200 Jahre Erstbesteigung der Zugspitze Auf der Zugspitze ist man nie allein

Bergsteiger gehen zum Gipfelkreuz des Zugspitzgipfel bei Wolken und leichtem Schneetreiben. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt hat man vom Gipfel aus kaum Sicht ins Tal. Foto: Felix Hörhager/dpa

Vor 200 Jahren verlor die Zugspitze mit der offiziellen Erstbesteigung ihre Unberührtheit. Heute tummeln sich jährlich fast eine Million Besucher auf Deutschlands höchstem Berg. Was fasziniert sie an dem gigantischen Kalksteinklotz mit Rekordniederschlag und 310 Frosttagen im Jahr?

Freizeit & Unterhaltung: Bettina Bernhard (bb)

Garmisch-Partenkirchen - 27. August 1820 morgens um vier Uhr: der 27-jährige Leutnant und Vermessungsingenieur Josef Naus, ein Tiroler in Diensten des Bayerischen Königs, bricht mit Bergführer Johann Georg Tauschl und Offiziersbursche Maier Richtung Zugspitzplatt auf. Sein Auftrag: herauszufinden, ob dieser Berg wirklich die höchste Erhebung des Landes ist.

 

Die kurze Nacht hat das Trio in einer Hirtenunterkunft verbracht, einem Vorläufer der Reintalangerhütte, die auch heutige Besteiger gern als Zwischenstopp nutzen. Über den Schneeferner, Deutschlands größten Gletscher, gelangen sie „unter Lebensgefahren und außerordentlichen Mühen“ auf zwei Anläufe hinauf zum 2962 Meter hohen Gipfel.

Hier rammt Naus „einen kurzen Bergstock mit Sacktuch“ in den Boden, um die Erstbesteigung amtlich zu machen, so berichtet er später. Nach einem kurzen Moment des Triumphes vertreibt „ein Donnerwetter mit Schneegestöber“ die Truppe.

Mit der Seilbahn in schwindelerregende Höhen

Knapp 200 Jahre später, an einem Sommermorgen, schwebt die Seilbahn Zugspitze nach flotter Fahrt in schwindelerregender Höhe in der Gipfelstation ein. Die wenigen Gäste in der Gondel tragen Masken, die Stilllegung der Bahn durch Corona ist gerade erst wieder aufgehoben. Alle zucken zusammen, als bei der Einfahrt Eisbrocken von den Tragseilen aufs Kabinendach niederprasseln. Draußen bläst der Wind, das Thermometer zeigt vier Miese an.

Auf der Besucherterrasse karrt ein Vermummter den Neuschnee vom frühen Morgen weg. Andere schaufeln die Eisenleitern frei, an denen Gipfelstürmer die letzten Meter des Kolosses erklimmen können. Wie einst die Erstbesteiger überrascht die Zugspitze ihre Besucher häufig mit Schnee. 310 Frosttage pro Jahr und Durchschnittsniederschläge von 2003 Liter pro Quadratmeter konstatiert die Statistik, für die hier oben seit Juli 1900 eine Wetterstation Daten sammelt.

Wenig später ist die Terrasse begehbar. Auch den Gipfel samt goldenem Kreuz sieht man jetzt gut, er ist nur wenige Meter vom Besucherausguck entfernt. Durch die dichte Wolkendecke spürt man die Kraft der Sonne, das gleißende Weiß schreit laut nach Sonnenbrille. An klaren Tagen eröffnet sich ein 360-Grad-Bergpanorama mit Sicht auf rund 400 Gipfel in Österreich, Italien, der Schweiz und Deutschland. Als „Top of Germany“ vermarktet, lockt die Zugspitze fast eine Million Besucher pro Jahr aus aller Welt.

Zahnradbahn feiert 90. Geburtstag

Eigentlich hätte das Jubiläumsjahr den Rekord von 2018 mit allein 667  596 Besuchern auf deutscher Seite einstellen können, doch am Berg standen alle Bahnen wochenlang still: Die altehrwürdige Zahnradbahn, die von Garmisch-Partenkirchen über den Eibsee bis aufs Zugspitzplatt schnauft und dieses Jahr den 90. Geburtstag feiert.

