68 Familien aus Württemberg haben sich vor 200 Jahren in Korntal angesiedelt, um dort ihren Glauben frei auszuüben. So entstand die evangelische Brüdergemeinde – und schuf etwas, von dem alle im Ort lange profitierten.

Korntal-Münchingen - Man schrieb den 18. Februar 1817, als Gottlieb Wilhelm Hoffmann einen Vorschlag für die Einrichtung religiöser Gemeinden machte. Der kaiserliche Notar und Bürgermeister von Leonberg – und, so die Brüdergemeinde, einer der führenden Pietisten im Land – hatte nicht länger zusehen wollen, dass vermögende Bürger scharenweise in Richtung Südrussland das Land verließen. Zwei Jahre später, 1819, entsprach König Wilhelm I. von Württemberg dem Vorschlag Hoffmanns. Er unterzeichnete 1819 eine so genannte Fundationsurkunde.

 

68 Familien gründen Korntal

Im selben Jahr zogen 68 Gründerfamilien aus Württemberg auf die Markung Korntal. Das waren zwar sehr viel weniger als die erwarteten 700 Kolonistenfamilien – aber die Brüdergemeinde war gegründet. Zuvor hatte Hoffmann stellvertretend für die Brüdergemeinde das 300 Hektar große Rittergut Korntal erworben. Für den Kaufpreis – 113 700 Gulden – wurden Darlehen aufgenommen, die meist von württembergischen Pietisten stammten. Laut der Brüdergemeinde wurde das Geld bis ins Jahr 1836 zurückgezahlt.

Die Korntaler Familien waren wie viele andere Pietisten im Land in Gewissensnöte gekommen. Das Zeitalter der Aufklärung stand gegen den Pietismus – einer Erweckungsbewegung, die die Bekehrung des Einzelnen und dessen praktische christliche Lebensweise betont.

Zahl der Auswanderungswilligen stieg

Friedrich II., Vorgänger des amtierenden Königs Wilhelm I., hatte das aufklärerische Denken in der Kirche konsequent durchgesetzt: Das Gesangbuch wurde geändert und Bürger wurden zum Teil mit Geld- und Körperstrafen dazu gezwungen, die Veränderungen anzunehmen. Beamte und Pfarrer, die nicht deutlich genug gegen Pietisten vorgingen, wurden entweder missbilligt oder gleich ganz abgesetzt.

Da die Zahl der Auswanderungswilligen stieg – im Hungersjahr 1817 wanderten laut der Brüdergemeinde mehr als 17 000 aus – begann die Regierung über die Folgen nachzudenken. In dieser Zeit fand Hoffmann Gehör mit seiner Idee. Er gab seine Ämter in Leonberg auf und wurde Vorsteher der selbstständig religiösen und politischen Gemeinde Korntal.

Das erste Gebäude der neuen Gemeinde war der Große Saal, heute noch das zentrale Gebäude der Gemeinde am Saalplatz. Das Gotteshaus wurde am 7. November 1819 eingeweiht – zu einem Zeitpunkt also, als die meisten Gründerfamilien noch sehr vorläufig untergebracht waren.

Sonderrechte werden mit der Gründung des Deutschen Reiches aufgehoben

Nach Korntal zuziehen durften zunächst nur Mitglieder der Brüdergemeinde. Diese Korntaler Sonderrechte wurden erst mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 zum Großteil aufgehoben. Erst zu diesem Zeitpunkt durfte auch nach Korntal ziehen, wer nicht Mitglied der Brüdergemeinde war. Im selben Jahr holte Hoffmann außerdem Johannes Kullen nach Korntal. Kullen betrieb in Metzingen eine private Lateinschule mit Internat. Er wurde mit dem Bildungsbereich beauftragt: es entstand sowohl das Knaben- als auch das Töchterinstitut. Sie wurden zur Basis des diakonisch geprägten pädagogischen Korntals und begründeten in der Fortentwicklung den Ruf der Stadt, eine Schulstadt zu sein. In Korntal gibt es nach wie vor eine Schule für Lernbehinderte. Mit den Missbrauchsskandal in den beiden Kinder- und Jugendheimen geriet sie in die Schlagzeilen. Weltliche und geistliche Gemeinde wurde 1919 getrennt.

Die Gemeindehandlung ist längst vergessen

Diese diakonischen Einrichtungen sind geblieben von der einst ebenso geistlichen wie weltlichen Gemeinde. Längst Vergangenheit ist hingegen die Gemeindehandlung: Im Jahr 1856 gegründet und ein halbes Jahrhundert später erweitert, deckte der Laden alles ab, was die Korntaler benötigten: Linsen und Gries, edles Porzellan, Einweckgläser, Bindfaden, Werkzeug. Gelagert in Regalen, deckenhoch. 1969 wurde der Betrieb eingestellt.