April das Flugzeug des Präsidenten abgeschossen wird, explodiert Ruanda. Die Schlächterei, der in den nächsten Monaten eine Million Menschen zum Opfer fallen werden, beginnt. Die Milizen vom Stamme der Hutus greifen Angehörige der Tutsis an – alle Ausländer verlassen das ostafrikanische Land fluchtartig.

Im Hotel Diplomat, wo Rusesabagina damals arbeitet, ist also wenig los. Im Mille Collines, einen Kilometer die Straße entlang, schon. Es gehört demselben belgischen Unternehmen, das Rusesabagina bittet, dort nach dem Rechten zu sehen, wo er schon in den Achtzigern sein Geld verdient hat. Der schnappt sich seine Familie und zieht am 11. April ins Mille Collines, wo seine Autorität als Chef erst akzeptiert wird, als er ein Schreiben des Besitzers präsentieren kann. In den knapp drei Monaten, die folgen, wird er Nahrung ins Hotel schmuggeln lassen, streng das Wasser rationieren und mit unzähligen Telefonaten und Geschenken ein ums andere Mal die Stürmung des Hotels verhindern.

Für Eric Gatabzi ist das Hotel ein sicherer Ort

Einer der Flüchtlinge, der sich damals ins Mille Collines retten konnte, ist Eric Gatabazi. Ein 33-Jähriger mit schrecklichen Albträumen und einer

Im Hotel fand Eric Gatabazi als 13-Jähriger Zuflucht. Heute leitet er die Gedenkstätte Murambi im Süden Ruandas. Foto: Daniel Pilar
Stimme, die leise und traurig wird, wenn er von früher erzählt. Im April 1994 irrt der damals 13-Jährige, dessen ganze Familie getötet worden ist, durch Kigali und hat Glück, dass ihn Blauhelmsoldaten mit ins Hotel nehmen. „Es war der Horror“, erinnert er sich an die Kämpfe, die sie von den Zimmern aus sehen und hören konnten. Der Hotelkomplex thront hoch über der Stadt der vielen Hügel, mit bester Aussicht. „Ich dachte immer, gleich kommen sie und holen auch uns.“

Zu siebt schlafen sie in einem Zimmer, eine fremde Familie hat ihn aufgenommen, gibt ihm zu essen. „Mein Job war es, mit einer Milchpulverdose Wasser aus dem Swimmingpool zu schöpfen, wir hatten kein Trinkwasser mehr.“ Einmal ist er in den Pool gefallen, wäre fast ertrunken, wenn ihn nicht jemand noch rausgezogen hätte. Dem Manager sei Geld gegeben worden, das habe jeder getan, erinnert sich Gatabazi – in der Hoffnung, dass es genug war. Denn eines Tages sind die Nummern an den Zimmern der Tutsi-Bewohner verschwunden. Dadurch hätten die Milizen bei einer Eroberung des Hotels gewusst, wen umbringen und wen verschonen.

Der Hutu-Nachbar hat die Familie von Eric Gatabazi getötet

In den Nächten wollen die Hutu-Kämpfer ihn bis heute mit der Machete zerstückeln – wie seine Eltern, die zwei Schwestern, den kleinen Bruder, dessen Wunden er noch vergeblich bandagierte. Er starb in seinen Armen. Dann wacht er auf, schweißgebadet. „Der Mann, der meinen Vater erschlagen hat, war unser Nachbar“, erinnert sich Gatabazi. Ein Hutu-Freund namens Kalimba, bei dessen Familie sie immer Ostern gefeiert hätten, den sie regelmäßig in der katholischen Messe in Kigali trafen. „Ich kann erst seit Kurzem darüber reden“, sagt er nachdenklich, jahrelang konnte er sich keinem anvertrauen.

Das Hotel war eine Insel im Meer aus Blut

Paul Rusesabaginas Stimme versagt nicht, wenn er von den Ereignissen vor 20 Jahren berichtet. Es bricht nichts unter Tränen aus ihm heraus, obwohl auch er genug erlebt hat, was es zu betrauern gäbe. Er hat viel früher als Eric Gatabazi damit angefangen, das Unvorstellbare aus seinem Herzen herauszulassen. Die ersten Interviews gab er schon kurz nach Ende der Kämpfe. „Du leidest weniger“, sagt er, „wenn du darüber sprichst.“

Über den 12. Juli 1994 etwa, als er mit seiner Frau Tatiana die erste Fahrt aufs Land unternimmt, um nach überlebenden Verwandten zu suchen; als ihm klar wird, dass sein Hotel eine Insel in einem Meer aus Blut gewesen ist. „Es war kaum ein lebender Mensch zu sehen, nur Körper, die die Straße pflasterten oder im Fluss Richtung Uganda trieben. Das ganze Land hat gestunken. Überall waren Fliegen.“ Am Ende dieses langen Tages erfährt Rusesabagina, dass Tatianas Vater den Milizen Geld gegeben hat, damit sie ihn sofort erschießen, statt erst die Hand abzuhacken, um nach einer Stunde wiederzukehren und mit den Füßen weiterzumachen. „Da habe ich mich zum ersten Mal gesetzt und geweint.“

Brüssel, ein geklinkertes Reihenhaus im Stadtteil Woluwé-St. Pierre – das ist seit 1996 der Ort, den Rusesabagina sein Zuhause nennt. Hier hat er sich vom Taxifahrer zum Transportunternehmer gemausert und eine Stiftung gegründet, die Witwen und Waisen des Genozids hilft. Hier steht