Die Gletscherbahn, die vom ewigen, leider dahinschmelzenden Eis des Schneefernergletschers vollends hinauf zur Zugspitze fährt.

Die neue Seilbahn Zugspitze mit nur einer einzigen, 127 Meter hohen Stütze. Und die Tiroler Zugspitzbahn, die 1926 vom österreichischen Ehrwald aus als erste Bahn die Zugspitze erschloss, allerdings erst seit 1964 bis hinauf auf den Gipfel reicht.

Verena Lothes kümmert sich als Kommunikationsmanagerin darum, die Bayerische Zugspitzbahn ins rechte Licht zu rücken. „Mein Arbeitsplatz liegt auf dem höchsten Punkt Deutschlands – das ist schon genial“, sagt sie. „Weil ich so oft auf die Zugspitze hoch fahre, kann ich sie in allen Facetten und Stimmungen wahrnehmen.“ Zu Fuß hat sie die Zugspitze noch nicht erklommen. „Das will ich schon, aber ich habe auch gewaltigen Respekt vor dem Berg“, sagt sie.

Zum Knipsen auf Deutschlands höchsten Berg

Der geht so manchem Besucher ab. „Es ist der Hammer, wie viele Leute mit Flipflops auf den Gipfel gehen, denn der ist nur über Stahlleitern erreichbar und bietet zwar ein bisschen Halt am Stahlseil, aber nur für wenige Leute Platz“, sagt Birgit Linder, die Touristikerin der österreichischen Zugspitzarena. Etwa drei Viertel der Gäste kämen „zum Knipsen“ mit der Bahn auf die Zugspitze. Etwa ein Viertel komme zum Wandern in der Gipfelregion, einige davon tatsächlich von ganz unten bis auf die Zugspitze.

Doch immer mehr Besucher haben keinerlei Bergkenntnisse. Dabei spürt man die knapp 3000 Meter Höhe schon ganz schön, wenn man aus der Bahn steigt und mal eben die Treppen hinaufjoggt zur Aussichtsplattform. „Ich bin ja froh über die Sehnsucht Alpen, aber die Bergwacht ist schwer gefordert mit den Touristen-Ideen“, erzählt Linder.

Ein Gipfel, der es in sich hat

„Der Berg wird von zahlreichen Bergsteigern stark unterschätzt!“ warnt der Deutsche Alpenverein und empfiehlt neben gründlicher Tourenplanung vor allem unerfahrenen Wanderern professionelle Begleitung auf die Zugspitze. Dessen Erstbesteigungsgeschichte zweifelte der Verein übrigens vor einigen Jahren aufgrund eines Kartenfundes in seinem Archiv an. Der legte eine frühere Erstbesteigung durch Einheimische nah, welche aber schlussendlich nicht bewiesen werden konnte. Deshalb gilt Josef Naus amtlich als Erstbesteiger.

Wobei der heutige Zugspitzgipfel der letzte von einst dreien ist. Der Mittelgipfel musste 1930 der deutschen Seilbahn-Gipfelstation weichen, und 1938 sprengte die Wehrmacht den Westgipfel, um hier eine Flugleitstelle einzurichten – die aber nie gebaut wurde. Übrig blieb der Ostgipfel auf deutscher Gemarkung. Er ist umzingelt von Glas, Stahl und Beton.

Mehrere Seilbahnstationen plus Restaurants, Aussichtsterrassen, Ausstellungsräume, Souvenirshops, Imbissbuden drängen sich auf Deutschlands Höchstem, es gibt einen Grenzübergang von Bayern nach Tirol, Messstationen und allerlei Antennen sowie das denkmalgeschützte Münchner Haus, das auf eine 1883 erbaute Alpenvereinshütte zurück geht. Wer hier übernachtet, hat eine reelle Chance auf eine kurze Bergeinsamkeit.

