Vor 200 Jahren hatte Max I. von Bayern angeordnet, dass Biergartenbesucher ihre Speisen selbst mitbringen sollen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Für den Biergartenbesuch an sich gilt, was Sepp Herberger über den Fußball gesagt hat respektive warum die Leute da hingehen. Weil sie nicht wissen, wie es ausgeht! Oder, wenn Sie’s je literarischer wollten, stimmt auch, was Hamlet zu Horatio meint, nämlich, dass es (im Biergarten und also mitten im Leben) mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gebe als die „Schulweisheit sich träumen“ lasse. Belege? Ja, jetzad!

 

Letzthin im Biergarten, unterwegs, in der Nähe von Ingolstadt, unweit der Donau, die von weitem den schon sommerlichen Abend in den Dämmer flüsterte. Gemischter Tisch. Sechs Oberbayern, zwei davon mit Migrationshintergrund (Sachsen, Rheinland). Aber nur einer kannte noch die Geschichte vom Keferloher, jenem legendären Tonkrug, dessen Benutzung auf dem Oktoberfest zu München Ende des 19. Jahrhunderts wegen, nun ja, Verdunklungsgefahr verboten wurde. Zwar hatte man ein Bier, das länger kühl blieb, doch was im Keferloher (benannt nach seinem Ursprungsort, unweit Vaterstetten, wo Eberhard von Ebersberg die Ungarn schlug, anno 955) tief drin umeinanderschwappte, blieb ein Mysterium.

Einspruch vom Tischende: „Keferloher? Naaa. . . Mir ham oiwei Kruag g’sogt!“ Und so weiter: Kruag hin, Kruag her. Bis ein Smartphone gezückt wurde – und Wikipedia aufgesucht. Et voilà: der Keferloher.

Und wem ist das alles zu verdanken? Napoleon!

Den Reiz zusammengewürfelter Biergartenrunden, die gar nicht anders können als sich miteinander ins Benehmen zu setzen, dokumentiert im Übrigen sehr hübsch schon eine Passage in Ursula Noacks München-Roman „Der Bastian“ vom Anfang der siebziger Jahre. Da geraten eben Bastian Gutmann und Katharina Freude auf noch „brühwarme Sitzflächen“ neben alte und junge Paare, zwei Mädchen und einen, wie man damals noch sagte, „italienischen Gastarbeiter“. Alles, was das Pärchen in spe will, ist ein bisschen Ruhe und Zweisamkeit. Am Ende aber helfen die beiden und die anderen dem Italiener bei den Sprachkursaufgaben: „Gemeinsam arbeiteten sie das Vaterunser zu Ende.“

Damals wie heute vollzieht sich also selbstverständlich, was die Bayerische Biergartenverordnung, zuletzt um konkrete Dezibelbelastungszahlen ergänzt 1999, auf den Seiten 142 ff. so fasst: „Biergärten erfüllen wichtige soziale und kommunikative Funktionen, weil sie seit jeher beliebter Treffpunkt breiter Schichten der Bevölkerung sind und ein ungezwungenes, soziale Unterschiede überwindendes Miteinander ermöglichen.“ Zu verdanken hat Bayern sein einmaliges Biergartenwesen – Napoleon! (Gerade historisch gesehen lernt man im Biergarten niemals aus).

Der gute Max war schon ein sehr bürgerlicher König

Ohne Napoleon schließlich wäre aus dem Kurfürsten Max IV. Joseph 1806 nimmermehr Max I. Joseph geworden – und Bayern kein Königreich. Gekrönt wurde interessanterweise eine Art Seiteneinsteiger ins Bayerntum, denn Max Joseph entstammte lediglich einer Nebenlinie des Hauses Wittelsbach, der von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld: Er war ein in Maßen origineller, klassisch orientierter, schon sehr bürgerlicher König. Und schön wäre natürlich, wenn er sich seine Biergartenverordnung, datiert auf den 4. Januar 1812, aus purer Menschenfreundlichkeit ausgedacht hätte. Dabei war alles ein bisschen anders, denn der gute Max besänftigte, wie man heute sagen würde, eigentlich nur den Markt, nachdem ihm die städtischen Bierbrauer ordentlich auf die Zehen getreten waren.

Zu deren Verdruss hatten an der Isar andere Brauer Bierkeller angelegt, von prächtigen Kastanien umstanden und auf Kies gebaut. Das Märzen ließ sich dort „in Minuto verschleißen“, was Familienausflügler auszog, die keiner schöner gemalt hat als Max Liebermann: Bieridylle unter Bäumen. Mehr als das, nämlich die Verabreichung von Speisen, außer Brot, ließ der König daraufhin verbieten und war, wie man so sagt, offiziell aus dem Schneider.

Der klassische Dreiklang heißt Radi, Brezn, Obatzda

Zweihundert Jahre, viele Regierungs- und Systemwechsel, Weltkriege und Umwälzungen aller Art später hat sich am idealen Biergarten immer noch nicht viel geändert, wie sich gerade wieder am behutsam umgebauten Augustiner-Biergarten in der Münchner Arnulfstraße sehen lässt: Neue Küche, neue Standl, neue Fasskühlzeile (für die legendären Hirschen = 200-Liter-Augustiner-Holzfässer), aber im Grunde genommen kommt der Mensch ja nicht in einen Biergarten, um einen Schweinsbraten oder ein Hendl zu essen. Da tut’s, neben dem Bier, der normale Dreiklang: Radi, Brezn, Obatzda. Erweiterte Harmonien liefert der Dialekt der jeweiligen Kastanie überm Tisch. Achten Sie mal drauf!

Soziologisch gesehen gibt es fast nichts, was es nicht gibt, in einem Biergarten. Aber anders als mittlerweile im Stadion, wo die Logenbesitzer auf die Stehplatzbesucher herunter schauen, ist der Biergarten konstant der große Gleichmacher: Man kennt sich und lässt einander leben. Und wer sich nicht kennt, macht sich bekannt. Oder schweigt freundlich. So gesehen stimmt immer noch, was bereits der Düsseldorfer Dichter Heinrich Heine, dies eine Mal recht unspöttisch für seine Verhältnisse, registriert hatte: „Zwischen Kunst und Bier ist München wie ein Dorf zwischen Hügeln hingelagert.“