Ob per Rennrad, Mountainbike oder Pedelec – Radeln entspricht dem modernen Lebensgefühl. Die Politik sollte den Trend nutzen und den Radverkehr stärker fördern, kommentiert unser Politikredakteur Arnold Rieger.

Stuttgart - Nichts holt Fahrradvisionäre schneller in die Gegenwart zurück als der Blick von einer Autobahnbrücke. Wie war das noch mit der Jugend, die kein Kraftfahrzeug mehr besitzen will? Oder mit dem Mobilitätsmix, der Auto, Fahrrad und Bahn verknüpft? Alle verkehrspolitischen Ideale erscheinen aus dieser Warte plötzlich ganz weit weg. Denn unter der Brücke rollt die Realität: Das Auto lebt, ob elektrisch angetrieben oder vom Chip gelenkt. Wer immer es tot sagt, unterschätzt seine ökonomische und emotionale Kraft.

 

Und doch wünschen sich die Deutschen eine Alternative. Vor allem in Städten ist ihre Neigung zum Umsteigen ausgeprägt. Das hat dieser Tage eine Umfrage des Bundesumweltministeriums ergeben. Das Auto ist zwar nach wie vor das beliebteste Fortbewegungsmittel, doch knapp zwei Drittel der regelmäßigen Nutzer können sich vorstellen, öfter aufs Fahrrad zu wechseln. Vorausgesetzt, es gibt dafür Wege, Schilder und Abstellplätze. Die Mobilitätswende sei zwar noch nicht in Sicht, so das Fazit der Forsa-Studie, aber es gebe Veränderungsbereitschaft.

Rund elf Millionen Deutsche treten täglich in die Pedale

Dahinter steckt natürlich staubedingter Leidensdruck. Aber nicht nur. Es gibt auch eine neue Lust an dem 200 Jahre alten Vehikel: Nie war das Fahrrad so sexy wie heute. Rund elf Millionen Deutsche treten täglich in die Pedale. Ob per Rennrad, Mountainbike oder Pedelec – Radeln entspricht dem modernen Lebensgefühl. Das ist für alle Verkehrsteilnehmer ein Glücksfall, denn der Trend kann dazu beitragen, die Luft sauberer und die Straßen freier zu machen. Den Riesensprung sollte man sich davon zwar nicht erwarten, dafür ist die Reichweite des Fahrrads zu gering. Dass es aber in Ballungszentren viel ungenutztes Potenzial hat, räumt selbst der ADAC ein.

An ehrgeizigen Plänen mangelt es nicht. Der Bund, die Länder und große Kommunen haben Radstrategien formuliert. Verglichen mit den 90er Jahren hat sich auch schon Vieles bewegt: Das Radwegenetz ist gewachsen, das Kombinieren von Bahn und Rad wurde einfacher, und auch der Bund macht Tempo und hilft bei der Finanzierung von Radschnellwegen. Dem baden-württembergischen Verkehrsminister kann ohnehin niemand den Vorwurf machen, er lasse den Radverkehr links liegen. Winfried Hermann muss sich eher des Verdachts erwehren, zu viel fürs Fahrrad zu tun. Eine attraktive Alternative zum Auto ist das Fahrrad im Südwesten deshalb noch lange nicht: Beim jüngsten Fahrradklimatest des ADFC schnitten die Städte gerade mal mit „ausreichend“ ab.

Im vergangenen Jahr wurden 400 Radler getötet.

Grundsätzlich gilt: Wer Radler will, muss Radwege bauen, und zwar sichere. Natürlich ist das eine Geldfrage, aber nicht nur. Dass im vergangenen Jahr erneut fast 400 Radler getötet wurden, hängt vor allem mit den unzulänglichen innerörtlichen Wegen zusammen: Mal enden sie im Nichts, mal sind sie notdürftig auf die Fahrbahn gepinselt. Wobei hier auch erwähnt werden muss, dass manche Unfälle mit mangelnder Radfahrdisziplin zu tun haben. In der Verantwortung sind vor allem die Kommunen, die ihre Infrastruktur fahrradfreundlicher machen müssen. Das hat Konsequenzen: Da nicht beliebig viel Platz zur Verfügung steht, geht dies auf Kosten der Autostraßen. Diesen Preis – er ist gemessen am Autoverkehr insgesamt nicht hoch – muss die Mobilitätsgesellschaft bezahlen. In Münster, aber auch in Karlsruhe lässt sich besichtigen, wie das funktioniert. Am Ende geht es darum, möglichst vielen Menschen das Umsteigen schmackhaft zu machen. Die Lust am Auto muss darunter nicht leiden.