Routen auf die Zugspitze

Vier gängige Routen führen Wanderer auf den Gipfel: Auf den Spuren der Erstbesteiger durch das lang gestreckte Reintal, kurz und steil vom Eibsee über die Wiener-Neustädter Hütte, flott über das österreichische Schneekar und spektakulär durchs wilde Höllental.

Letztere ist für Bergschulleiter Christof Schellhammer „eine der besten Bergtouren überhaupt“. Der Konstanzer lebt seit 1998 an der Zugspitze und kommt auf eine dreistellige Zahl an Besteigungen. Bei seiner Lieblingsroute gerät er ins Schwärmen: „Ein Wahnsinnsanstieg, mehr Abwechslung geht kaum. In der Klamm geht es durch Tunnels, über Brücken und Leitern, und man wird immer nass.

Danach kommt man zur Hölltalanger-Hütte in einem wunderbaren Hochtal, umgeben von einem mächtigen Felskessel. Und dann sind es immer noch 1100 Höhenmeter, man hat den Gletscher im Blick und braucht im Sommer Steigeisen. Zuletzt der Klettersteig und als Krönung der sensationelle Gipfel“, schildert er.

Magnet für Besucher aus aller Welt

Dass man auf dem höchsten Punkt selten allein ist, sei allerdings schon ein Kulturschock. Doch: „Dafür gibts oben ein Belohnungsbier“. Trotz des Ansturms bleibt die Zugspitze für ihn ein faszinierender Berg. Schellhammer: „Es gibt wenige Berge, die so viele Extreme vereinen und so gewaltige Höhenunterschiede.“ Definitiv ein Minuspunkt an der exponierten Nordlage sei freilich der viele Niederschlag, den das Wettersteingebirge als erste gewaltige Barriere einfängt und herunterholt.

Wobei selbst das manche Besucher verzückt – so wie die Asiatin, die sich begeistert die Gucci-Tasche mit diesem weißen Wunderzeug vollstopfte. Ihr durchweichtes Designerstück fand man unten im Mülleimer. „Es ist toll, wenn Menschen zum ersten Mal Schnee sehen, das sind elementare Erlebnisse“, sagt Schellhammer. Auch für Kinder aus der Stadt sei es ein Segen, mal auf so einen Berg zu können, oder für Menschen mit Einschränkungen.

„Die Zugspitze hat eine lange Besuchergeschichte, da kann man eigentlich nur immer aktualisieren. Den Gipfel wird man nicht mehr retten“, sieht es der Bergführer pragmatisch. Noch mehr Besucher seien aber kein Problem. „Die Zugspitze ist nun mal DER Berg in Deutschland.“

Deshalb nahm er sich auch des Jubiläums an, anfangs als einziger. Glück im Coronaunglück: Nachdem Garmisch-Partenkirchen alle Großveranstaltungen absagen musste, kommt die Jubiläumsfeier im August groß raus – mit kleinen, dezentralen Draußen-Veranstaltungen an mehrere Tagen.

Eventberg Zugspitze

Eventberg Zugspitze – für Philipp Holz, den Tourismusmanager der Zugspitzregion, ist das kein Schimpfwort, sondern beschreibt das Spannungsfeld zwischen Vermarktung und Bewahrung. Nach dem Motto „der Mensch schützt, was er schätzt“ ist ihm jeder Besucher der Zugspitze willkommen. „Der Berg ist ein Magnet und dank der Infrastruktur für jeden erlebbar“, sagt er. Die Frage „wie viel Tourist verträgt der Berg“ gehöre gleichwohl zu den Dauerthemen der Alpentouristiker.