Paul Rusesabagina erhält vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush für seine Verdienste die Freiheitsmedaille. Foto: dpa
das Bett, in dem auch ihn Albträume heimsuchen. „Die Bilder werde ich wohl nie vergessen können. Sie sind immer da.“ Sein Blick schweift zum Foto mit Bush. „Damit“, sagt er und zeigt auf die Freiheitsmedaille auf dem Bild, „haben meine Probleme angefangen.“ Der Film „Hotel Ruanda“ bereitete den Boden, doch erst die Medaille machte ihn offiziell zum Helden – was maßgeblichen Personen in der alten Heimat missfiel. „Paul Kagame, der Präsident, will nicht, dass jemand mit einer anderen Meinung als Held gesehen wird“, sagt Rusesabagina. „Jetzt bin ich in Ruanda Persona non grata.“

Diese andere Meinung hat mit einer anderen Sicht auf das Geschehene zu tun. „Die Geschichtsschreibung Ruandas kennt gute Menschen, und sie kennt Monster“, sagt Rusesabagina. Er und seine kleine Partei, die er gegründet hat, setzen dem eine andere Lesart entgegen. „Beide Seiten, Hutus und Tutsis, haben Verbrechen begangen“, so Rusesabagina, der sich das Urteil erlaubt, weil seine Mutter eine Tutsi und sein Vater ein Hutu war: „Diese Wahrheit muss auf den Tisch – sonst gibt es keinen dauerhaften Frieden.“ Was in diesen Breitengraden nicht gerade radikal klingt, birgt in Ruanda politischen Sprengstoff. Die Macht im Staat, der wirtschaftliche Fortschritte gemacht hat, liegt heute bei der Minderheit der Tutsis, der Präsident Kagame angehört. Offiziell gibt es keine Ethnien mehr, doch hat Kagame gerade erst von den Hutus, die 85 Prozent der Bevölkerung ausmachen, eine Entschuldigung an die Tutsis gefordert. Die Forderung nach Aufklärung auch ihrer Verbrechen gilt daher als Tabu.

Hat der Hotelchef Geld von den Flüchtlingen kassiert?

Rusesabagina ein Lügner? Ein selbst ernannter Held, der womöglich die weiter aktiven Rebellen des Landes finanziell unterstützt? Im Internet kursieren Berichte, die seine Geschichte, während der Recherchen für den Film noch von Augenzeugen bestätigt, auf den Kopf stellen. So soll der Hotelchef die Zimmernummern entfernt und Geld von den Flüchtlingen kassiert haben. Und das Hotel sei doch ohnehin unter dem Schutz der Blauhelmsoldaten gestanden, heißt es. Rusesabagina soll gar versucht haben, sie zum Gehen zu bewegen.

Das mit dem Geld bestreitet er nicht. „Ich brauchte Geld, um die Lebensmittel zu bezahlen und die Milizen zu bestechen. Aber es kam auf das Hotel-Konto und nicht auf meins. Natürlich habe ich niemanden abgewiesen, der kein Bares dabei hatte.“ Diese Vorwürfe seien nur dazu da, um ihn zu diskreditieren.

In den Klassenzimmern sind Hunderte von Skeletten aufgebahrt

Auch Eric Gatabazi, der Schützling von Rusesabagina, kommt nicht los vom Völkermord vor 20 Jahren. Er leitet heute das Museum von Murambi im Süden Ruandas, er erklärt Schulklassen die Geschichte. „Der Genozid ist Teil meines Lebens, im Schlaf und tagsüber“, sagt Gatabazi und lächelt müde. Er schnappt sich seinen Schlüssel, führt hinaus aufs Gelände, eine Technische Schule mit ein paar Dutzend Gebäuden, die nie fertig gebaut wurden. Schönste Hügellage, inmitten üppiger Höhenzüge, alles ist saftig-grün. „Das war eine Art Konzentrationslager“, sagt er und tritt aus der blendenden Sonne in den Schatten, „am 21. April 1994 starben hier 45 000 bis 50 000 Menschen, wie viele genau, weiß keiner.“ Tutsi-Flüchtlinge, die sich in Sicherheit glaubten, vom Bischof und Bürgermeister in eine Falle gelockt, angeblich von französischem Militär beschützt. Die Soldaten verschwanden, die Mörder kamen im Schutz der Dunkelheit.

Es sind die Klassenzimmer am Ende des Plateaus, auf die der Museumschef zusteuert. Dort liegen aufgebahrt auf Tischen Hunderte von Toten, weiß gekalkt, teils mit Haaren und Kleidung, erstarrt in der Bewegung des Todes. Ein süßlicher Geruch hängt in den Zimmern. „Die hat ihren Finger gehoben, als sie starb“, zeigt Gatabazi auf ein Skelett, „der Mann wurde am Schädel verletzt, hier ist eine Kerbe.“ Der Museumsleiter führt durch das Grauen, lässt kein Detail aus.

Den Mörder seiner Familie trifft Eric Gatabazi gelegentlich beim Fußballschauen in der Kneipe. Der habe im Gefängnis gesessen, zehn Jahre lang, danach drei Jahre Gemeinwesenarbeit. In die Augen schauen kann er ihm nur schwer. Gatabazi umklammert seinen Schlüssel, als könne das Metall ihm irgendwie Halt geben. „Die Menschen sollen wissen, was passiert ist“, sagt er zum Abschied, denn es gebe viele, viel zu viele, die nichts dazugelernt hätten.