An der Zugspitze sieht Holz durchaus noch Luft, denn mit einer guten Besucherlenkung ließen sich die Massen vernünftig verteilen auf Aussichtsterrassen, Wanderwege und das Zuspitzplatt. „Wir verkaufen Sehnsucht und Abenteuer – und jeder kann sich sein persönliches Maß heraussuchen.“

Ob adrenalinfördernde Seilbahnfahrt für Flachländer, schweißtreibende Erstbesteigung für Hobbywanderer, der erste Schnee für Wüstenbewohner oder Umweltkunde für Kinder auf dem Gletscher – alle kommen auf ihre Kosten. Selbst die, die unberührte Natur und Stille suchen, versichern die Tourismusstrategen rund um den Berg. Dazu müsse man halt spezielle Zeiten aussuchen und die Definition eines Zugspitzbesuchs etwas weiter fassen.

Klimaforschung auf der Zugspitze

„Wenn nicht gerade Wanderer anklopfen und nach einem Doppelzimmer im auf ihrer alten Karte noch eingezeichneten Hotel fragen, oder man der Bergwacht helfen muss, hilflose Gipfelstürmer aus den Flanken zu fischen, hat man hier weitgehend seine Ruhe“, sagt Till Rehm über seinen Arbeitsplatz, 300 Meter unterhalb des Zugspitzgipfels.

Hier klebt das Schneefernerhaus in der Felswand. Das einstige Hotel auf 2666 Meter Höhe beherbergt ein Forschungszentrum. Zu den Dauermietern vom Deutschen Wetterdienst übers Umweltbundesamt, das Helmholtzzentrum oder das Bayrische Landesamt für Umwelt gesellen sich Universitäten und Forschungsgesellschaften mit einzelnen Projekten. Der Geophysiker Rehm koordiniert die Arbeit in der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus.

Dass nahe der Forschungsstation reichlich Mensch und Technik unterwegs ist, sieht Till Rehm auch positiv: „Die Infrastruktur ist hervorragend, der Transport von Mensch, Material und Verpflegung funktioniert.“ Dafür nimmt er in Kauf, beim Weg zur Arbeit auch mal Schlange zu stehen oder mit dem Snowboard geschubst zu werden.

Einmal im Jahr wandert er ins Geschäft – vom Eibsee aus, morgens um vier. Rehm mag den Berg und „das muss man auch, um mit Freude hier zu arbeiten“. Da dürfe man keine Angst vor Lawinen haben oder davor, bei Eiseskälte einen Vormittag lang Schnee zu schippen.

Fast ein Erstbesteiger-Gefühl!

Info: Zugspitze erleben

Bergbahnen

Mit der Zahnradbahn fährt man von Garmisch-Partenkirchen über den Eibsee bis hinauf aufs Zugspitzplatt. Mit der Gletscherbahn gelangt man vom Zugspitzplatt auf den Gipfel. Vom Eibsee aus flitzt die neue Seilbahn Zugspitze hinauf auf den Gipfel. Vom österreichischen Ehrwald aus startet die Tiroler Zugspitzbahn.

Wanderwege

Zum Gipfel gelangt man auf vier Hauptrouten: übers Reintal, durchs Höllental, vom Eibsee über die Wiener-Neustädter-Hütte und über das österreichische Schneekar. Rings um die Zugspitze herum führen zahlreiche Wanderwege verschiedener Längen und Schwierigkeitsgrade.

Attraktionen am Berg

Skigebiet und Gletscherwelt auf dem Zugspitzplatt mit Erlebnisparcours, Aussichtsplattform, Kapelle und Gastronomie. In den Gipfelstationen der beiden Bergbahnen finden sich Ausstellungen, Aussichtsterrassen, ein Postamt, Läden und Gastronomie.

Anreise und Unterkunft

Der Weg auf die Zugspitze führt von Stuttgart via München nach Garmisch-Partenkirchen zur bayerischen Zugspitzbahn oder nach Ehrwald zur Tiroler Zugspitzbahn. Beide erreicht man auch gut mit dem Zug, der von Stuttgart via München- Pasing nach Garmisch und weiter nach Ehrwald fährt. Unterkünfte finden sich auf deutscher Seite in Garmisch-Partenkirchen und Umgebung. In Österreich empfangen Ehrwald, Biberwier und Lermoos Gäste.

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